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Erpresserisch

EU outet sich bei G-20-Gipfel als zutiefst undemokratisch. Druck von Merkel und Sarkozy zeigt Wirkung. Griechisches Referendum abgesagt

Von Rainer Rupp *

Bereits am Vorabend des des am Donnerstag (3. Nov.) begonnenen Gipfels der G-20-Staats- und Regierungschefs waren Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy in Cannes mit dem griechischen Ministerpräsidenten Papandreou zusammen getroffen. Knapp eine Woche nach der vermeintlich endgültigen Lösung der Euro-Krise war erneut eine Krisensitzung nötig. Die Finanzmärkte und mit ihnen die Eurokraten hatten geschockt auf Papandreous Ankündigung reagiert, dem Druck der griechischen Bevölkerung, die seit einem Jahr in Massendemonstrationen gegen die von EU und IWF aufgezwungene Kürzungspolitik protestiert, nachzugeben, und diese selber über das sogenannte Rettungspaket abzustimmen zu lassen. Wäre Papandreou ein arabischer Herrscher, wäre er für seine Entscheidung vom gesamten Westen als demokratisches Frühlingssymbol gefeiert worden. Statt dessen wurde er in den westlichen Medien der Verantwortungslosigkeit bezichtigt. Merkel und Sarkozy stellten ihn wegen seiner demokratischen Ambitionen unter massiven, erpresserischen Druck. Mit Erfolg. Am Nachmittag sagte Papandreou das Referendum ab. Die Griechen hätten entscheiden können, ob sie den sogenannten Euro-Rettungsplan und die daraus folgende jahrzehntelange Zinsknechtschaft akzeptieren, oder ob sie lieber den Staatsbankrott und den Austritt aus dem Euro wählen. Das wäre nur auf den ersten Blick eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera gewesen. Die schnelle wirtschaftliche Erholung Islands, das sich zu Beginn der Krise ebenfalls gegen den Euro und für einen Bankrott der Banken entscheiden hatte, zeigt, daß ein Nein durchaus eine Alternative wäre. Dafür, daß auch die Mehrheit der Griechen das so sieht, sprechen auch sämtliche inzwischen erhobenen Umfragewerte.

Die deutsche Kanzlerin hatte in Cannes den Griechen noch gedroht, Hellas müsse die Beschlüsse des Euro-Gipfels vom 27. Oktober erfüllen und das geplante Referendum müsse positiv für den Euro ausgehen.

Merkel und die anderen autoritären Eurokraten sind für die Umsetzung ihrer Idee von einem neoliberalen Europa der Konzerne sogar bereit, die griechische Volkswirtschaft zu zerstören. Papandreous Demokratieverständnis ist für sie hochgefährlich. Inzwischen dürften schon Möglichkeiten für einen Regimewechsel in Athen sondiert worden sein. Zumindest hat sich mit Finanzminister Evangelos Venizelos bereits ein Regierungsmitglied gefunden, das Papandreous Initiative öffentlich kritisiert hat. Griechenlands Zugehörigkeit zur Euro-Zone sei eine »historische Errungenschaft des griechischen Volks«. Diese könne nicht durch einer Volksabstimmung in Frage gestellt werden, hatte Venizelos noch am Donnerstag morgen in Athen erklärt. Zugleich stritten sich die dortigen Politiker bereits über mögliche Neuwahlen. Gegen Nachmittag gab es Gerüchte um einen bevorstehenden Rücktritt Papandreous noch vor der für die heutige Freitagnacht angekündigten Vertrauensabstimmung im Parlament. Die überraschende Erholung des Euros am Devisenmarkt wurde mit diesen Gerüchten begründet.

Zur Drohkulisse gehört auch die Ankündigung von Sarkozy und Merkel, wegen des Referendums Griechenland vorerst den Geldhahn zuzudrehen. Zudem wollen sie die unmittelbar bevorstehende Zahlung aus dem alten 110- Milliarden-Paket einfrieren.

Vor diesem Hintergrund der inneren Zerrissenheit in der Euro-Zone begann am Donnerstag morgen in Cannes der G-20-Gipfel. Vergessen waren die großspurigen Ankündigungen aus Berlin und Paris, bei dem von der französischen G-20-Präsidentschaft mit viel Pomp vorbereiteten Treffen der staunenden Welt die Lösung der Griechenlandkrise und der anderen Schulden-Probleme im Euro-Raum zu präsentieren. Auch der deutsche Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen hatte noch zu Wochenbeginn stolz gekräht: »Die Europäer können das vorweisen, was sie in der letzten Woche beschlossen haben.«

Ursprünglich wollte Paris nicht weniger als die Neuordnung des Weltwährungssystems als einen der Schwerpunkte der französischen Präsidentschaft auf die Tagesordnung der G20 setzen. Es sollte ein neues Weltwährungssystem mit stabileren Wechselkursen in Angriff genommen werden. In diesem sollten mehrere Währungen, auch die der wichtigsten Schwellenländer wie China und Brasilien, insbesondere aber der Euro eine stärkere Rolle spielen. Dadurch hätte der US-Dollar als alleinige globale Leitwährung abgelöst werden sollen. Diese Pläne sind wegen des erneuten Aufruhrs in der Euro-Zone vorerst geplatzt.

Die Volksabstimmungspläne Papandreous haben Sarkozys Traum nun vollends zunichte gemacht. Der wollte in Cannes seinen chinesischen Amtskollegen Hu Jintao dafür gewinnen, wenigstens einen Teil der Währungsreserven seines Landes in den unsolide konstruierten Europäischen Finanzstabilitätsfonds (EFSF) zu investieren. Allerdings war EFSF-Chef Klaus Regling bereits in der letzten Woche mit dieser Idee bei seiner Betteltour in Peking gegen die chinesische Mauer gelaufen. Die Europäer sollten zuerst ihr eigenes Haus in Ordnung bringen, bevor sie mit den gewünschten Finanzinvestitionen rechnen könnten, lautete der Hinweis aus Fernost. Die Bedeutung dieses Rats hätte durch den europäischen Streit um das griechische Referendum dramatischer nicht unterstrichen werden können.

* Aus: junge Welt, 4. November 2011


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