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Politiker hinter Gittern

Georgien: Früherer Bürgermeister der Hauptstadt in Haft. Expräsident Schewardnadse to

Von Knut Mellenthin *

In Georgien geht die juristische Abrechnung mit der bis vor zwei Jahren regierenden Vereinigten Nationalbewegung (UNM) weiter. Am Freitag entschied das zuständige Gericht in Tbilissi, Untersuchungshaft gegen den früheren Bürgermeister der Hauptstadt, Giorgi (»Gigi«) Ugulawa, anzuordnen. Der 39jährige war am Vortag festgenommen worden, als er ein Flugzeug nach Kiew besteigen wollen. In der ukrainischen Hauptstadt pflegt der Chef der UNM, Michail Saakaschwili, Hof zu halten, seit er im November 2013 das Präsidentenamt aufgeben mußte, das er fast zehn Jahre lang besetzt gehalten hatte. Wie viele ehemalige Regierungspolitiker der UNM zieht Saakaschwili es vor, Georgien zu meiden, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Seinen Hauptwohnsitz hat er in die USA verlegt, wo er eine Dozentenstelle an einer Privatuniversität hat. Er hält sich aber auch oft in Kiew auf, um der dortigen Regierung Ratschläge zu erteilen und sich aus geringerer Distanz um seine Partei zu kümmern.

Gegen den jetzt verhafteten Ugulawa läuft eine Vielzahl verschiedener Verfahren. Das erste wurde im Februar 2013, drei Monate nach dem Regierungswechsel, eingeleitet. Seiner Festnahme in der vorigen Woche liegt hauptsächlich der Vorwurf der Geldwäsche zugrunde. Er soll von einer im Ausland registrierten Firma »Schwarzgeld« angenommen haben, das zur Finanzierung des Parlamentswahlkampfs der UNM im Jahre 2012 bestimmt war. Weitere Anklagepunkte betreffen unter anderem die Zweckentfremdung öffentlicher Mittel zugunsten der Parteikasse in den Jahren 2010 und 2011. Es soll sich um umgerechnet 28,2 Millionen Dollar gehandelt haben. Im Dezember 2013 entschied ein Gericht, daß Ugulawa bis zum Abschluß dieses Verfahrens sein Bürgermeisteramt nicht mehr ausüben darf. Im Mai urteilte das Verfassungsgericht, daß diese Maßnahme unrechtmäßig gewesen sei. Einen Antrag, ihn wieder in seine Position einzusetzen, zog der Exbürgermeister allerdings einige Tage vor seiner Festnahme aus unbekannten Gründen zurück.

Auch der ehemalige Verteidigungsminister Bacho Akhalaia muß weiter in Haft bleiben. Das entschied ein Gericht in Tbilissi am Sonnabend aufgrund neuer Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft macht ihn für die Folterung und sexuelle Mißhandlung von Strafgefangenen im Jahre 2011 verantwortlich. In zwei ähnlichen Verfahren, die auf Akhalaias Zeit als Chef des Gefängniswesens zurückgehen, wurde er bereits freigesprochen. In einem weiteren Prozeß wegen Mißhandlung von Gefangenen im Jahre 2006 wurde Akhalaia im Oktober 2013 zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Gleich danach begnadigte ihn Saakaschwili, wenige Tage vor Ende seiner Amtszeit als Präsident. Akhalaia blieb jedoch wegen weiterer Ermittlungsverfahren in U-Haft.

Für die Regierungen der EU und der USA, die bestrebt sind, die politische und militärische Integration Georgiens in die westliche Allianz auch nach dem Regierungswechsel in Tbilissi voranzutreiben, stellen die Reaktionen auf die Gerichtsverfahren gegen die ehemalige Regierung einen schwierigen Balanceakt dar. Sie beschränken sich, zumindest öffentlich, auf maßvolle Mahnungen, die volle Unabhängigkeit und Transparenz der georgischen Justiz zu schützen. Schärfer äußern sich naturgemäß Sprecher der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, denn diesem Block konservativer Parteien gehört die UNM immer noch an.

Saakaschwilis Vorgänger Eduard Schewardnadse, den die Vereinigte Nationalbewegung im Oktober 2003 durch einen unblutigen Putsch aus dem Amt gejagt hatte, starb am Montag im Alter von 86 Jahren. Als Außenminister unter Michail Gorbatschow von 1985 bis 1991 hatte der Georgier maßgeblichen Anteil an der Freigabe der DDR zur Liquidierung durch das westdeutsche Finanzkapital und am sowjetischen Rückzug aus Mittel- und Osteuropa. Präsident Georgiens wurde er im März 1992 durch einen Staatsstreich. Seine Bestätigung durch eine Wahl folgte erst im November 1995.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 8. Juli 2014


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