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Neues Kabinett

Regierungswechsel in Südossetien. Wahlsiegerin will stärkere Orientierung an Rußland

Von Knut Mellenthin *

Aus der Parlamentswahl in der kleinen Kaukasusrepublik Südossetien am Sonntag ist die Partei Vereinigtes Ossetien als klare Siegerin hervorgegangen. Nach einem am Montag veröffentlichten vorläufigen Ergebnis erhielt sie 43,19 Prozent und wird mit 20 von 34 Abgeordneten über eine absolute Mehrheit verfügen. Von den neun Parteien, die zur Wahl angetreten waren, schafften nur vier den Einzug in das Parlament, da Südossetien eine Sperrklausel von sieben Prozent hat. Die Wahlbeteiligung war mit 60,47 Prozent deutlich geringer als vor fünf Jahren: Damals erreichte sie – allerdings unter autoritären Verhältnissen – angeblich fast 82 Prozent.

Daß die Wahl jetzt frei und fair verlief, wird selbst von westlichen Kommentatoren wie dem US-amerikanischen Propagandasender Radio Free Europe/Radio Liberty zugegeben. Trotzdem beeilten sich Sprecher der NATO und der EU zu erklären, daß sie den Willen der südossetischen Bevölkerung »nicht anerkennen«. Nach ihrer Ansicht müßte dort die georgische Regierung bestimmen, obwohl die Osseten ethnisch und sprachlich keine Georgier sind und nur ganz wenige Jahre ihrer Geschichte unter georgischer Herrschaft standen. Es gibt kaum jemand, der sich diese Zeiten zurückwünscht, und folglich auch keine Partei, die für eine Annäherung an Georgien oder – was de facto aufs gleiche hinausliefe – an die EU plädiert.

Die Wahlsiegerin Vereinigtes Ossetien hatte – neben allgemein geteilten Forderungen wie Bekämpfung der Korruption und Stabilisierung der Wirtschaft – engere Beziehungen zu Rußland ins Zentrum ihres Wahlkampf gestellt. Schon im Januar hatte sie vergeblich vorgeschlagen, am Wahltag auch eine Volksabstimmung über den Beitritt zur Russischen Föderation durchzuführen. Ein echter Streitpunkt unter Südosse­tiens Politikern ist das jedoch nicht, da über viele Jahre hin alle Umfragen zeigen, daß mehr als 90 Prozent der Bevölkerung dieses Ziel teilen und unterstützen. Gebremst wird das nur von der russischen Regierung. Deshalb sind sich mehr oder weniger alle südossetischen Politiker einig, diese Frage nicht permanent und penetrant zu betonen, sondern Rücksicht auf russische Meinungen und Interessen zu nehmen. Die Diskussion konzentriert sich auf vielleicht mögliche Zwischenschritte, wie etwa eine Assoziierung mit der Eurasischen Zollunion.

Die drei Parteien, die ebenfalls den Sprung ins Parlament geschafft haben, sind die konservative Volkseinheit mit 13,24 Prozent und sechs Mandaten, die Volkspartei mit 9,09 Prozent und vier Sitzen, und die Nikhas mit 7,47 Prozent und ebenfalls vier Abgeordneten. Die Kommunistische Partei, die vor fünf Jahren gute 22 Prozent geholt hatte, verfehlte den Wiedereinzug ebenso wie die Wahlsiegerin von 2009, die Einheitspartei, für die damals 46,32 Prozent gestimmt hatten. Sie war die Hauspartei des früheren Präsidenten Eduard Kokoiti – dessen Name heute nur noch für autoritäre Herrschaftsformen, Korruption und andere kriminelle Machenschaften steht – und ist offensichtlich ebenso wie dieser diskreditiert.

Die Ablösung Kokoitis im Jahre 2011 war mit teilweise heftigen Protesten verbunden, an denen sich für südossetische Verhältnisse außergewöhnlich viele Menschen beteiligt hatten. Daß der Oppositionsführerin Alla Dschiojewa ihr anscheinend eindeutiger Sieg bei der Präsidentenwahl durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs gestohlen wurde, verstärkte die Konfrontation und machte eine Wiederholungswahl erforderlich. Ihr unterlegener Gegner war damals Anatoli Bibilow, der mit dem Segen Kokoitis auf dem Ticket der Einheitspartei kandidierte. Heute ist er Chef der Partei Vereinigtes Ossetien, die künftig die Republik regieren wird. Zur Wiederholung der Wahl traten, wohl aufgrund interner Absprachen, weder Bibilow noch Dschiojewa an. Die von ihr gegründete Partei Freiheitsplatz nahm an der Wahl am Sonntag nicht teil, nachdem die Oppositionspolitikerin im April aus Gesundheitsgründen den Vorsitz abgegeben hatte.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 11. Juni 2014


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