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Kakao unter bitteren Umständen

Afia Owusu über die prekäre Lage der Farmer in Ghana und mögliche Alternativen *


Am 5. Dezember 2013 findet im Rahmen der Europäischen Kampagne »make chocolate fair« der 1. Europäische Aktionstag für faire Schokolade statt – mit öffentlichen Aktionen in 16 Europäischen Ländern. In Deutschland wird die Kampagne von INKOTA organisiert. Afia Owusu arbeitet in Ghana für das Netzwerk African Cocoa Coalition (ACC) und für die Organisation Cocoa Organic Farmers Association (COFA) und ist Expertin für den Kakaosektor in Ghana. Mit ihr sprach für das »nd« Martin Ling.


Können Sie die aktuellen Probleme im Kakaosektor in Ghana kurz beschreiben?

Die Situation für den normalen Kakaobauern, der auf einer Farm von durchschnittlich drei Acre (1,2 Hektar) mitsamt seiner Familie arbeitet, ist mühselig. Jeden Morgen auf die Pflanzungen, man macht, was man kann und am Ende des Jahres hat man nicht viel erwirtschaftet: Sechs Kakaosäcke à 60 bis 65 Kilo sind das Maximum, was sich aus drei Acres herausholen lassen. Das Einkommen daraus reicht kaum zum Überleben. Fast alle sind gezwungen, zusätzlich Grundnahrungsmittel anzubauen, um ihre Familien ernähren zu können. Kleidung, Gesundheit und Schulgebühren sind daraus kaum zu bestreiten und die Kinder, die in die Schule gehen, haben danach nicht viel Freizeit, weil sie auf der Farm helfen müssen. Kinderarbeit ist eher die Regel als die Ausnahme. Die Lage insgesamt ist beklagenswert.

Wie steht es um die Infrastruktur in den Anbaugebieten von Transportwegen bis hin zu Gesundheitszentren und Schulen?

Die Infrastruktur ist in einem erschreckenden Zustand. Die Straßen sind schlecht, es gibt häufig keine Gesundheitsversorgung in der Nähe. Kraftfahrer, die mit ihren Lastwägen den Kakao transportieren, greifen immer mal wieder zum Streik, um gegen die maroden Straßen aufzubegehren.

Welche Rolle spielt die Regierung? Ghanas Staatswesen hat im afrikanischen Vergleich international einen sehr guten Ruf.

Die Regierung setzt ihre Prioritäten. Kakao ist der zweitgrößte Devisenbringer. Dennoch konzentriert sie ihre Entwicklungsanstrengungen auf die großen Städte wie Accra und Kumasi und nicht aufs Land. Dort gibt es vernünftige Straßen, hier nicht.

Aber wenn Kakao die zweitwichtigste Devisenquelle ist, leuchtet es nicht ein, die Infrastruktur samt Produzenten zu vernachlässigen?

Das gibt in der Tat zu denken. Wenn die Regierung sich nicht um das Problem kümmert und die Kakaoindustrie zugrunde geht, verliert das Land viel Einkommen. Ich weiß nicht, was die Politiker darüber denken. Wenn man sich die ländlichen Gemeinden anschaut, stellt man fest, dass sich die Politiker nicht wirklich um sie kümmern. Sie behaupten zwar, dass sie dort Gelder investieren und dass der Staat für 70 Prozent des Einkommens der Bauern aufkommt, aber man kann keinen Wandel erkennen. Ganz anders in den Städten, wo das staatliche Cocoa Marketing Board (COCOBOD) ansässig ist. Das COCOBOD soll den Kakaoanbau regulieren und die Bauern fördern. Die Mitarbeiter von COCOBOD sind glücklich, sie verdienen gut, bekommen später Renten, sind abgesichert. Im Unterschied dazu die Kakaobauern auf dem Land: Die haben keine Rentenansprüche, keine Versicherungen und sind den Lebensrisiken voll ausgesetzt.

Sie sind Mitglied der Kakaofarmerorganisation COFA. Welche Vorstellungen haben Sie, die Wende im Kakaosektor einzuleiten?

Wir denken beispielsweise an einen nachhaltigen Fonds. Auf jedes Kilo Kakao sollte ein Aufschlag von einem Cedi (etwa 0,32 Euro) gepackt werden, der in den Fonds fließt. Diese Mittel sollten in die ländliche Entwicklung fließen, Infrastruktur ebenso wie in das Training von Farmern in bessere und nachhaltigere Produktionsmethoden zum Beispiel, in Gesundheits- und Bildungsbereich.

Wie wollen Sie das erreichen?

Dafür müssen wir die Bauern besser organisieren. Es gibt nur wenig Organisierte unter den etwa eine Million Kleinbauern und -bäuerinnen bauen, die Kakao anbauen. In der 1998 gegründeten COFA sind es nur ein paar Hundert. In der COFA werden die Bauern ermutigt, sich ihren Anbau als ökologisch zertifizieren zu lassen und die Farmer werden in ökologischem Kakaoanbau unterwiesen. Damit ist es möglich, den Kakao an den Fairen Handel zu einem Mehrpreis zu verkaufen. Diese Mehreinnahmen werden zur Entwicklung der Gemeinden eingesetzt.

Was sind für das Netzwerk African Cocoa Coalition (ACC) die wichtigsten Forderungen?

Für die Kakaofarmer fordern wir Transparenz für die ganze Wertschöpfungskette. Wo geht der Kakao hin, was wird für ihn bezahlt, wer profitiert wie viel? Derzeit haben wir viele alte Kakaobäume in Ghana, die alle bald ersetzt werden müssen. Die Farmer haben nicht die Mittel dazu. Dafür benötigen wir einen Aufforstungsplan und dafür benötigen wir Unterstützung wie Düngemittel. Wir müssen die Regierung davon überzeugen, dass sie die Bedeutung des Kakaosektors erkennt und dass es dem ganzen Land nutzt, wenn er unterstützt wird.

Und wie lauten die Forderungen in Richtung Norden, sowohl was die Süßwarenindustrie als auch die Verbraucher betrifft?

Es geht darum, den Farmern zu helfen, ein besseres Leben zu haben. Es ist wichtig, dass die Konsumenten bereit sind, faire Preise zu bezahlen und dass sowohl Unternehmen als auch Konsumenten uns helfen, die Regierung hier zu bewegen, den Kakaosektor zu stärken.

Sehen Sie eine Zukunft für den Kakaosektor in Ghana?

Es ist noch nicht ausgemacht. Wenn es die nächsten Jahre nicht gelingt, die Weichen richtigzustellen, wird es schwierig. Andererseits: Die Nachfrage nach Kakao wird nicht versiegen. Wenn wir und die Regierung die Sache richtig angehen, gibt es eine Zukunft.

Seit 2010 wird in Ghana Öl gefördert. Die Einnahmen aus dem schwarzen Gold sollen auch für Investitionen in die Agrarwirtschaft verwendet werden, oder?

Das wird gesagt, davon ist aber vor Ort noch nichts zu spüren. Das Erdöl wurde ausgerechnet in einer Region gefunden, wo die Kakaowirtschaft sehr stark ist. Die Ölförderung ist bisher nicht hilfreich, weil sie die Agrarwirtschaft noch weiter in den Hintergrund drängt. Das zu ändern, ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Dezember 2013


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