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Kredite gegen Souveränität

Athen erhält weitere zwölf Milliarden Euro / Neues Hilfspaket für Herbst angekündigt *

Mit der Freigabe der nächsten Kreditrate für Athen haben die Euro-Länder den drohenden Staatsbankrott Griechenlands vorläufig abgewendet.

Die Euro-Finanzminister haben am Samstag (2. Juli) entschieden, bis zum 15. Juli die nächste Rate von zwölf Milliarden Euro an Griechenland auszuzahlen. In einer 2,5-stündigen Telefonkonferenz stimmten sie der Auszahlung ihres Anteils von 8,7 Milliarden Euro aus dem gemeinsamen Hilfspaket mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu. Der IWF begrüßte die Entscheidung, ließ aber offen, wann er über die Auszahlung seines Anteils entscheidet. Eine Sprecherin signalisierte in Washington, dass einer Freigabe des IWF-Beitrags nichts mehr im Wege stehe.

Griechenland braucht die nächste Kreditrate dringend, weil es sonst Mitte Juli zahlungsunfähig wäre. Das Geld ist Teil eines im Mai vergangenen Jahres beschlossenen Hilfspakets von 110 Milliarden Euro. Das griechische Parlament hatte in der vergangenen Woche trotz massiver Proteste Einsparungen von rund 28 Milliarden Euro und dem Verkauf von Staatsbesitz von 50 Milliarden Euro zugestimmt. Dies war die Voraussetzung für die Auszahlung der nächsten Rate.

Langfristig wird aber bereits über ein zweites Hilfspaket diskutiert. Darüber soll in einer Woche weiter verhandelt werden. Wie das Paket geschnürt sein soll, ist noch unklar. Bislang gibt es nur Eckdaten: Bis zu 120 Milliarden Euro soll es enthalten – und bis Mitte September geschnürt sein. In einer Erklärung der Minister hieß es, dass die Modalitäten des zweiten Hilfspakets »in den kommenden Wochen« festgelegt werden.

EU-Diplomaten rechnen jetzt nicht mehr damit, dass auf der nächsten Sitzung der Euro-Finanzminister am 11. Juli eine Einigung gelingt. Insbesondere Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fordert, Banken, Versicherungen und Hedgefonds auf freiwilliger Basis an dem Rettungspaket zu beteiligen. Auch Frankreich hat hierzu Pläne vorgestellt.

Schäuble machte die Verabschiedung eines zweiten Hilfspakets auch von der Umsetzung der griechischen Sparpläne abhängig. Es könnte vor dem Herbst verabschiedet werden, »immer vorausgesetzt, die Programmumsetzung in Griechenland erfolgt wie geplant«, sagte Schäuble. Dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« sagte er, Deutschland bereite sich »natürlich« auf den »unwahrscheinlichen Fall vor, dass es entgegen allen Erwartungen zu einem Ausfall griechischer Zahlungen kommt«.

Die zugesagte Beteiligung des Privatsektors nannte Schäuble einen Erfolg. Er hatte am Donnerstag die Zusage der deutschen Finanzwirtschaft erhalten, dass die Banken sich an dem Hilfspaket beteiligen, indem sie Rückzahlungen, die Athen in den kommenden drei Jahren leisten muss, wieder zur Verfügung stellen. Wie »Der Spiegel« berichtete, will sich der Versicherungskonzern Allianz bis 2014 mit 300 Millionen Euro beteiligen. Der haushaltspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Carsten Schneider, kritisierte, die ausgehandelte Beteiligung der Finanzwirtschaft sei »kein substanzieller Beitrag für eine faire Lastenverteilung zwischen öffentlicher und privater Seite«.

Schäuble forderte zur Stärkung der griechischen Wirtschaft eine Art europäischen Marshallplan. »Entscheidend ist, dass Europa stärker als bisher bereit sein muss, Griechenland dabei zu unterstützen, Wachstum zu generieren.« Hier lägen auch »beträchtliche Aufgaben und Chancen für die deutsche Wirtschaft«.

Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker erklärte gegenüber dem Nachrichtenmagazin »Focus«, im Zuge der internationalen Rettungsmaßnahmen werde »die Souveränität der Griechen massiv eingeschränkt«. Griechenland habe jahrelang vom Euro profitiert und durch eigenes Verschulden einiges ins Rollen gebracht.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Juli 2011


Der Wink mit der Treuhand

Von Peter Kollewe **

Der Kredit für Griechenland ist am Wochenende freigegeben worden. 12 Milliarden Euro. Eine Staatspleite Athens sei abgewendet, hieß es. Doch das Feilschen der Kesselflicker hat seinen Preis. Jean-Claude Juncker, der Eurogruppenchef, redete Tacheles: »Wir zwingen die griechische Politik mit deren Einverständnis zu einer totalen Kurskorrektur.«

Die Frage ist, was nach dieser Rosskur von dem Land bleibt! Anders lässt sich das, was den Griechen, und nicht nur den Politikern unter ihnen, noch alles bevorsteht, schwer beschreiben. Eine massive Einschränkung der Souveränität des »Schuldensünders« gilt für die Geldgeber bereits als gesetzt. Juncker ließ da keine Luft ran. Und damit ist die griechische Flanke offen. Für wohlmeinende Ratschläge, die anderenorts zu anderer Zeit bereits für teilweise tragische Entwicklungen sorgten: massive Privatisierungen von Staatseigentum mittels einer »Lösung nach dem Vorbild der deutschen Treuhandanstalt«. Meint Juncker.

Ob man nun von einer Art europäischem »Marshall-Plan« spricht oder andere gute Ratschlägen gibt – von den Griechen wird eine »kollektive Antwort« erwartet. Was im Klartext heißen dürfte, neue, noch tiefere Einschnitte im gesamten gesellschaftlichen Gefüge zu akzeptieren. Die Antwort wird bereits massiv gegeben, auf dem Syntagma-Platz. Doch das Zerstörungspotenzial der Pläne der Marschälle dürfte viel weitreichender sein.

** Aus: Neues Deutschland, 4. Juli 2011 (Kommentar)


Das Treuhandmodell

Griechenland unter Diktat

Von Arnold Schölzel ***


Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker spricht es im Focus unmißverständlich aus: »Die Souveränität der Griechen wird massiv eingeschränkt.« Für die anstehenden Privatisierungen benötige Athen eine Lösung nach dem Vorbild der deutschen Treuhandanstalt. Man dürfe die Griechen nicht beleidigen, aber müsse ihnen helfen: »Sie haben sich bereit erklärt, eine Expertise-Zufuhr aus der Euro-Zone anzunehmen.« Griechenland habe jahrelang vom Euro profitiert und »durch eigenes Verschulden« die Krise ausgelöst.

Da spricht nicht gerade ein Sieger der Geschichte, und das ist anders als vor 20 Jahren, als die Treuhand, die nun Modell sein soll, die DDR übernahm. Damals log der amtierende Bundeskanzler, es werde im Zusammenhang mit der Privatisierung der volkseigenen Betriebe und der zu erwartenden Massenarbeitslosigkeit keine Steuererhöhungen geben, und wurde wiedergewählt. Es hörte sich an wie: Einige Probleme mag es geben, aber dann blühen die Landschaften und alles wird aus der Portokasse bezahlt. Imperialistische Expansion lebt auch von der Propagandalüge, erst recht, wenn es nicht mehr nur im Gebälk knirscht, sondern große Brocken aus der Fassade fallen.

Das geschieht dem Kapitalismus gerade. Auf den Zusammenbruch angeblich »systemrelevanter Banken« 2008 folgte sehr rasch der Finanzkollaps von Staaten. Die Griechenland-Krise ist in erster Linie ein weiterer Schub der seit drei Jahren andauernden Finanzkrise. Die großen Töne, die im September und Oktober 2008 von der Bundeskanzlerin und ihrem Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) zu hören waren, sind Bemühungen gewichen, die – wie am Wochenende geschehen – von den EU-Finanzministern dekretierte Rettung von Banken als Hilfe für Griechenland auszugeben.

Ja, Griechenland steht unter Kuratel, und die Entscheidung des griechischen Parlaments vom Mittwoch, das EU-Diktat zu akzeptieren, läßt sich mit dem Durchwinken der Staatsverträge zum DDR-Anschluß in der Volkskammer 1990 vergleichen. Die staatliche Souveränität ist weg. Das gilt 2011 noch mehr als damals, denn heute geht es um ein Doppeldiktat. 1989/90 spielten Deutsche Bank und andere Finanzinstitutionen bei der Formulierung der Anschlußstrategie für die DDR – »Rasches Ende mit Schrecken, aber dann ›Aufschwung‹« – bereits eine entscheidende Rolle. Heute erscheint die Politik nur noch von einer Handlungsmaxime getrieben: Das Modell einer durch Finanzblasen getriebenen Ökonomie darf nicht beschädigt werden, egal, ob dies nur dadurch zu haben ist, daß der nächste Crash vorbereitet wird. Von »Aufschwung« redet da keiner mehr.

Die Frankfurter Allgemeine rechnete am Sonntag (3. Juli) vor, daß die von den deutschen Banken angeblich zugesagte Beteiligung am zweiten »Hilfspaket« für Griechenland wesentlich weniger kostet als behauptet. Nicht nur die Griechen haben ihre Souveränität aufgegeben.

*** Aus: junge Welt, 4. Juli 2011


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