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Keine Endzeitstimmung

Griechen glauben an Sanierung aus eigener Kraft

Von Anke Stefan, Athen *

Die Griechen haben wegen der Wirtschaftskrise schon einige Abstriche von ihrem Lebensstandard machen müssen. Das Sparprogramm der Regierung würde dies noch verschärfen.

Seit Monaten ist die »Schuldenkrise« das beherrschende Thema in den griechischen Medien. Dass die immense Verschuldung ihres Landes ein Problem ist, das gelöst werden muss, ist unter den Griechen unbestritten. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Metron sagen mehr als zwei Drittel, dass die vom Ministerpräsidenten verkündeten »harten Maßnahmen« notwendig sind. Die Frage nach der Wirksamkeit bejahen aber nur 43,7 Prozent.

Bis zu 30 Milliarden Euro an Einkommen- und Umsatzsteuer, so schätzt man, gehen dem Staat jährlich verloren, weil Hunderttausende Handwerker, Tavernen-, Boutiquen- und Kleinladenbesitzer, die mehr als 90 Prozent des Einzelhandels stellen, Kunden keine Quittung ausstellen. Oft im Einverständnis mit dem Kunden, der die erwünschte Handwerkerdienstleistung oder das begehrte Paar Schuhe etwas billiger bekommt. Das soll nun anders werden: Nur wer Quittungen in entsprechender Höhe sammelt, wird in den Genuss des Steuerfreibetrags von 12 000 Euro für Lohnabhängige bzw. 10 500 Euro für Selbstständige kommen, wurde Anfang des Jahres verkündet. Anhand der online einzugebenden Quittungsdaten soll dies kontrolliert werden. Aber nicht einmal die Hälfte der Haushalte verfügt über einen Computer, in manchen ländlichen Regionen gibt es gar keinen Internetanschluss. Und Hunderttausenden von Rentnern ist es kaum zuzumuten, sich im hohen Alter noch mit dem Problem herumzuschlagen, endlose Zahlenkolonnen in ihnen unbekannte Geräte einzugeben.

Ähnliches gilt für die Abschaffung der Möglichkeit zur (niedrigen) Pauschalbesteuerung. Wenn die Beiträge am tatsächlichen Einkommen gemessen werden, könnte sich für viele kleine Selbstständige die Arbeit nicht mehr lohnen.

Viele befürchten, dass Lohnkürzungen und Einstellungsstopps nur zur Verschlimmerung der Wirtschaftskrise führen werden. Reihenweise schließen bereits kleine Handwerksbetriebe, die sich etwa auf die Herstellung traditioneller Schmuckstücke und Dekorwaren spezialisiert haben. Handarbeiten aus Holz und Keramik können sich viele nicht mehr leisten. Auch das Eigenheim, Ziel Nummer 1 für jeden »echten« Griechen, ist nach dem hohen Anstieg der Immobilienporeise in den letzten Jahren für viele mittlerweile ein unbezahlbarer Traum. In sämtlichen Vororten Athens kann man neu gebaute, leer stehende Mehrfamilienhäuser finden. Umgekehrt findet sich in der Baubranche, die lange als »Dampfmaschine der Wirtschaft« galt, kaum noch Arbeit, nicht einmal als Tagelöhner.

Die Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten ist allgemein ein Hauptkritikpunkt am Sparpaket. Oft genug wird auch die Politik ihrer Vorbildrolle nicht gerecht. So verzichteten die Parlamentsabgeordneten erst dann auf Sonderzuzahlungen für Ausschusssitzungen, als öffentlich angeprangert wurde, dass sie pro Nase mehrere hundert Euro pro Sitzung erhalten.

Besonders gravierend könnte sich das mangelnde Vertrauen in die Politik beim Umbau der Rentenversicherung erweisen. Hier soll das Umlageverfahren durch ein Drei-Säulen-Modell aus staatlicher Grundsicherung, betrieblicher und privater Altersvorsorge ersetzt werden.

Die Gewerkschaften, die bereits gestreikt haben und weitere Proteste ankündigen, kritisieren, dass die Unternehmen von Kürzungen weitgehend ausgenommen werden. Die Lasten müssten umverteilt werden, zumal die Grenzen für eine weitere Senkung des Lebensstandards der abhängig Beschäftigten bereits erreicht seien. Der Durchschnittsverdienst eines Staatsangestellten liegt nach Auskunft des Gewerkschaftsdachverbandes ADEDY bei 1200 Euro netto. Damit kann man in Griechenland, wo die Lebenshaltungskosten zumindest in den Großstädten fast deutsches Niveau erreicht haben, keine großen Sprünge machen. In der Privatwirtschaft liegt der gesetzliche Mindestlohn bei 740 Euro brutto im Monat. Eine Erhöhung lehnt der Unternehmerverband mit Verweis auf die Krise ab.

Trotz allem herrscht keine Endzeitstimmung. Nach einer Meinungsumfrage halten 59 Prozent der Griechen eine »Pleite« ihres Staates für unwahrscheinlich. Mehr als jeder Zweite ist auch überzeugt, dass Griechenland es allein auch aus dieser Krise schaffen wird.

Die milliardenschweren Bankenrettungs- und Konjunkturprogramme sowie sinkende Steuereinnahmen und gestiegene Ausgaben für die Arbeitslosigkeit im Zuge der Wirtschaftskrise haben ihre Spuren in den Staatsbudgets auch der Euroländer hinterlassen. Die Defizite sind deutlich angewachsen, die Verschuldungsquoten gestiegen. Jedes Land sucht derzeit für sich nach einer geeigneten Exit-Strategie, zumal der Euro-Stabilitätspakt nur eine geringe Neuverschuldung zulässt. Das Problem ist nur: Kräftiges Sparen wäre in der jetzigen Lage kontraproduktiv, denn es würde den bestenfalls zaghaft zu spürenden Aufschwung gefährden.Einen Ausweg könnte die von linken Ökonomen geforderte Abkehr vom monetaristischen Selbstverständnis der Währungsunion und der Übergang zu einer einheitlichen Wirtschaftspolitik im Euroraum bieten. Stattdessen stellt man einzelne »Sorgenkinder« an den Pranger, denen harte Sparpakete verordnet werden, die für breite Proteste in der Bevölkerung sorgen. Die krassen Ungleichgewichte im Euroraum - Ursache der aktuellen Probleme an den Finanzmärkten - werden dadurch nur verschärft.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Februar 2010


EU-Politik gegenüber Athen: unsozial und ineffektiv

12. Februar 2010

Am gestrigen Donnerstag (11. Feb.) hat die EU Krisenmaßnahmen gegenüber dem hoch verschuldeten Griechenland beschlossen. Um die versprochene Unterstützung zu erhalten, sollen die Hellenen radikal sparen. Fehler der europäischen Wirtschaftspolitik standen nicht zur Debatte.

Die politischen Maßnahmen der Europäischen Union gegenüber Griechenland sind ineffektiv und ungerecht. Die in Aussicht gestellten Kredite zu überhöhten Zinsen sind für ein hoch verschuldetes Land wie Griechenland keine echte Option. Allein in diesem Jahr benötigt Griechenland als Ausgleich für auslaufende Anleihen neue Kredite in Höhe von mehr als 50 Milliarden Euro. Ohne solidarische Unterstützung aus der EU wird die enorme Zinslast in Folge der Abwertung durch die Rating-Agenturen den griechischen Staatshaushalt erdrücken. Wieder einmal werden die Kosten allein auf die Bevölkerung abgewälzt.

Ohne Änderungen der Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU sind die Ungleichgewichte im Euro-Raum aber nicht zu bewältigen. Bei den Überschuss-Ländern, die für das Defizit in Griechenland maßgeblich mitverantwortlich sind (allen voran Deutschland), liegt eine besondere Verantwortung. Die Überschüsse in der Handelsbilanz von Deutschland werden mit Hilfe einer Dumpinglohn-Politik auch auf Kosten Griechenlands erwirtschaftet. Solche Ungleichgewichte können nur von zwei Seiten her ausbalanciert werden. Dafür muss Deutschland seine Wirtschafts- und Sozialpolitik im Rahmen der EU drastisch ändern und beispielsweise einen hohen Mindestlohn einführen.

Die EU benötigt dringend eine koordinierte Wirtschaftspolitik und soziale Konvergenz, denn ohne kann eine gemeinsame Währung nicht funktionieren. Das monetaristische Dogma der EU führt dazu, dass soziale Unterschiede und ökonomische Ungleichgewichte verfestigt oder sogar verschärft werden.

Die auferlegten radikalen Sparmaßnahmen werden dagegen die Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und Armut in Griechenland nur weiter verschärfen und durch die wegbrechende Nachfrage die griechische Volkswirtschaft weiter schwächen. Es ist richtig, dass Schattenwirtschaft und Korruption ein großes Problem in Griechenland sind. Die Sparpläne der griechischen Regierung würden sie aber noch verstärken und zu einer Verarmung des öffentlichen Sektors führen.

Geradezu fatal ist der Plan der EU, den Internationalen Währungsfonds IWF einzubeziehen. Ausgerechnet jene Institution, die mit ihren radikal-neoliberalen Forderungen schon so viele Länder in ökonomischen Notsituationen ausgequetscht hat wie Zitronen, soll nun Griechenland helfen. Nicht umsonst zahlen jene Länder, denen es möglich ist, ihre IWF-Kredite frühzeitig zurück, um den Zwang zu einer unsozialen, ökonomisch falschen und ökologisch ignoranten Politik loszuwerden.


EU verordnet Griechenland mehr Armut

5. Februar 2010

Die EU drückt Griechenland ein hartes Sparprogramm gegen dessen massive Staatsverschuldung auf. Doch alle Erfahrungen haben gezeigt: Damit versackt das Land noch mehr in der Schuldenspirale. Nötig ist vielmehr gemeinschaftliche Hilfe.

Wer den Menschen in Griechenland helfen will, muss die wichtigsten Probleme des Landes bekämpfen: Arbeitslosigkeit, Lohndumping, Armut und soziale Ungleichheit. Das kostet Geld, zahlt sich aber aus.

Stattdessen plant die griechische Regierung unter dem Druck der EU einen radikalen Sparkurs: Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst, Erhöhung des Renteneintrittsalters und Lohnkürzungen. Sollte Griechenland die ambitionierten Sparziele dennoch nicht erreichen, verlangt die EU Strafzahlungen. Dabei ist es wenig hilfreich, wenn ein Land dafür, dass es stark verschuldet ist, weitere Schulden aufnehmen muss, um eine Strafe für die Verschuldung zu zahlen. Das setzt einen gefährlichen Teufelskreis in Gang, der zwar der Logik der europäischen Fiskalpolitik entspricht, ökonomisch aber unsinnig ist. Leidtragende dieser Politik ist die griechische Bevölkerung. Sie zahlt mit noch mehr Arbeitslosigkeit und Armut.

Das Vorgehen der EU erinnert stark an die gescheiterte Entwicklungspolitik von IWF und Weltbank in den 80er und 90er Jahren. Diese Institutionen waren und sind mit ihren radikal-neoliberalen Reformen für viel Armut und Hunger in der Welt verantwortlich. Die EU scheint vom Scheitern dieser Politik allerdings wenig gelernt zu haben, wenn sie nun in Griechenland zu denselben Mitteln greift.

Attac forderte die Streichung der so genannten Non-Bailout-Klausel (Artikel 103) des EU-Vertrages. Diese Klausel verbietet den Euro-Mitgliedsländern, vor allem aber der Europäischen Zentralbank, Not leidenden Ländern zu helfen. Notwendig statt dieser unsinnigen Klausel ist ein allgemein verbindliches Krisenmanagement für überschuldete Mitgliedsländer.

Bis dahin muss die EU ihren eigenen Vertrag brechen und Griechenland sofort die benötigten Mittel zur Verfügung stellen. Da der Exportüberschuss Deutschlands die negative Handelsbilanz Griechenlands mit verursacht hat, ist die Bundesregierung an erster Stelle gefordert, sich für Hilfen für Griechenland einzusetzen.

Quelle: Website von attac-Deutschland; www.attac.de




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