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"Wir brauchen eine afrikanische Lösung"

Subventionierte Produkte aus Europa zerstören Ghanas Landwirtschaft

Ghanas Landwirtschaft leidet seit Jahren direkt unter der Freihandelspolitik der Europäischen Union. Eine Folge ist, dass ghanaische Bauern zusehends von ihren lokalen Märkten verdrängt werden, ihre Einkommen sinken und ihr Recht auf Nahrung verletzt wird, sagt die Nichtregierungsorganisation Sand-Foundation. Mit deren Handelsexperten George Bimpeh sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Haidy Damm.



Agrarsubventionen der EU ermöglichen den Export weit unterhalb der Erzeugungskosten. Seit Jahren kritisieren Nichtregierungsorganisationen diese Handelspolitik. Besonders Italien fördert damit seine Exporte in der Tomatenindustrie. Was sind die Auswirkungen in Ghana?

Nun, die italienische Tomatenindustrie hat beinahe den gesamten Sektor übernommen. Die lokale Landwirtschaft ist nicht mehr in der Lage, ihre Produktionskosten zu decken. Das hat zur Folge, das die lokalen Märkte zusammenbrechen. Die Tomatenanbauer müssen ihre Ernte zu so geringen Preisen verkaufen, dass es sich nicht mehr lohnt. Sie können dieser Konkurrenz nicht standhalten.

Heißt das, die Landwirte mussten aufgeben?

Ja, die Folge ist, dass sie ihre Farmen aufgeben. Viele junge Männer und Frauen verlassen das Land und gehen in die Städte auf der Suche nach Jobs, die es nicht gibt. Sie landen in den Slums der Großstädte und verdingen sich als Tagelöhner, mit Jobs, die gerade ihr Überleben sichern. Einige haben zunächst versucht, eine Zeit mit Krediten zu überbrücken. Aber da sie die Produktionskosten langfristig nicht wieder reinbekommen, mussten auch sie aufgeben.

Wie agiert die Regierung angesichts dieser Handelspolitik aus Europa?

Die Regierung versucht durchaus, einige der aufgegebenen Farmen wieder in Gang zu setzen und den Markt zu schützen. Zum Beispiel versucht sie, die Landwirtschaften zu stabilisieren, indem sie Abkommen über die Abnahme von Tomaten zwischen den Bauern und den verarbeitenden Fabriken unterstützt. Aber diese Maßnahmen gibt es erst seit zwei Monaten und wir können noch nicht sagen, ob diese Strategie fruchtet.

Seit Beginn dieses Jahres hat Ghana einen neuen Präsidenten. Die alte Regierung hatte einem Interimsabkommen über Freihandel mit der EU zugestimmt. Jetzt wird wieder verhandelt. Fährt die Regierung von Atta Mills einen anderen handelspolitischen Kurs?

Soweit ich weiß, plant die Regierung ein Treffen mit den wichtigsten betroffenen Akteuren. Das ist neu. In die bisherigen Verhandlungen waren zivilgesellschaftliche Gruppen nicht einbezogen. Daher hoffen wir, dass in den Verhandlungen berücksichtigt wird, ob die Menschen vor Ort von dem Abkommen profitieren. Aber wir wissen auch, dass die Regierung unter großem Druck steht, ein endgültiges Abkommen zu unterzeichnen. Denn die Europäische Union hat es geschafft, die wenigen Akteure, die von einem solchen Freihandelsabkommen profitieren, zusammenzubringen. Es bleibt unklar, ob die Regierung diesem Druck standhält.

Bisher gab es starke Proteste von Seiten der Zivilgesellschaft. Wo steht der Widerstand jetzt?

Nach wie vor ist es schwierig für Gruppen, an die benötigten Informationen zu kommen, weil die Regierung nicht transparent macht, mit wem sie letztlich am Verhandlungstisch sitzt beziehungsweise sitzen will. Nach wie vor gibt es Kampagnen und Demonstrationen, aber die spannende Frage bleibt: Hört uns jemand zu? Hat das Einfluss auf die Entscheidung der Regierung? Für uns ist es weiterhin wichtig – in Ghana, aber auch in Europa –, wie die Menschen vor Ort informiert werden können und wie wir die Inhalte und die Folgen der Freihandelsabkommen vermitteln können. Denn wir sind sicher, dass unsere Abgeordneten erst zuhören, wenn sie merken, dass die Menschen sich wehren.

Freihandel kombiniert mit subventionierten Produkten aus Europa hat nicht nur viele Tomatenanbauer in den Ruin getrieben. Welche Wirkung haben die EU-Hähnchenexporte?

Eine schlimme. Die Produktion von Hähnchen ist in Ghana schlicht zusammengebrochen. Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.

Auch wenn das Thema nicht mehr die Öffentlichkeit bestimmt. Die weltweite Nahrungsmittelkrise ist alles andere als vorbei. Wie ist die Situation in Ghana?

Wir sind vor allem von dieser Krise betroffen, weil unsere Regierung es nicht geschafft hat, eine Landwirtschaft zu fördern, die unsere eigenen Leute ernährt. So sind wir von Reisimporten abhängig, statt selber welchen zu produzieren und damit ein Stück weit unabhängiger von den weltweiten Lebensmittelpreisen zu sein.

In Senegal hat die Regierung von Präsident Abdoulaye Wade beschlossen, mehr Reis im eigenen Land anzubauen.

Ja, das plant auch unsere Regierung. Aber die Überlegung alleine reicht ja nicht. Bisher ist in dieser Richtung konkret gar nichts passiert. Sie überlegt auch, unsere Landwirtschaft gezielter zu subventionieren. Aber noch warten wir auf die Umsetzung. Und solange leiden wir weiter unter der Nahrungsmittelkrise.

Beim letzten G8-Treffen der Landwirtschaftsminister in Italien wurde eine Ausweitung des Freihandels anvisiert. Was heißt das für Westafrika?

Nichts Gutes. Ich bin sehr skeptisch, was die Ergebnisse dieser Konferenzen angeht. Es gab schon so viele und für uns hat sich nichts zum Positiven entwickelt. Wir sollten uns zusammentun und gemeinsam eine afrikanische Lösung entwickeln.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Mai 2009


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