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Griechenland in Fesseln

Hektische Krisendiplomatie nach weiterer Verschärfung der hellenischen Schuldenkrise

Der Kreditbedarf Griechenlands in den kommenden Jahren ist offenbar höher als bislang gedacht. Nach der Abwertung der Bonität durch eine Ratingagentur kann das südeuropäische Land die internationalen Finanzmärkte nicht mehr anzapfen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB) setzen Griechenland massiv unter Druck, zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit schnell ein Drei-Jahres-Sparpaket zu schnüren. Es sei extrem wichtig, dass die Gespräche in Athen in den nächsten Tagen beendet würden, sagte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet am Mittwoch (28. April) nach Treffen in Berlin mit Regierungs- und Oppositionsvertretern. Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass es ein »sehr gutes Ende« geben werde. IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn betonte: »Jeder Tag, der verlorengeht, verschlechtert die Situation.« Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, vor weiteren Entscheidungen müssten die Ergebnisse der direkten Verhandlungen Athens mit dem IWF über ein Sanierungsprogramm abgewartet werden.

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) bezifferte das Gesamtvolumen des Kreditpakets von EU und IWF in den kommenden drei Jahren auf bis zu 135 Milliarden Euro. Nach Medienberichten will der IWF seine Kreditzusagen in diesem Jahr um 10 auf 15 Milliarden Euro erhöhen. »Das Zögern und Zaudern der Europäischen Union, angestiftet durch die Bundeskanzlerin, hat die Krise verschärft und den Konsolidierungsbedarf in die Höhe getrieben«, kritisierte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin nach dem Treffen mit Trichet und Strauss-Kahn. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte mit Blick auf die Verabschiedung des Hilfspakets im Parlament, er könne sich nicht vorstellen, »dass der Bundestag zustimmt ohne durchgreifende Maßnahmen auf den Devisen- und Finanzmärkten«.

Der Gesetzentwurf, der einen Kredit durch die staatliche KfW ermöglichen soll, könnte bereits am kommenden Montag (3. Mai) vom Kabinett beschlossen werden, wie Vize-Regierungssprecherin Sabine Heimbach sagte. Sollten EU-Kommission, IWF und EZB die Hilfsbedürftigkeit Griechenlands bis dahin festgestellt haben, bleibe es bei dem Plan, den Gesetzentwurf am Freitag kommender Woche vom Bundesrat billigen zu lassen. Die Länder der Eurozone wollen sich nach Angaben von EU-Ratspräsident Herman van Rompuy um den 10. Mai treffen und über die Freigabe der Hilfen entscheiden.

Der griechische Regierungschef Giorgos Papandreou rief die Länder der Eurozone in Athen zu schneller Hilfe für sein Land auf. Europa und die Eurozone müssten in einer gemeinsamen Anstrengung verhindern, dass sich das »Feuer auf die europäische und die Weltwirtschaft ausbreitet«. Nach Meinung der griechischen Linksallianz SYRIZA ist die Krise kein griechisches, sondern ein europäisches Problem. Der eingeschlagene »Rettungsweg« habe sich als »katastrophal erwiesen«. In diesem kritischen Moment sei Solidarität dringend erforderlich.

Um weitere Schläge gegen das griechische Finanzsystem zu verhindern, hat die Börse in Athen ein befristetes Verbot für Leerverkäufe erlassen, mit denen auf fallende Kurse gewettet wird. Am Dienstag hatte die Ratingagentur Standard & Poor's die Bonität griechischer Staatsanleihen um drei Noten auf »Ramschniveau« herabgestuft. Die von Investoren geforderte Rendite für zehnjährige Anleihen sprang mittlerweile auf über elf Prozent. Angesichts derart hoher Kosten für seine Staatsschulden kann Griechenland laut Finanzminister Giorgos Papakonstantinou auf den Märkten kein Geld mehr aufnehmen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. April 2010


Keine Panik, aber große Sorgen unter den Griechen

Schuldenkrise Athens hat sich über Nacht verschärft / Die Sozialkürzungen werden die Wirtschaftsmisere noch verschärfen / In Portugal soll es nicht so weit kommen

Von Anke Stefan, Athen **


Nach der neuerlichen Herabstufung der Bonität Griechenlands fragt man sich auch unter der Akropolis: Wie bankrott sind wir eigentlich?

»Panik in Griechenland« titelten einige deutschsprachige Medien am Morgen danach. Nachdem die Ratingagentur Standard & Poor's am Dienstag die Kreditwürdigkeit des Landes auf BB+, also in die Kategorie »Schrott«, herabgestuft hatte, hätten die Fernsehsender ihr Programm unterbrochen, um über den »neuen Schlag gegen die Wirtschaft des Landes« zu berichten. Auf »Spiegel online« wurden »deutsche Wirtschaftsexperten« zitiert, nach denen das Land unausweichlich auf einen Bankrott zusteuere.

Am Fuße der Akropolis in Athen aber war am Mittwoch von Panik nichts zu spüren. Weder aufgeregte Menschenansammlungen noch Schlangen vor den Banken oder gar geschlossene Bankschalter, vor denen verzweifelte Rentner krückstockschwingend auf die Auszahlung ihrer Ersparnisse drängten. In der griechischen Hauptstadt herrschte vielmehr »Business as usual«.

Dies bedeutet aber natürlich nicht, dass man sich in der Bevölkerung keine Sorgen machen würde. Besonders die sofortigen Beteuerungen des griechischen Finanzministers Giorgos Papakon-stantinou, die Geldeinlagen bei den griechischen Banken seien absolut sicher, dürften eher zum Gegenteil als der beabsichtigen Beruhigung der Bürger beigetragen haben. Zu oft sind die Menschen in dem angeschlagenen Mittelmeerstaat in den letzen Monaten belogen worden. Wieder und wieder hatte Ministerpräsident Giorgos Papandreou von der sozialdemokratischen PASOK betont, das Land werde aus eigener Kraft mit der Krise fertig, man benötige die Hilfe Europas nicht und werde schon gar nicht beim Internationalen Währungsfonds (IWF) Zuflucht suchen. Ganz zu schweigen von den Versprechen im Wahlkampf, eine Kürzung bei Renten und Löhnen käme schon deswegen für die PASOK nicht in Frage, weil derartige Maßnahmen unausweichlich die Vertiefung der Krise nach sich ziehen würden.

Doch die Sorgen um die eigenen Ersparnisse dürften sich bei den meisten sehr in Grenzen halten. Der Anteil der Aktienbesitzer und Inhaber prall gefüllter Bankkonten an der Bevölkerung ist gering, die überwiegende Mehrheit hat eher Schulden als Einlagen bei den griechischen Finanzinstituten. Sorgen bereitet den Menschen im Lande vielmehr die Wirtschaftskrise, welche die von der Regierung getroffenen Sparmaßnahmen noch vertiefen werden. In den Monaten seit der Regierungsübernahme durch die PASOK ist die offizielle Arbeitslosenrate von etwa 9 auf etwa 13 Prozent gestiegen, fast in jeder Familie gibt es mindestens einen Arbeitslosen. In jedem Stadtviertel kann beobachtet werden, dass kleine Geschäfte schließen, und allein in Athen steht etwa eine halbe Million neugebauter Wohnungen leer.

Ein Ende der wirtschaftlichen Misere ist derweil nicht abzusehen. Geht es nach dem Willen der in der Landespresse als »Troika« bezeichneten Abgesandtenkommission von EU, Europäischer Zentralbank und IWF, kommen neben den bereits beschlossenen sozialen Einschnitten neue harte Maßnahmen auf die griechischen Lohnabhängigen zu. Zu diesen zählen der Abbau des Kündigungsschutzes, drastische Senkungen der ohnehin kärglichen Renten, die Ausdehnung der im öffentlichen Dienst bereits vorgenommenen Kürzungen von Weihnachts-, Oster- und Urlaubsgeld um 30 Prozent auch auf die private Wirtschaft sowie ein weiterer drastischer Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst. Die Regierung hat bereits klargestellt, dass sie wenig Spielraum für Verhandlungen über diese Forderungen sieht. »Wir stehen unter Vormundschaft«, hatte Ministerpräsident Papandreou Anfang der Woche erstmals öffentlich eingestanden. Vizekanzler Theodoros Pangalos sprach gleichzeitig davon, die Regierung könne den Kreditgebern keine Grenzen vorgeben.

Genau dies aber wird von Opposition und Gewerkschaften gefordert. Die Gesellschaft verkrafte keine neuen Maßnahmen, soll sogar Antonis Samaras, Vorsitzender der größten Oppositions- und ehemaligen Regierungspartei, der konservativen Nea Dimokratia, Pressemeldungen zufolge den Abgesandten von EU und IWF bei einem Treffen am Montag mitgeteilt haben. Die beiden Gewerkschaftsdachverbände GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) haben unterdessen einen neuerlichen Generalstreik für den 5. Mai angekündigt.

** Aus: Neues Deutschland, 29. April 2010


Irrfahrten

Von Kurt Stenger ***

Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou hat in den vergangenen Wochen schon mehrfach die Irrfahrten des Odysseus bemüht, um den Bürgern die bevorstehenden Abenteuer und Opfer bildlich nahezubringen. Homers Held musste bekanntlich gegen Kyklopen, Sirenen, die Meeresungeheuer Skylla und Charybdis bestehen, bevor er letztlich doch sein Ziel, die Heimatinsel Ithaka, erreichte. Wenn wir tapfer wie Odysseus sind, werden wir es schaffen, lautet des Premiers Botschaft.

Tatsächlich gibt es zahlreiche moderne »Ungeheuer«, die den Griechen immer härter zusetzen. Spekulanten wetten auf die Pleite, Ratingagenturen fällen ins Blaue hinein vernichtende Urteile, die deutsche Kanzlerin zögert rasche Kredithilfen hinaus, EU und IWF fordern von dem finanziell schwer gebeutelten Staat immer neue Sozialkürzungen.

Doch im Unterschied zur antiken Heldengeschichte ist das Schlingern Griechenlands durch eine langjährige tiefe Wirtschaftskrise nicht alternativlos. Auch wenn es schon etwas Gebetsmühlenartiges hat: Die nach der Lehman-Pleite beschworene Kontrolle und strenge Regulierung der Finanzmärkte, Spekulanten und Ratingagenturen werden dringend benötigt. Sie wären das Ende von Panikschürern und panikartigen Notlösungen, die die Sache nur verschlimmern. Die Irrfahrten an den Finanzmärkten, die schließlich vor allem die einfachen Leute in Griechenland und anderswo hart treffen, müssen endlich gestoppt werden.

*** Aus: Neues Deutschland vom 29. April 2010 (Standpunkt)


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