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Schuldenerlaß nötig

Welche Möglichkeiten hat Griechenland, die Finanz- und Staatskrise zu überwinden? Lehren aus dem Fall Argentinien

Von Fernando Krakowiak, Buenos Aires *

Die griechische Schuldenkrise hat auch Argentinien wieder in die öffentliche Debatte gebracht, dessen Staatsbankrott sich in diesem Dezember zum zehnten Mal jährt. In der schwersten Krise der Geschichte des Landes hatte Argenti­niens Regierung im Dezember 2001 die Zahlungsunfähigkeit erklärt und die Bedienung der Auslandsschulden eingestellt – eine Möglichkeit, die auch für Griechenland diskutiert wird.

Nur wenige Tage später erfolgte der zweite Befreiungsschlag. Präsident Eduardo Duhalde ließ die Währung abwerten und beendete damit die zehn Jahre zuvor eingeführte eins-zu-eins-Kopplung des argentinischen Peso an den US-Dollar. Die direkten Folgen für das Land waren katastrophal: Die Krise vertiefte sich, die Wirtschaftsleistung ging um fast elf Prozent zurück. Millionen Menschen stürzten in die Armut. Im Oktober 2001 galten 54,3 Prozent der Bevölkerung als arm, ein Anstieg um 40 Prozentpunkte gegenüber dem Jahr zuvor.

Abschlag akzeptiert

Doch bereits 2003 wuchs die Wirtschaft wieder. Für das Land begann die längste Wachstumsperiode seit 1900. Zwischen 2003 und 2008 stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) jährlich um acht Prozent. Arbeitslosigkeit und Armut nahmen ab, die Reallöhne stiegen. Zudem setzte die Regierung Néstor Kirchner im März 2005 in Verhandlungen mit privaten Gläubigern einen Schuldentausch durch. Vor die Alternative gestellt, gar kein Geld zu bekommen, akzeptierten die Gläubiger einen Abschlag von etwa 70 Prozent. Argentinien erholte sich, weil es keines der Rezepte des Internationalen Währungsfonds (IWF) übernahm, die die Wirtschaftspolitik des Landes in den 90er Jahren bestimmt hatten.

Der Vergleich zwischen Argenti­nien und Griechenland bietet sich an, weil beide Länder vor ihren Krisen ähnliche Prozesse durchlebten. Um die Inflation zu bändigen, hatte die Regierung Carlos S. Menem 1991 den Peso an den US-Dollar gebunden. Mit Erfolg. Die Hyperinflation der 80er Jahre konnte überwunden werden. Stabile Preise und der einfache Zugang zu Krediten führten zu einem starken Konsum. Fatal war, daß dem neuen Reichtum keine produktive Basis zugrunde lag, er war fiktiv. Das Geld wurde zudem zu großen Teilen im Ausland ausgegeben. Riesige Summen verließen so das Land. Umgerechnet 45,5 Milliarden US-Dollar zahlten die Argentinier während der 90er Jahre für Auslandsreisen.

Finanziert wurden dieser Kapitalabzug zu großen Teilen aus öffentlichen Haushalten, die Milliarden aufbringen mußten, um die Bindung des Peso an die US-Währung aufrechtzuerhalten. Dazu mußten neue Schulden aufgenommen werden. Hauptgewinner waren die Banken und Multis, die sich den argentinischen Markt erschließen oder ihre Stellungen festigen konnten.

Auch Hellas durchlebte nach der Euro-Einführung 2001 einen Konsumboom, der durch stabile Preise und verbesserten Zugang zu Krediten begünstigt wurde. Doch auch hier war der Wohlstand fiktiv, profitierten lediglich Banken und Multis. Deutsche wie französische Kreditinstitute und Konzerne finanzierten den Konsum und eroberten den griechischen Markt. Die neue Währung bedeutete für Griechenland einen ähnlichen Autonomieverlust, wie die Dollar-Peso-Kopplung in Argentinien. Beide Länder waren gezwungen, ihre nationale Geld- und Wechselkurspolitik aufzugeben. Für Griechenland waren die Souveränitätsverluste sogar noch ausgeprägter, weil die Drachme als Inlandswährung komplett eliminiert wurde.

Katastrophale Konsequenz

In beiden Ländern wurde versucht, durch Kürzungspolitik ihre aus dem Ruder gelaufenen Haushalte auszugleichen. Die kurzfristigen Konsequenzen waren im argentinischen Fall katastrophal. Und es sieht nicht so aus, daß Griechenland besser davonkommt. Die Hilfspakete, die Argentinien noch Ende der 90er Jahre vom IWF bekam, wurden verwendet, um die Kapitalflucht auszugleichen. Weder floß etwas davon in die ohnehin kaum existenten Sozialsysteme noch wurden öffentliche Gehälter bezahlt. Das griechische Parlament verabschiedete am Mittwoch auch ein »Sparpaket«. Im Gegenzug dafür erhält es von der EU und dem IWF Kredite, die ausschließlich zur Zahlung der Außenstände bei privaten Geldinstituten genutzt werden.

Die Athener Entscheidung für den Euro ist vermutlich eine noch größere Bürde als die Dollarbindung für Argentinien. Daher ist auch der Preis, den Griechenland für einen Austritt aus der Euro-Zone und eine Abwertung seiner Währung zahlen müßte, ungleich höher. Dem Land bleibt lediglich die Möglichkeit, die Schulden bei den privaten Gläubigern umzustrukturieren, sei es, indem es einen kompletten Verzicht durchsetzt oder nur die Zahlungsfristen verlängert. Tun das die Banken freiwillig, umso besser. Falls nicht, muß der Schritt einseitig erfolgen. Nötig ist er in jedem Fall. Sollte Griechenland nur die Rezepte von IWF und EU umsetzen, wird es zu keiner Erholung kommen. Im Gegenteil: Die Hilfspakete dienen einzig dazu, die Banken zu retten, bevor es zu einem sozialen Aufstand kommt.

[Übersetzung: Johannes Schulten]

* Fernando Krakowiak ist Wirtschaftsredakteur der argentinischen Tageszeitung página 12.

Aus: junge Welt, 1. Juli 2011



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