Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Weniger Protestcamps, mehr Lohnkämpfe

Den Griechen würde es eher helfen, wenn die Menschen in Deutschland für höhere Löhne auf die Straße gingen

Von Peter Nowak *

Eine Veranstaltung diskutierte die Rolle Deutschlands in der Euro-Krise und linke EU-Kritik.

In Griechenland und Spanien protestierten in den letzten Wochen Tausende gegen die Krisenpolitik der EU. In Deutschland hatten Versuche, ebenfalls Protestcamps zu organisieren, wenig Erfolg. Warum die Bewegung nicht überschwappt und Appelle, sich mit den Aktivisten in Madrid und Athen zu solidarisieren, oft gut gemeint, aber hilflos sind, erläuterte der Publizist Jörg Kronauer am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Berlin. Der Kölner Publizist zitierte aus Studien einflussreicher Denkfabriken und ließ Politiker aus der zweiten Reihe zu Wort kommen. In diesen Kreisen wird Angela Merkel als europäische Kanzlerin bezeichnet und die EU als »Weltmacht im Werden« gegen die USA in Stellung gebracht. Kronauer erinnerte daran, dass die Frontstellung gegen den Dollar bei der Euro-Einführung eine wichtige Rolle spielte.

Profitiert von dem gemeinsamen Wirtschaftsraum und der gemeinsamen Währung hat die deutsche Wirtschaft, wie Kronauer an verschiedenen Daten zeigte. Während das deutsche Außenhandelsvolumen wächst, weil der EU-Raum der Hauptabnehmer für deutsche Produkte ist, ist Frankreich ins Defizit gerutscht. Kronauer betonte allerdings auch, dass es innerhalb deutscher Kapitalkreise auch EU-kritische Stimmen gibt. Als aktuelles Beispiel nannte er den Aufruf von Mittelständlern, die sich mit Verweis auf die hohen Kosten gegen die EU-Rettungspakte für Griechenland wandten. Solche Stimmen werden lauter, je stärker die deutsche Industrie ins außereuropäische Ausland exportiert, prognostiziert der EU-Analytiker. »Die Industriezweige, deren Absatzmärke in Asien liegen, haben weniger Interesse an der EU als die Branchen, die für den europäischen Markt produzieren.«

Dass allerdings auch den Plänen der deutschen Eliten Grenzen gesetzt sind, machte der Referent am Beispiel von Zukunftsszenarien führender Banken deutlich. Danach wird die politische und ökonomische Bedeutung Deutschlands, aber auch der EU insgesamt im Jahr 2050 im internationalen Maßstab zurückgehen. Ländern wie China, Indien und Brasilien wird hingegen ein Machtzuwachs prognostiziert. Kronauer wies darauf hin, dass solche Szenarien auch Ursachen verstärkter innerimperialistischer Kämpfe sein können, die durchaus nicht immer friedlich ausgetragen werden müssen.

In der lebhaften Diskussion nach dem Vortrag wurde die Notwendigkeit der Reformulierung einer linken EU-Kritik betont, die weder ein Zurück zum alten Nationalstaat postuliert, noch sich zum linken Feigenblatt des EU-Blocks macht. Die europaweite Forderung nach einer Schuldenstreichung für Länder wie Griechenland könnte eine Klammer für Bewegungen in den unterschiedlichen Ländern sein. Eine Gewerkschafterin brachte einen anderen Aspekt in die Debatte: »Die deutsche Niedriglohnpolitik konkurriert Länder an der europäischen Peripherie nieder. Wenn die Lohnabhängigen in Deutschland für höhere Löhne auf die Straße gehen, stellen sie dieses Modell in Frage und unterstützen auch die Protestierenden in Griechenland und Spanien.«

* Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2011


Die griechische Krise braucht Solidarität

Von Elisabeth Schroedter **

Wegen der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise ist Griechenland seit geraumer Zeit nicht mehr in der Lage, den nationalen Eigenanteil aufzubringen, um Zugang zu europäischen Geldern aus den Strukturfonds zu haben. Jedes Land, das seine Projekte zur regionalen Entwicklung mit EU-Strukturfonds fördern will, muss einen Eigenanteil, die sogenannte Kofinanzierung, erbringen. Denn die EU übernimmt nicht allein die nationale Verantwortung, Regionen mit Entwicklungsschwierigkeiten zu unterstützen, sondern zeigt durch die Übernahme eines Anteils ihre Solidarität mit solchen Regionen. Die Kofinanzierung kann vom Staat, von den Kommunen oder auch aus der Privatwirtschaft kommen. Für Griechenland sind reale Investitionen ein wichtiger Motor, um die wirtschaftliche Entwicklung wieder in Gang zu bringen. Der Einsatz der Europäischen Strukturfonds dafür wäre eine der effektivsten Maßnahmen, um Griechenland aus der Krise herauszuhelfen.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Präsident der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, angeregt hat, Griechenland vorübergehend zu erlauben, von den EU-Kofinanzierungsregeln abweichen zu können und Projekte zu 100 Prozent mit EU-Strukturfonds zu fördern. Diese Ausnahme hätte eine Änderung der EU-Verordnungen zur Folge, der alle 27 EU-Staaten zustimmen müssten. Einen anderen Vorschlag unterbreitete deshalb Kommissionspräsident Barroso im Vorfeld des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs am 24. Juni in Brüssel. Für Griechenland könnte die Kofinanzierungsrate auf 85 Prozent erhöht werden, eine Regel, die sonst nur für die osteuropäischen Länder gilt. Zudem könnte Griechenland seine »Technische Hilfe« (eigentlich in jährlichen Anteilen bis 2013 auszugeben und 100 Prozent EU-Geld) für das Vorbereiten von Projekten und zum Einwerben von Drittmitteln (Krediten) zur Projektkofinanzierung jetzt maximal nutzen. Barroso hofft, dass auf diese Weise ein positives Investitionsklima in Griechenland geschaffen wird. Der Vorteil seiner Vorschläge ist, dass dazu nicht die Verordnung geändert werden muss, sondern es sich nur um eine ungewöhnliche Umverteilung der sowieso für Griechenland bis 2013 vorgesehenen Mittel handelt.

Ich unterstütze die pragmatischen Vorschläge des Kommissionspräsidenten. Griechenland hätte – die Maßnahmen zusammengerechnet – zum jetzigen Zeitpunkt etwa eine Milliarde Euro zur Verfügung und könnte mit EU-geförderten Investitionen seine Wirtschaft ankurbeln. Die Unterstützung Griechenlands ist ein Akt der europäischen Solidarität, dessen positive Effekte bald sichtbar würden. Es ist ein Zeichen der Hoffnung für das Land, dass sich die EU-Staats- und Regierungschefs generell für Barrosos Vorschläge ausgesprochen haben. Denn die Strukturfonds können dabei helfen, die Wettbewerbsfähigkeit griechischer Unternehmen zu verbessern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Besonders wichtig sind in meinen Augen Investitionen in klimafreundliche Bereiche wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Beispielsweise bringen Investitionen in Energieeinsparung bei Gebäuden Aufträge für die Bauwirtschaft und bieten ein besonders großes Jobpotenzial. Das sind traditionelle Jobs, die zum Klimaschutz beitragen. Ihre Techniken und das Know-how sind deswegen noch lange nachgefragt. Griechenland braucht gerade jetzt solche »grünen« Jobs.

** Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2011 ("Brüsseler Spitzen")


Zurück zur Griechenland-Seite

Zur Deutschland-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage