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Paket für Tbilissi

Georgien wartet weiter auf NATO-Aufnahme. Entschädigung mit Trostpreisen

Von Knut Mellenthin *

Seit dem Bukarester NATO-Gipfel Anfang April 2008 hat Georgien schriftlich, daß es irgendwann Mitglied der Allianz werden darf. Die frohe Botschaft machte den damaligen Präsidenten Michail Saakaschwili so übermütig, daß er vier Monate später Südossetien überfallen ließ. Das militärische Eingreifen Rußlands beendete das Abenteuer innerhalb weniger Tage. Moskau sah sich genötigt, endlich den Schritt zu tun, den es 15 Jahre lang vermeiden wollte: Es erkannte die Unabhängigkeit der Republiken Südossetien und Abchasien an, die sich in der Auflösungsphase der Sowjetunion von Georgien losgesagt hatten.

Bereits im Juni dieses Jahres war entschieden worden, daß Georgien während des NATO-Gipfels in Wales, der in der vorigen Woche stattfand, dem Beitritt nicht näher kommen würde. Ein wesentlicher Grund dafür war der Widerstand der deutschen Kanzlerin, die immer noch an ein paar Gesten gegenüber Rußland festhält, obwohl sie diese durch ihre übrige Politik wieder entwertet. Gleichfalls schon im Juni war aber angekündigt worden, daß Georgien durch ein »substantielles Paket« für die Verlängerung der Wartezeit entschädigt werden würde.

Die darin enthaltenen Maßnahmen würden das kleine Land im Kaukasus »entschieden näher an die NATO heranbringen«, versprach der Generalsekretär des Bündnisses, Anders Fogh Rasmussen, während einer Pressekonferenz am vorigen Montag. Zum Inhalt des Pakets teilte er folgende Einzelheiten mit:

Erstens: Die NATO werde in Georgien eine »Defense capacity building mission« einrichten. Darunter ist ein Stab ausländischer Berater zu verstehen, die sich hauptsächlich beim Verteidigungsministerium ansiedeln werden. Das Gremium soll das Land bei der »Reform und Modernisierung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors« unterstützen und wohl auch die Waffenlieferungen einzelner Mitgliedsstaaten koordinieren.

Zweitens: Die Allianz will sich verstärkt darum kümmern, die Fähigkeit der georgischen Streitkräfte zu gemeinsamen Operationen mit NATO-Verbänden zu verbessern. Dazu gehört die vermehrte Beteiligung Georgiens an Militärübungen des Bündnisses.

Drittens: Künftig sollen mehr ­NATO-Manöver in dem transkaukasischen Land stattfinden.

Viertens: In Georgien soll ein militärisches Ausbildungszentrum eingerichtet werden mit »einer regionalen Dimension«. Das kann nach Lage der Dinge nur bedeuten, daß die NATO dorthin auch Offiziere aus dem benachbarten Aserbaidschan und vielleicht sogar aus Armenien ziehen will.

In Georgien wird erwartet, daß zu diesem Zweck der Trainingsstützpunkt Krtsanisi ausgebaut werden wird, wo Offiziere der US-Marine schon seit über zehn Jahren georgische Truppen ausbilden. Unter anderem wurden dort fast 12000 Soldaten für Auslandseinsätze fit gemacht. Wahrscheinlich in der Hoffnung, dadurch dem NATO-Beitritt näher kommen zu können, hat Tbilissi sowohl nach Afghanistan als auch in den Irak (von 2003 bis 2008) pro Kopf der Bevölkerung mehr Soldaten geschickt als irgendein anderes Land. Georgische »Friedenstruppen« sind derzeit auch in der Zentralafrikanischen Republik im Einsatz. Für eine neue Militärintervention im Irak das Kabinett ebenfalls sofort Soldaten angeboten, bevor überhaupt jemand danach gefragt hat.

Die Abwahl der seit 2003 regierenden Nationalbewegung am 1. Oktober 2012 war vielfach als Beginn einer Neuorientierung der georgischen Politik gegenüber Moskau interpretiert worden. Knapp zwei Jahre später ist offensichtlich, daß diese Annahme falsch war. Das einzige, was sich wirklich geändert hat, ist, daß das 4,5-Millionen-Einwohner-Land wieder – wie vor dem Krieg von 2008 – in großem Umfang Wein, Mineralwasser und Obst nach Rußland exportieren darf. Ob das angesichts der offen zur Schau gestellten Feindseligkeit der Regierung in Tbilissi lange Bestand haben wird, bleibt abzuwarten.

* Aus: junge Welt, Montag 8. September 2014


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