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Merkel weist Athen den Weg

Euro-Schuldengipfel: Beim Rettungspaket II sollen private Gläubiger freiwillig mitmachen

Von Kurt Stenger *

Die Euro-Länder wollen für Athen ein weiteres Kreditprogramm auf die Beine stellen. Die Gläubiger sollen dabei irgendwie mitmachen.

Die Staats- und Regierungschefs der 17 Länder mit dem Euro haben sich auf ihrem Schuldengipfel am Donnerstag (21. Juli) in Brüssel offenbar auf ein neues Notprogramm im Umfang von bis zu 120 Milliarden Euro für das finanziell angeschlagene Griechenland geeinigt. Dieses beinhalte auch eine freiwillige Beteiligung privater Gläubiger, die von Ratingagenturen als »teilweiser Zahlungsausfall« gewertet werden könnte, teilten EU-Diplomaten am Rande des Treffens mit, das bei Redaktionsschluss noch andauerte.

Damit hätte sich die Bundesregierung durchgesetzt, die seit Wochen eine »weiche« Umschuldung fordert. Um dies durchzusetzen, hatte sich Kanzlerin Angela Merkel in Berlin am Mittwochabend mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, getroffen. Nach sechsstündigen Beratungen sei eine Einigung erzielt worden, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert, ohne Details zu nennen.

In der EU war die Gläubigerbeteiligung bislang heftig umstritten gewesen. Insbesondere die EZB und die Regierungschefs finanziell angeschlagener Länder hatten vor einer Ausweitung der Schuldenkrise gewarnt.

Vom Tisch sind damit offenbar Alternativvorschläge. So hatte Sarkozy eine Bankenabgabe zur Finanzierung neuer Milliardenhilfen ins Spiel gebracht. Auch die Ausgabe gemeinsamer Eurobonds, die den Krisenländern eine Kreditaufnahme zu relativ günstigen Zinskonditionen ermöglichen würde, wird nun wohl nicht kommen.

Gegen eine Bankenabgabe hatte sich auch die Finanzbranche ausgesprochen. Dies konnte sie den Gipfelteilnehmern persönlich verklickern – hochrangige Vertreter wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann als Vorsitzender des internationalen Bankenverbands IIF und der Chef der französischen BNP Paribas, Baudouin Prot, waren in Brüssel anwesend.

Auf dem Gipfel wurde ferner beschlossen, die Zinssätze neuer EU-Hilfsgelder für Griechenland, Irland und Portugal etwas zu senken sowie die Rückzahlfristen auf 15 Jahre zu verdoppeln. Um eine Ausbreitung der Schuldenkrise auf andere Länder wie Italien oder Spanien zu verhindern, soll es »vorbeugende Programme« geben können, die aus dem EU-Rettungsfonds EFSF finanziert werden.

Wie die Gläubigerbeteiligung konkret aussehen soll, blieb aber unklar. »Der Finanzsektor hat seine Bereitschaft erklärt, Griechenland auf einer freiwilligen Basis mit einer Reihe von Optionen zu unterstützen«, zitierte dpa aus dem Entwurf der Abschlusserklärung des Gipfels. Dazu gehöre der Umtausch griechischer Anleihen in neue Bonds mit längeren Laufzeiten. Damit dürfte sich die Erwartung des Chef der Euro-Gruppe, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, nicht erfüllen, der sagte: »Wir brauchen eine Gesamtlösung.« Es könne nicht sein, dass »alle zwei Wochen Teillösungen nachgeschoben werden«.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2011


Die Angst vor der Ansteckung

Spanische Regierung kritisiert Merkel

Von Ralf Streck, Madrid **


Die spanische Finanzministerin Elena Salgado pochte unmittelbar vor dem Euro-Schuldengipfel auf eine »gute Lösung«. Sie nannte die private Gläubigerbeteiligung eine »nicht optimale« Lösung mit »unerwünschten Nebenwirkungen« auf die Finanzierung griechischer Banken und warnte vor der Gefahr einer »Ansteckung« anderer Ökonomien. Ihr Ton fiel aber sanfter als in den letzten Wochen aus.

Spanien gilt wie Italien als weiterer Wackelkandidat, der womöglich unter den EU-Rettungsschirm schlüpfen muss, was mit harten Auflagen verbunden wäre. Entscheidend dafür ist, ob diese Länder sich weiter selbst an den Kapitalmärkten refinanzieren können. Die Hängepartie in der Griechenland-Krise, die Madrid insbesondere der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zur Last legt, hat die Zinsen für spanische Staatsanleihen erneut stark ansteigen lassen, wodurch die Kreditaufnahme immer teurer wird. Madrid muss derzeit rund vier Prozentpunkte mehr berappen als Berlin. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero mahnte vor einigen Tagen, »besonders die mächtigen Länder« der Eurozone müssten ihrer »klaren Verantwortung« gerecht werden, um den Turbulenzen an den Finanzmärkten Einhalt zu gebieten. Salgado warnte gar vor einer »systemischen Krise«.

Gleichzeitig hat die Regierung in Madrid selbst keine eigenen Lösungsvorschläge gemacht. Insofern muss sie die anvisierte sanfte Umschuldung nun akzeptieren. Ansonsten setzt sie sich dafür ein, einfach weiter Milliarden für Krisenländer bereitzustellen, um sie an Banken durchzureichen. Spanische Institute sind insbesondere in Portugal massiv engagiert.

Indes kommt Spanien nicht aus der Wirtschaftskrise mit der EU-Rekordarbeitslosigkeit von 21 Prozent und enormen Problemen bei der Wettbewerbsfähigkeit heraus. Bisherige Sparprogramme der Regierung drohen zudem das Land zurück in die Rezession zu stoßen.

** Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2011


Mieses Wetter

Von Kurt Stenger ***

»Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung«, lautet ein Motto gut ausgerüsteter Wanderer und Gipfelstürmer. Für den gestrigen Euro-Schuldengipfel ließe sich dies passend umformulieren in: »Es gibt keine Staatsbankrotte, es gibt nur schlechtes politisches Schuldenmanagement.« Und letzteres zelebrieren die EU-Staaten im Bündnis mit dem IWF seit nunmehr 16 Monaten. Statt die unselige Spekulation mit Staatsanleihen vermeintlicher Krisenländer zu beenden, orientiert man sich am Umgang des IWF mit Lateinamerikas Schuldenkrise Anfang der 1980er Jahre: Harte Sparprogramme zum Wohle der Gläubiger bescherten dem Kontinent ein »verlorenes Jahrzehnt«. Soll dies mit Griechenland, Portugal, Irland und womöglich auch Italien, Spanien etc. nun auch geschehen?

Statt den Staat und die Konjunktur in diesen Ländern kaputtzusparen, braucht es im Gegenteil ein Mehr an staatlichen Investitionen. Und dafür sind stabile Finanzrahmen und normale Bedingungen bei der Kreditaufnahme in der gesamten Währungsunion unumgänglich. Genau hierbei – nicht bei Umschuldungen, die nichts an falschen Strukturen ändern – wäre die Beteiligung des Privatsektors zentral. Sei es durch eine Bankenabgabe oder durch eine Finanztransaktionssteuer.

Die EU hangelt sich aber, schlecht ausgerüstet, bei miesem Wetter an den Finanzmärkten weiter von Gipfeltour zu Gipfeltour. Da wäre man besser gleich zu Hause geblieben.

*** Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2011 (Kommentar)


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