Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Athener Krise ist Folge der neoliberalen EU-Struktur

EU-Banker loben Papandreou – Gewerkschaften machen mobil

Von Anke Stefan, Athen *

Finanzkapital, Liberale und Konservative im Ausland jubeln, die Linke und die Gewerkschaften in Griechenland dagegen protestieren gegen das jüngste sozialdemokratische »Sparpaket«.

Während Jürgen Stark, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, der am Montag mit EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn in Athen und der Regierung Papandreou beraten hatte, gestern das »verschärfte Sparprogramm« Griechenlands lobte, sind die Reaktionen der unmittelbar Betroffenen ganz anders. Gewerkschaften und Linke machen gegen die ihrer Meinung nach nicht nur ungerechten, sondern auch völlig falschen Maßnahmen mobil.

Etwa 300 Mitglieder der kommunistischen Gewerkschaft PAME besetzten das Finanzministerium und hinderten die Beamten nach Polizeiangaben am Donnerstagmorgen am Betreten des Gebäudes. Über dem Eingang befestigten sie ein Banner mit dem Schriftzug: »Erhebt euch, damit die Maßnahmen nicht in Kraft treten.«

Angesichts des Zusammenbruchs eines korrumpierten und überschuldeten Systems trieben die Politiker Lohnabhängige und Rentner in den Ruin, heißt es in der vom Gewerkschaftsdachverband der öffentlichen Angestellten (ADEDY) herausgegebenen Erklärung. »Statt den öffentliche Dienst, der in schweren Zeiten zum Aufbau des Landes beigetragen hat, in moderner und tragfähiger Weise umzubauen, damit er einen Beitrag zum Ausweg aus der Krise leisten kann, wird er zerstört.« Die Maßnahmen führten »zu einem dramatischen Rückgang des verfügbaren Einkommens der Lohnabhängigen, und das ohne einen analogen Beitrag der Arbeitgeber, Reichen und Superreichen«, kritisierte der Gewerkschaftsdachverband in der privaten Wirtschaft (GSEE). Die Sparmaßnahmen böten keine Perspektive für den Wirtschaftsaufschwung.

Ähnlich wird dies vom linken Bündnis SYRIZA, einem Zusammenschluss der griechischen Linksallianz Synaspismos mit kleineren linken Organisationen, gesehen. Für das Bündnis handelt es sich bei dem Paket um »den stärksten Angriff auf die Lohnabhängigen seit Ende der Militärdiktatur«. Die Regierung setze die »extremste neoliberale Politik um, wobei sie die griechische Wirtschaft den Launen der spekulierenden Finanzmärkte und dem internationalen Bankenkapital ausliefert«.

Das sei auch eine Folge der »heutigen neoliberalen Strukturen der EU«. Die Maßnahmen würden das Land »in eine tiefe und anhaltende Depression« führen und seien »Teil eines umfassenden Angriffs mit dem Ziel eines vollständigen Umsturzes bei den Arbeitsbeziehungen, den Einkommen und dem Sozialversicherungssystem«.

Von einer »Kriegserklärung« spricht gar die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und weist darauf hin, dass letztlich »alle Völker der EU dem gleichen Angriff ausgesetzt« seien. Die Maßnahmen seien keinesfalls nur für die Dauer der Krise gedacht, warnte die KKE in ihrer Stellungnahme und rief das gesamte Volk zum Gegenangriff auf. Selbst wenn die Maßnahmen das Parlament passieren sollten, dürfe der Widerstand nicht erlahmen, betonte KKE-Generalsekretärin Aleka Papariga. »Die eingesammelten Gelder gehen entweder in die Staatskasse im Dienste der Monopole oder fließen direkt in die Taschen der Plutokratie«, warnte sie.

»Gott helfe uns«, gab die in Athen erscheinende konservative Zeitung »Apogevmatini« am Donnerstag den Tenor vieler hiesiger Medien vor. Die Betroffenen des rigiden Sparprogramms wollen sich aber lieber selbst helfen. Bereits am Mittwoch fanden vielerorts Protestdemonstrationen statt. Am gestrigen Abend waren in rund 60 Städten Aktionen geplant. Für den heutigen Freitag haben ADEEDY und GSEE zu einer Arbeitsniederlegung ab Mittag und neuen Protesten aufgerufen. PAME forderte ebenfalls für heute sogar zu einem Generalstreik auf. Auch am 16. März soll wieder landesweit gestreikt werden.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2010


Protest in 59 Städten

Die Griechen wollen den von Brüssel und der Regierung erzwungenen massiven Sozialabbau nicht hinnehmen. 62 Prozent rechnen mit gesellschaftlichen Unruhen

Von Heike Schrader, Athen


Etwa 62 Prozent der Griechen halten es mittlerweile für sehr wahrscheinlich, daß es wegen der ihnen aufgezwungenen »Sparmaßnahmen« zu sozialen Unruhen kommt. Dies geht aus einer am Freitag morgen vorgestellten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Public Issue im Auftrag des griechischen Fernsehsenders SKAI hervor. Einen Vorgeschmack darauf gibt es bereits in diesen Tagen. Die sozialdemokratische Regierung der PASOK ließ am Donnerstag und Freitag das jüngste »Sparpaket« über weitere 4,8 Milliarden Euro, das fast ausschließlich von den Lohnabhängigen zu bezahlen ist, im Parlament beschließen. Zur gleichen Zeit wurde das Land von einer ganzen Welle an Protesten erschüttert.

Ganztägig Streik

Obwohl sich die beiden sozialdemokratisch geführten Gewerkschaftsdachverbände GSEE und ADEDY ein weiteres Mal als Streikbremser betätigten, indem sie nur eine dreistündige Arbeitsniederlegung für Freitag ausriefen, traten wichtige Branchen- und zahlreiche Basisgewerkschaften für den ganzen Tag in den Ausstand. Dies war vor allem dem Einfluß der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME geschuldet, die einen ganztägigen Generalstreik gefordert hatte. Neben den in der PAME zusammengeschlossenen Gewerkschaften, darunter Bauarbeiter, Apothekenangestellte und Buchhalter, nahmen aber auch nicht zur PAME gehörige Branchengewerkschaften, wie die der Lehrer, mit einer Beteiligung von über 75 Prozent am 24stündigen Streik teil. Im ganzen Land blieben gestern die Schulen geschlossen. In den Krankenhäusern wurden am Freitag nur Notfälle behandelt, in Athen fiel der öffentliche Nahverkehr aus, Banken und Postbanken schlossen ihre Filialen bereits mittags. Die vierstündige Arbeitsniederlegung der Fluglotsen hielt zwischen 12 und 16 Uhr alle Flieger am Boden. Während die Journalistengewerkschaft ESIEA ihre Mitglieder zu einer zweistündigen Arbeitsniederlegung mobilisierte, schlossen sich die bei den staatlichen Medien Arbeitenden dem ganztägigen Streik an.

In insgesamt 59 griechischen Städten fanden Demonstrationen und Kundgebungen der PAME statt, in Berlin demonstrierten Anhänger der Kommunistischen Partei Griechenlands, KKE, vor der griechischen Botschaft. In Athen versammelten sich Tausende Kommunisten vor dem Parlament, während drinnen in einem Eilverfahren die neuen Lohnkürzungen und Steuererhöhungen durchgestimmt wurden. An einer getrennten Kundgebung ebenfalls vor dem Parlament nahmen die von GSEE und ADEDY in den dreistündigen Ausstand Mobilisierten teil.

»Keine Kompromisse«

Bereits am Donnerstag abend hatten Zehntausende Lohnabhängige in den Straßen Athens protestiert. »Keine Kompromisse, keine Opfer, die Krise soll die Plutokratie bezahlen«, forderte dabei beispielsweise ein Transparent der bei der PAME organisierten Telekommunikations- und Informationstechniker. Bei der Kundgebung der kommunistischen Gewerkschafter vor dem Parlament warnten Sprecher der PAME vor jeder Illusion, daß die bei Löhnen und sozialen Rechten vorgenommenen Einschnitte nur vorläufig seien. Dimos Theodorou von der Gewerkschaft in der Leder- und Stoffverarbeitung Beschäftigter wandte sich gegen die von der Regierung geforderten Beteiligung an der Schuldentilgung. »Die Arbeiter haben nur eine Schuld zu begleichen – aufrecht bleiben, Widerstand leisten, Mut machen.«

»Maßnahmenpaket? Nein Danke!« hieß es auf einem Transparent der zeitgleich wenige Straßen weiter stattfindenden Kundgebung, zu der das Gewerkschaftsnetz der Linksallianz SYRIZA und der Gewerkschaftsdachverband im öffentlichen Dienst ADEDY aufgerufen hatten.

Aus: junge Welt, 6. März 2010



Staatliche Zahlungsunfähigkeit

"Ein Euro-Crash hätte verheerende Wirkung auf die Weltkonjunktur und die übrigen Währungsräume."

Von Robert Kurz **


Seit mehr als einem Jahr gilt der Staat als Retter in der Not der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. In seiner Eigenschaft als »Kreditgeber letzter Instanz« hat er überall in der Welt mittels Geldschwemme der Notenbanken, quasi-kriegswirtschaftlicher Megaverschuldung, Rettungspaketen und Konjunkturprogrammen Auffanglinien gebildet, ohne dass allerdings eine neue autonome Akkumulation des Weltkapitals selbst in Sicht wäre. Der Staat hat jedoch nur eine formale Kompetenz für die Geldschöpfung; substanziell bleibt er an die reale Verwertung des Kapitals gebunden. Alle wissen, dass ein gewaltiges Inflationspotenzial aufgebaut wird, wenn Staatsprogramme die reale Wertschöpfung ersetzen. Wie setzt sich nun dieses Potenzial ökonomisch um?

Griechenland bildet derzeit das schwächste Kettenglied. Bekanntlich lauern ähnliche Fälle im Hintergrund. Man tröstet sich damit, dass Staaten im Unterschied zu Unternehmen oder Banken nicht wirklich bankrott gehen können. Aber was heißt das? Ein Blick auf die Geschichte zeigt, wie Staatsbankrotte gelöst werden: Entweder entschulden sich die Staaten notgedrungen durch Inflation oder in der Steigerungsform durch einen Währungsschnitt. Da Griechenland aber keine eigene Währung mehr hat, wird sein Problem zu dem des gesamten Euroraums. Zunächst verfällt der Außenwert des Euro, gegen den bereits die großen Fonds spekulieren. Das ist keine bösartige Willkür von Finanzhaien, sondern die immanente Konsequenz jeder staatlichen Zahlungsunfähigkeit.

Wenn weitere Fälle folgen, schlägt der Verfall des Außenwerts in den Verfall des Binnenwerts um. Der Grund liegt auf der Hand: Ein in der Luft liegender Währungsschnitt als letztmöglicher »Befreiungsschlag« der Notenbank zwingt die Unternehmen zur galoppierenden Preiserhöhung, um der Entwertung ihres Warenkapitals zu entgehen. Das ist ein selbstläufiger Prozess, weil sich auf diese Weise der Zwang zum Währungsschnitt verstärken würde. Die Gefahr eines Euro-Crashs ist damit gegeben. Allen gegensätzlichen Beteuerungen zum Trotz müssen die zentralen Eurostaaten für Griechenland und weitere Bankrott-Kandidaten haften. Wenn sie aber Griechenland stützen, um den Euro zu retten, bringen sie sich in eine ähnliche Lage, da sie selber bereits an die Grenzen ihrer regulären Finanzierungsfähigkeit stoßen. Der berühmte »Vertrauensverlust« gegenüber dem Bankensystem wiederholt sich gegenüber der Währung. Das ist keine bloß »psychologische« Angelegenheit, sondern Folge harter ökonomischer Tatsachen.

Ein Euro-Crash hätte verheerende Wirkung auf die Weltkonjunktur und die übrigen Währungsräume. Eine allgemeine Entwertung von Vermögen und Einkommen durch Inflation oder Währungsschnitt würde nicht nur die Binnenkonjunktur der EU abwürgen, weil die Globalisierung einen weit höheren Grad von Verkettung aller Wirtschaftsräume hervorgebracht hat als in der Vergangenheit. Ohnehin steht den Staatsfinanzen und damit der Währung auch in den USA, Japan und China das Wasser bis zum Hals. Die ins Spiel gebrachte »kontrollierte Inflation« von maximal 6 Prozent als gebremste Staatsentschuldung droht aus dem Ruder zu laufen, bevor sie begonnen hat. Wie Griechenland innerhalb der Eurozone, so bildet diese als Ganzes aufgrund ihrer fragilen Konstruktion das schwächste Kettenglied im Währungsgefüge der kapitalistischen Zentren. Dass alle Währungen schon jetzt dramatisch gegenüber dem Gold abgewertet sind, ist ein Indiz für die Krise des Geldsystems überhaupt.

** Aus: Neues Deutschland, 5. März 2010 (ND-Wirtschaftskolumne)


Merkel verweigert Beistand

Von Kurt Stenger ***

»Es geht nicht um Hilfsmaßnahmen«, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Blick auf ihre Gespräche mit dem griechischen Regierungschef heute in Berlin. Vermutlich möchte sie sich von Giorgos Papandreou nur von den harten Sparplänen berichten lassen, die sie freilich längst kennt.

Am Thema Beistand für Griechenland wird die Kanzlerin dennoch nicht vorbeikommen. Zwar ist es zwischen Iraklion und Thessaloniki klar, dass das Land sein Haushaltsdefizit selbst in den Griff kriegen muss. Und viele halten den Druck aus der EU, da die eigenen Regierungen über Jahrzehnte versagt haben, für hilfreich. Aber man sieht die Euro-Partner doch in der Pflicht, da diese lange über die Missstände informiert waren, ohne reagiert zu haben. Dabei geht es nicht um Übernahme von Schulden, wie die hiesige Boulevardpresse in ihrer Kampagne gegen die »Pleite-Griechen« behauptet, sondern um vernünftige Bedingungen für die Refinanzierung der Schulden. Das harte Sparpaket hat zwar gewirkt – der Risikoaufschlag gegenüber deutschen Staatsanleihen fiel erstmals seit Wochen auf merklich unter drei Prozent. Doch mit rund 6,75 Prozent sind die jährlich zu zahlenden Zinsen für die neuen Anleihen noch sehr hoch, was die schwierige Haushaltslage weiter verschärfen würde.

Auch der auf EU-Ebene geradezu devot auftretende Premier Papandreou scheint von den leeren Solidaritätsbekundungen die Nase voll zu haben. Er erklärte nun, seine Land könnte sich auch an den Internationalen Währungsfonds (IWF) wenden, sollte die EU jegliche Unterstützung vermeiden. Für Athen hätte ein Beistandskredit des IWF den großen Vorteil, dass dieser relativ zinsgünstig wäre. Doch starke EU-Staaten wie Deutschland möchten ein Eingreifen des Fonds unbedingt vermeiden. Denn setzt sich bei internationalen Investoren die Erkenntnis durch, dass die EU nicht einmal in der Lage ist, die Probleme des Leichtgewichts Griechenlands zu lösen, würde dies den Euro schwächen und die Kreditbedingungen für alle verschlechtern.

Eine solche Brüskierung der Euro-Partner durch die griechische Regierung ist aktuell kaum zu erwarten. Aber Athen erhöht den Druck auf die EU zum Handeln. Da man voll dabei ist, seine schweren Hausaufgaben zu erledigen, hält man dies zu Recht für legitim. Zumindest hinter den Kulissen wird in Berlin über Unterstützung offenbar längst nachgedacht. So könnten sich deutsche Banken beim Kauf griechischer Staatspapiere stark engagieren – und erhalten dafür aus dem Bankenrettungsfonds SoFFin, der immer prall gefüllt ist, oder aus dem Deutschlandfonds Garantien. Berichte über einen solchen »Plan B« hatten die FDP geweckt. Vizekanzler Guido Westerwelle, der sich in letzter Zeit nur mit der römischen Antike beschäftigt hatte, wollte in dieser Woche auf einem Geheimtreffen Informationen von der Kanzlerin über etwaige Pläne.

In Brüssel macht man sich derweil Gedanken über ein Vorgehen gegen Spekulationen, die die Finanzlage Griechenlands massiv verschärft hatten. Die EU-Kommission »überprüft« die Geschäfte mit Kreditausfallversicherungen, die Europäische Zentralbank will eigene Ratings erarbeiten.

Solche Regulierungen, die man nach Ausbruch der internationalen Finanzkrise in der EU verschlafen hatte, kämen für Griechenland zu spät: Am Donnerstag wurde die Platzierung einer neuen zehnjährigen Staatsanleihe mit hohem Zinsaufschlag gestartet. Nach Angaben von Händlern stießen die Papiere bei Investoren auf großes Interesse.

*** Aus: Neues Deutschland, 5. März 2010


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