Dritter Staatsbankrott?
Hintergrund. Schon zweimal war Griechenland pleite. Die Rezepte zur Konsolidierung der Finanzen sind immer die gleichen
Von Winfried Wolf *
Im Januar erklärte Außenminister Guido Westerwelle im Interview mit der
griechischen Zeitung Kathimerini: »Wir vertrauen voll und ganz darauf,
daß die griechische Regierung die strukturellen Schwächen der
griechischen Wirtschaft energisch angeht.« Daß das Land seit 180 Jahren
von einer politischen, finanziellen und wirtschaftlichen Abhängigkeit
von Deutschland, Großbritannien und Frankreich geprägt ist, daß aus
diesen Abhängigkeiten heraus bereits zwei Staatsbankrotte mit
zerstörerischen Langzeitfolgen resultierten, daß die führenden
europäischen Länder Griechenland immer wieder besetzten und wiederholt
in militärische Abenteuer trieben, liegt nicht im Horizont deutscher
Politik. Auch will sie nicht wahrhaben, daß Deutschland Griechenland im
Zweiten Weltkrieg überfiel, dort schwerwiegende Kriegsverbrechen beging
und bis heute nicht die dafür fälligen Reparationen leistete, daß sich
die Einführung des Euro nachteilig auf die griechische Ökonomie
auswirkte und die eigene Politik der Lohnsenkung im Inneren und der
Exportförderung nach außen die Krise in Griechenland intensivierte, und
auch nicht, daß die deutsche und die französische Industrie die
Hochrüstung Griechenlands und der Türkei betreiben. Daß die
Fakelaki-Ökonomie zu einem erheblichen Umfang nach Griechenland
importiert wurde und der prominenteste Vertreter auf diesem Gebiet der
Schmiergeldwirtschaft der deutsche Siemens-Konzern ist - dürfte
»Mövenpick-Guido« nicht als Teil der griechischen Strukturschwäche
gesehen haben.
Kolonie und Faschismus
Ohne Zweifel hat Griechenland Strukturschwächen - wie jedes einzelne der
diffamierend als »PIGS« bezeichneten Ländergruppe mit Portugal, Italien,
Griechenland und Spanien solche hat. Doch es gibt - wie im Fall der
strukturellen Schwäche der neuen deutschen Bundesländer -
nachvollziehbare Ursachen dafür. Diese sind nur bedingt hausgemacht und
überwiegend durch äußere Faktoren hervorgerufen. In Griechenland ist die
Strukturschwäche wesentlich das Ergebnis einer 150 Jahre währenden
Fremdbestimmung und Fernsteuerung.
Das griechische Königshaus wurde nach Gründung des griechischen Staates
1830 von Deutschland gestellt; die bayerischen Wittelsbacher herrschten
von 1832 bis 1862. Danach - in den Perioden 1863 bis 1924 und 1935 bis
1967 - gab es ein aus Dänemark importiertes Königshaus (Glücksburg), das
sich lange Zeit an britischen Interessen orientierte.
Griechenland war wiederholt von ausländischen Truppen besetzt. 1854 bis
1857 okkupierten britische und französische Truppen den Hafen von
Piräus, um einen griechischen Angriff auf das osmanische Heer, das
weiterhin einen größeren Teil Griechenlands besetzt hielt, zu
verhindern. 1915 bis 1918 wurde das Land erneut von diesen Truppen
besetzt. 1940 überfielen italienische und danach deutsche faschistische
Einheiten das Land. Von 1941 bis 1944 war Griechenland zu einem großen
Teil von deutschen Truppen besetzt.
Der Krieg der westlichen Alliierten gegen das Naziregime ging in
Griechenland in einen Krieg gegen die antifaschistische
Partisanenbewegung über, zunächst getragen von britischen
Besatzungstruppen. Die stark kommunistisch geprägte Nationale
Befreiungsfront (EAM) kontrollierte am Ende des Zweiten Weltkrieges und
in den ersten Nachkriegsjahren zeitweilig große Teile des Landes und
verfügte über einen Massenanhang. Nach der Einstellung der sowjetischen
und der jugoslawischen Waffenhilfe wurde diese Massenbewegung durch eine
von den USA hochgerüstete bürgerliche Armee militärisch zerschlagen.
Es folgten 15 Jahre mit einer stark eingeschränkten bürgerlichen
Demokratie und einem »Bürgerkrieg von oben«. 1967 errichteten
griechische Obristen eine faschistische Diktatur, die bis 1974
andauerte. Es kam zur Internierung und Folterung von Tausenden
Gewerkschaftern und Linken. Der Putsch wurde auf Basis eines NATO-Plans
(»Prometheus«) durchgeführt und das Obristenregime von der CIA
unterstützt. Während der Diktatur gab es NATO-Manöver unter Einschluß
griechischer und westdeutscher Truppen. In Deutschland wurde die
Diktatur vor allem durch die CSU finanziell und politisch unterstützt.
CSU-Chef Franz Josef Strauß rechtfertigte das Terrorregime auch mit
wirtschaftlichen Argumenten und stellte 1976 im Spiegel fest: »Die
griechische Drachme ist heute die stabilste Währung der Welt« (Spiegel
39/1976).
Staatsbankrotte I und II
Die strukturelle und personelle Fremdbestimmung wurde durch die
finanzielle ergänzt, die einige Parallelen zur aktuellen Situation
aufweist. Griechenland war seit der Staatsgründung 1830 von den
wirtschaftlich stärksten europäischen Staaten finanziell extrem
abhängig. Sofort nach Erringung der formellen Unabhängigkeit gaben die
Briten dem neuen Staat Kredite. Regelmäßig wiederkehrende Aufstände,
Revolten, Besetzungen, militärische Abenteuer und die Politik von
Großgrundbesitzern, Militärs und Hofclique ließen die Staatsschuld
anschwellen und mündeten 1893 in einen ersten Staatsbankrott. Die tiefe
wirtschaftliche Krise führte zu einem Massenexodus - in den Jahren 1890
bis 1914 emigrierte ein Sechstel der griechischen Bevölkerung, bevorzugt
nach den USA und Ägypten.
Die Bilanz der damaligen Verschuldungsstruktur liest sich weitgehend wie
eine Bilanz der aktuellen Struktur griechischer Schulden: »Von den 770
Millionen Goldfranken Kredit, die nötig gewesen waren, um den
griechischen Staat am Leben zu erhalten, wurden nur sechs Prozent für
Investitionen im Produktionsbereich ausgegeben, während der Rest für
Militärausgaben, Militärentschädigungen und zur Deckung des ständigen
Budgetdefizits verwendet wurde.«[1]
Eine »Lösung« für den Pleitestaat bestand vor 110 Jahren, vor 90 und vor
80 Jahren darin, daß dieser gewissermaßen im Auftrag der Gläubigerbanken
in militärische Abenteuer getrieben wurde. 1897 führte Griechenland
einen Feldzug gegen das osmanische Reich, der in einer militärischen
Katastrophe und in einer internationalen Kontrolle der griechischen
Staatsfinanzen endete. 1919 mußten griechische Soldaten als Polizisten
der Entente gegen die junge russische Revolution in der Ukraine kämpfen.
In den Jahren 1920 bis 1922 führte die griechische Armee einen Feldzug
gegen die junge bürgerliche türkische Revolution. Dieser endete in der
»Kleinasiatischen Katastrophe«: 1,2 Millionen Griechen mußten
Kleinasien in der heutigen Türkei verlassen. 1932 kam es wegen der
erforderlichen Integration des Flüchtlingsheeres aus der Türkei und im
Zuge der Weltwirtschaftskrise zum zweiten Staatsbankrott. Griechenland
erhielt neue Kredite nur noch zu überhöhten Zinsen und unter Bevorzugung
britischer Investitionen.
Das Modell der überhöhten Zinsen ist auch das Modell vom April 2010.
Geändert hat sich lediglich die Gläubigerstruktur: Heute sind es vor
allem französische, Schweizer und deutsche Gläubiger, die die
griechischen Auslandsschulden in ihren Büchern haben: Das Balkanland war
Ende 2009 im Ausland mit rund 303 Milliarden US-Dollar verschuldet.
Davon entfielen 75,5 Milliarden auf französische Banken, 64 Milliarden
auf schweizerische und 43,2 Milliarden auf deutsche Institute. Die
Banken dieser drei Länder vereinen sechzig Prozent der griechischen
Auslandsschuld auf sich. Auf die US- und britische Banken entfallen
weitere 29 Milliarden Dollar oder knapp zehn Prozent.
Deutsche Kriegsverbrechen
Während der deutschen Besetzung Griechenlands begingen SS und Wehrmacht
schwerste Kriegsverbrechen. Die Gesamtzahl der Opfer unter der
Zivilbevölkerung wird auf 160000 geschätzt. Darunter befinden sich 60000
griechische Juden, die deportiert und ermordet wurden. Darüber hinaus
starben 300000 Menschen an Hunger und Kälte, weil die deutschen Besatzer
die Ernten abtransportierten. 1700 Dörfer und 400000 Häuser wurden
zerstört und 1,2 Millionen Griechen obdachlos.
1946 bezifferten die Siegermächte die Höhe der Reparationsansprüche
Griechenlands auf sieben Milliarden US-Dollar. Nach aktuellen Werten
sind dies mehr als 50 Milliarden Euro - noch ohne jede Verzinsung. Im
Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurde vereinbart, daß es
Reparationsleistungen erst mit einem Friedensvertrag und nach einer
deutschen Wiedervereinigung geben könne. 1959 wurde in Griechenland der
ehemalige »Kriegsverwaltungsrat« von Thessaloniki, Max Merten,
verantwortlich für die Deportation und Ermordung der Juden dieser Stadt,
verhaftet und verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt bestand auch eine gewisse
Gefahr, daß es zwischen Griechenland und der DDR ein
Entschädigungsabkommen geben und damit zu einer De-facto-Anerkennung der
DDR durch Athen kommen könnte. Um das zu verhindern und um Merten
freizukaufen, leistete Bonn 1961 115 Millionen DM
»Wiedergutmachungszahlung«. Athen überstellte Merten nach nur acht
Monaten Haft in die BRD, wo er vor ein deutschen Gericht gestellt werden
sollte, was aber nie geschah. Für die Bonner Regierung war das 1961er
Abkommen ein lukratives Geschäft, da fortan behauptet werden konnte, das
Thema »Reparationen« sei vom Tisch. Doch weder der Charakter des
Abkommens noch die Höhe der Zahlung rechtfertigen eine solche
Interpretation.
Mit der deutsch-deutschen Vereinigung von 1990 und dem
Zwei-plus-Vier-Vertrag gelangte das Thema wieder auf die Tagesordnung.
Die jeweiligen griechischen Regierungen und die Opferverbände des Landes
meldeten immer wieder ihre diesbezüglichen Forderungen an. Auch die
griechische Justiz erkannte diese Ansprüche als berechtigt an. Doch die
deutschen Regierungen unter Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela
Merkel stellten die Ohren immer auf Durchzug. Es ist also die deutsche
Seite, die beim Thema Reparationen seit 60 Jahren auf Zeit spielt, um
dann zu erklären, die Angelegenheit sei »verjährt«.
Verlust eigener Währungspolitik
Am Beginn des Projekts »Einheitswährung« (Euro) gab es seitens der
deutschen Bundesregierung zwei widersprüchliche Zielsetzungen: Auf der
einen Seite sollte die räumliche Ausdehnung der gemeinsamen Währung
möglichst groß sein. Dadurch gab es auch einen großes Absatzgebiet für
deutsche Exporte, wobei es in allen Euro-Ländern nicht mehr die
Möglichkeit zur Währungsabwertung geben würde. Auf der anderen Seite
sollten die Mitgliedsländer dieser Währung zu einer strengen
marktliberalen Finanzpolitik - gegebenenfalls auf dem Rücken ihrer
Bevölkerungen - gezwungen werden. Daher die Maastricht-Kriterien, nach
denen das jährliche Defizit maximal drei Prozent des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die gesamten öffentlichen Schulden
maximal 60 Prozent des BIP betragen durften. Tatsächlich wurde gegen
beide Kriterien von Anfang an verstoßen - und zwar nicht nur von
Griechenland. Beispielsweise lag die öffentliche Schuld Italiens oder
Belgiens bereits bei der Euro-Einführung bei rund 100 Prozent - ähnlich
der griechischen. Wenn man bei diesem Thema in Berlin und Paris
Großzügigkeit walten ließ, dann deshalb, weil dies im Interesse der in
Euro-Land führenden Ökonomien lag. Seit Einführung des Euro konnten
diese Staaten ihre wirtschaftliche Vormachtstellung ausbauen - vor allem
auch deshalb, weil die regelmäßigen Abwertungen von Lira, Peseta, Escudo
und Drachme, mit denen in den Jahrzehnten zuvor die Länder Italien,
Spanien, Portugal und Griechenland die deutsche und französische
Exportoffensive teilweise hatten ausbremsen können, mit der Einführung
des Euro vom Tisch waren.
Charakteristisch für diesen Prozeß ist Griechenland. Allein im Zeitraum
1979 bis 1993 wurde die Drachme gegenüber der DM um 86 Prozent
abgewertet. Die Preise für deutsche Exportgüter verdoppelten sich fast.
Seit Einführung des Euro gibt es für Griechenland - und für andere
wirtschaftlich schwächere Länder der EU - dieses Mittel nicht mehr. Die
Konkurrenzfähigkeit Griechenlands nahm dementsprechend drastisch ab,
zumal Berlin im eigenen Land eine Politik der Lohnkostensenkung und der
Exportforcierung betrieb.
Waffengeschäfte der BRD
Bundeskanzlerin Angela Merkel meint mit den »Hausaufgaben«, die
Griechenland machen müsse, sozialen Kahlschlag: Hochsetzung des
Rentenalters, Anhebung der Mehrwertsteuer, Abbau des öffentlichen
Sektors. Damit wird mitten in der weltweiten Krise die innergriechische
Krise verschärft, das Defizit gesteigert, die Verschuldung erhöht. Seit
Frühjahr 2010 beschleunigt sich in Griechenland der BIP-Rückgang. Die
Gefahr eines - dann dritten - Staatsbankrotts ist real - auch dann, wenn
30 Milliarden Euro an neuen EU-Krediten fließen, da die Verzinsung
dieser neuen Kredite ausgesprochen hoch ist. Athen könnte so erneut
einen halbkolonialen Status erhalten, wie es ihn in früheren Zeiten gab
und bereits in Bosnien-Herzegowina gibt.
Dabei taucht im Rahmen der Debatte um griechische Sparprogramme ein
Bereich nicht auf: die Rüstungsausgaben. Die führenden EU-Staaten
Frankreich und Deutschland sind maßgeblich an der Hochrüstung
Griechenlands beteiligt - und das soll auch in den gegenwärtigen
Krisenzeiten so bleiben.
In den 1990er Jahren begann eine neue Hochrüstungsphase der feindlich
gegenüberstehenden NATO-Mitgliedsstaaten Griechenland und Türkei. Im
Zeitraum 1990 bis 2008 kaufte Griechenland Kriegsmaterial im Wert von
rund 75 Milliarden Euro. Die Rüstungskäufe Ankaras lagen doppelt so
hoch. Hintergrund dieses Konfliktes ist die griechisch-türkische
Geschichte und die türkische Besetzung des nördlichen Teils von Zypern
im Jahre 1974; seitdem sind türkische Truppen dort als Besatzungsmacht.
Regelmäßig donnern türkische Kampfflugzeuge über griechische Inseln vor
der türkischen Küste. Die türkische Marine unterhält eine große Zahl von
Landungsbooten, die nur für eine Invasion griechischer Inseln Sinn
machen. Weder die NATO noch die EU, in der Griechenland Mitglied und mit
der die Türkei assoziiert ist, unternahmen bisher nachhaltige Maßnahmen,
um diesen Konflikt zu beseitigen.
Von dieser Auseinandersetzung profitieren vor allem Deutschland und
Frankreich als Rüstungslieferanten und Gläubiger. 2009 lag der Anteil
der griechischen Rüstungsausgaben am BIP bei 4,3 Prozent. Das ist gut
das Doppelte des deutschen Werts. Noch krasser sieht es beim Einkauf
neuer Waffen aus. Während die griechische Bevölkerung 0,2 Prozent der
Weltbevölkerung ausmacht, liegt der Anteil der griechischen Käufe auf
dem weltweiten Rüstungsmarkt beim Zwanzigfachen (bei vier Prozent oder
3,2 Milliarden Euro). Athen erhält den größten Teil seiner Waffen aus
Deutschland und Frankreich. Deutschland exportiert vor allem
Leopard-Panzer von Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) und Kriegsschiffe von
Thyssen-Krupp-Marine-Systems. 2009 schloß TKMS mit Ankara einen Vertrag
zur Lizenzherstellung von sechs deutschen U-Booten im Wert von zwei
Milliarden Euro. Französische Rüstungskonzerne vereinbarten im gleichen
Jahr mit Athen die Lieferung von sechs Kriegsschiffen im Wert von 2,5
Milliarden Euro. Als Außenminister Westerwelle Anfang 2010 in Athen zum
Staatsbesuch aufhielt, sprach er sich für einen Athener Großauftrag zum
Kauf von Eurofighter-Kampfflugzeugen aus.
Alle aktuellen Sparmaßnahmen der griechischen Regierung bringen 2010
Einsparungen im Wert von 4,8 Milliarden Euro. Allein für den Kauf von
Rüstungsgütern gibt die »sozialistische« Regierung in Athen im laufenden
Jahr 2,8 Milliarden Euro aus. Das entspricht knapp 60 Prozent der
genannten Einsparungen im sozialen Bereich.
Eine zentrale Rolle im Rüstungsgeschäft spielt der Siemens-Konzern. Die
Siemens AG ist der Lieferant der Brennstoffzellentechnik für die
U-Boote, die an Athen geliefert werden. Siemens ist auch mit 49 Prozent
am Panzerbauer KMW beteiligt. Der griechische Vizeverteidigungsminister
Panos Beglitis äußerte Anfang März 2010: »Wir werden alle von der
früheren Regierung geschlossenen Rüstungsverträge erfüllen.« Am 22. März
tat sein Chef, der griechische Verteidigungsminister Evangelos
Venizelos, kund, man habe jetzt eine »Lösung« in der U-Boot-Frage
gefunden. Griechenland werde die in Deutschland bestellten U-Boote im
Wert von 2,85 Milliarden Euro abnehmen und bezahlen - und »zwei weitere
U-Boote bestellen«.
Siemens schmierte
Womit wir mitten durch die »Fakelaki-Ökonomie«, durch die
Schmiergeldwirtschaft waten. Wenn der Spiegel und viele deutsche Medien
die in Griechenland nicht unübliche Praxis der Bestechung anprangern,
dann läßt sich dazu sagen: Gelernt ist gelernt. Ein großer Teil der
Geschichte des griechischen Staats ist von einer importierten Korruption
geprägt. Die tatsächlich Herrschenden - die Gläubigerbanken aus
Frankreich, Großbritannien und Deutschland, die Rüstungsfirmen, die an
Griechenland Waffen liefern, und viele große Unternehmen - zahlen dort
seit Jahrzehnten gewaltige Schmiergeldsummen, um noch gewaltigere
Gewinne bei Krediten und Großaufträgen zu erzielen.
Das Beispiel Siemens [2] ist hier herausragend; es steht jedoch für die
allgemeine Praxis, wie sie sich etwa auch für den MAN-Konzern und dessen
Tochter Ferrostahl dokumentieren läßt. 2008 sagte Reinhard Siekaczek,
der ehemalige Topmanager von Siemens und langjährige Chef der schwarzen
Kasse des Elektrokonzerns, vor einem Münchner Gericht aus. Danach hat
allein dieser deutsche Konzern »insgesamt rund 15 Millionen Euro
Schmiergeld pro Jahr aufgewendet«, um in Griechenland Politiker zu
kaufen: um Aufträge für Infrastrukturaufträge bei der Olympiade zu
ergattern, um die griechische Telefongesellschaft OTE »einzukaufen«, um
Rüstungseinkäufe der griechischen Armee in Milliarden-Euro-Höhe zu
finanzieren. Dabei »investierte« Siemens in den letzten Jahren gezielt
in Politiker der beiden großen Parteien - in die christdemokratische Nea
Dimokratia und die sozialdemokratische PASOK. Mit einem solchen
Investment konnten Wahlen aus Sicht der deutschen Industrie keine
Überraschungen bringen. Was sich in der aktuellen Krise zu bestätigen
scheint.
Die Fakelaki-Wirtschaft funktionierte übrigens auch in entgegengesetzter
Richtung. Nach dem Sturz der Junta konnte im Detail dokumentiert werden,
daß viele Junta-freundliche Artikel in westdeutschen Zeitungen wie Die
Welt, Stuttgarter Nachrichten, Nürnberger Zeitung und im ARD-Magazin
»Report« mit Schmiergeld bezahlt und Junta-intern korrekt abgerechnet
worden waren.
Wirksame Antikrisenpolitik
Das ebenfalls importierte und aufgezwungene Sparprogramm muß die
griechische Krise verschärfen. Die neuen Kredite werden die Abhängigkeit
Griechenlands erhöhen, zumal auch ein Zinssatz von deutlich über fünf
Prozent hoch ist und diese Kredite mit einer Art Zwangsregime durch EU
und IWF verbunden sein wird. Ein griechischer Staatsbankrott dürfte
unter diesen Bedingungen nur hinausgeschoben sein.
Eine wirksame Antikrisenpolitik müßte drei Elemente umfassen: 1. eine
konsequente Friedenspolitik, d.h., keinerlei Kauf neuer Waffen, massive
Reduktion der allgemeinen Rüstungsausgaben und eine umfassende
Friedenspolitik gegenüber der Türkei, einschließlich einer Lösung der
Zypern-Frage. Im Gegenzug müßten Rüstungslieferungen an die Türkei
gestoppt werden. 2. gehört dazu eine radikale Besteuerung von Vermögen
und hohen Einkommen in Griechenland. Und 3. eine Lösung der Kriegsschuld
mit Reparationszahlungen durch Deutschland, gegebenenfalls unter
Einbindung von Österreich und Italien.
Anmerkungen
-
C.T. Aris (Hg.): Jean Meynaud, Bericht über die Abschaffung der
Demokratie in Griechenland, 1969, S. 116
-
Angaben zu den Siemens-Schmiergeldern nach Süddeutsche Zeitung vom 26.5.2008
* Aus: junge Welt, 14. April 2010
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