Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Keine Blankoschecks für Athen

Bundesregierung stichelte vor Treffen der Euro-Finanzminister

Von Kurt Stenger *

Nachdem das Parlament in Athen alle Details eines neuen heftig umstrittenen Sparpakets auf den Weg brachte, war nun die EU am Zug, neue Kredite zu beschließen.

In Brüssel sind am Montagnachmittag die Finanzminister der Euroländer zusammengekommen, um über das zweite Rettungspaket für Griechenland zu beraten. Der Chef der Eurogruppe, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, äußerte sich vor Beginn des Treffens optimistisch, dass »wir heute zu endgültigen und abschließenden Beratungen kommen«. Allerdings seien wichtige Details nach wie vor ungeklärt.

Das Paket soll diesmal eine Gesamtsumme von 130 Milliarden Euro umfassen. Es besteht aus mehreren Kredittranchen, die bis zum Jahr 2014 ausgezahlt werden könnten. 30 Milliarden sollen aus Bürgschaften zur Absicherung des geplanten Schuldenschnitts privater Gläubiger bestehen. Außerdem soll in Athen ein Sperrkonto eingerichtet werden, um die Rückzahlung der Hilfskredite zu sichern.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) soll sich mit einem Zehntel, also 13 Milliarden Euro, beteiligen. Das ist deutlich weniger als beim ersten, 110 Milliarden schweren Rettungspaket vom Mai 2010, bei dem der IWF 30 Milliarden trug. Bislang hat sich die internationale Finanzinstitution aber nicht zu einer neuerlichen Beteiligung an den EU-Hilfen geäußert. Allerdings fordern dies die USA, die als größter Kapitalgeber des Fonds die meisten Stimmrechte besitzen. Finanzminister Timothy Geithner erklärte am Sonntag (Ortszeit) in Washington, Griechenland habe »ein sehr starkes und sehr schwieriges Reformpaket« beschlossen und verdiene die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und des IWF.

Auch die französische Regierung äußerte sich vor dem Treffen optimistisch - dem neuen Hilfspaket stehe nichts mehr im Wege. »Wir haben alle Elemente für eine Einigung beisammen«, sagte Finanzminister François Baroin dem Radiosender »Europe 1«. Dagegen kamen aus Berlin neue Sticheleien Richtung Athen. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) tönte, für Griechenland dürfe es »keine Blankoschecks geben«. Geld dürfe nur bei erkennbaren Fortschritten bei den zugesagten Strukturreformen fließen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wiederholte sinngemäß seine provokante Formulierung, Griechenland müsse »über Hilfe und Beratung selbst entscheiden«. Deutschland verlange im neuen Milliardenpaket klare Regeln für die Umsetzung der von Athen versprochenen Reformen.

Das neue Paket ist an den Schuldenschnitt der privaten Gläubiger geknüpft, der die griechischen Staatsschulden um insgesamt 100 Milliarden Euro senken soll. Ob diese Summe zustande kommt, ist indes offen. Laut Medienberichten will die Regierung an diesem Mittwoch den Gläubigern das Angebot zum Umtausch alter Staatsanleihen gegen neue, niedriger verzinste Papiere mit geringerem Nennwert und 30 Jahren Laufzeit unterbreiten. Die Frist soll am 8. März enden.

* Aus: neues deutschland, 21. Februar 2012


Zeit der Demütigungen

Von Kurt Stenger **

Daumen hoch oder Daumen runter für Athen? So lautete am Montag mal wieder die Frage, die die Finanzminister der Euroländer zu beantworten hatten. Nach mehrmaliger Vertagung sollte diesmal wirklich entschieden werden über ein zweites Hilfspaket für den griechischen Staat und seine, privaten wie öffentlichen, Gläubiger.

Natürlich war den Ministern klar, dass ihr Beschluss alles andere als den Schlusspunkt der europäischen Finanzkrise bilden würde. Ein im Internet kursierendes Video eines informellen Brüsseler Zwiegesprächs zwischen einem reichlich arrogant wirkenden Bundesfinanzminister und seinem demütig anfragenden portugiesischen Amtskollegen belegt, dass der nächste Kandidat für ein Kreditpaket II schon bereitsteht. Auch am Tejo haben die abverlangten Sparprogramme in die Rezession geführt, wodurch sich die Schuldensituation noch weiter verschärft hat. Eine normale Staatsfinanzierung ist wie in Griechenland in weiter Ferne. Auch Irland ist längst nicht aus dem Schneider, Italien und Spanien stehen noch auf der Kippe.

Freilich wird es sich jeder Kandidat noch drei Mal mehr durch den Kopf gehen lassen, bevor er in Brüssel eine derartige Hilfsanfrage stellt. Zu abschreckend wirken die Demütigungen vor allem aus Berlin, die die griechische Regierung und ihre Bürger über sich ergehen lassen müssen.

** Aus: neues deutschland, 21. Februar 2012 (Kommentar)


Zurück zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage