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Trostpreis für Tbilissi

Georgien wird auf die NATO-Mitgliedschaft weiter warten müssen, kann aber mit Waffenlieferungen der USA rechnen

Von Knut Mellenthin *

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat sich am Mittwoch wieder einmal mit Georgiens Anspruch auf Abchasien und Südossetien solidarisiert. Die beiden Gebiete hatten im Zuge der Auflösung der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre ihre Selbstständigkeit erklärt. Nach dem georgischen Überfall auf Südossetien im August 2008 erkannte Rußland die zwei kleinen Republiken offiziell an.

Die Streicheleinheiten für Geor­giens revanchistische Träume sind ein schwacher Trost für die Tatsache, daß es mit der Integration des Landes in das westliche Kriegsbündnis immer noch nicht so schnell und umfassend geht, wie die Regierung in Tbilissi es gern hätte. Auf der Bremse steht nicht zuletzt sehr demonstrativ die deutsche Bundesregierung. Beim Besuch ihres georgischen Kollegen Irakli Garibaschwili in Berlin sagte Kanzlerin Angela Merkel am Montag: Trotz der sichtbaren »Fortschritte« Georgiens gehe sie davon aus, daß ein MAP für den Kaukasus-Staat nicht auf der Tagesordnung des nächsten NATO-Gipfels stehen werde, der im September stattfinden soll. Die drei Buchstaben stehen für »Membership Action Plan«. Die NATO definiert das als »Programm von Beratung, Hilfe und praktischer Unterstützung, das auf die individuellen Bedürfnisse von Ländern zugeschnitten ist, die dem Bündnis beizutreten wünschen.« Ein MAP präjudiziere jedoch keine Entscheidung der Allianz über eine zukünftige Mitgliedschaft.

In der Praxis ist ein MAP dennoch das letzte Wartezimmer vor der Aufnahme in die NATO. Gegenwärtig befinden sich die früheren jugoslawischen Teilrepubliken Makedonien und Montenegro auf dieser Stufe, während es für Bosnien-Herzegowina zwar auch schon einen MAP gibt, dessen »Aktivierung« aber noch zurückgehalten wird.

Georgien hatte sich – zusammen mit der Ukraine – schon beim Bukarester NATO-Gipfel Anfang 2008 um einen MAP beworben. Es scheiterte schon damals unter anderem an Deutschland, da Beschlüsse im Konsens gefaßt werden müssen. Die in der rumänischen Hauptstadt verabschiedete gemeinsame Stellungnahme der Mitgliedstaaten besagte deshalb nur: »Die NATO begrüßt den Beitrittswunsch der Ukraine und Georgiens. Wir sind heute übereingekommen, daß diese Länder Mitglieder der NATO werden sollen. (…) Ein MAP ist für die Ukraine und Georgien der nächste Schritt auf dem direkten Weg zur Mitgliedschaft.«

Vier Monate später befahl der georgische Präsident Michail Saakaschwili den Überfall auf Südossetien. Rußlands Außenminister Sergej Lawrow hat der NATO später vorgeworfen, sie habe den unberechenbaren nationalistischen Hitzkopf durch die in Aussicht gestellte Mitgliedschaft geradezu zu dem Abenteuer ermutigt, das durch das Eingreifen russischer Streitkräfte ein rasches Ende fand. Die NATO-Regierungen sprachen damals in schrillen Tönen von einer »russischen Aggression«, während sie sich geschlossen weigerten, sich von Saakaschwilis Vorgehen zu distanzieren. Diese Fassade verbarg allerdings kaum, daß Georgien seine NATO-Ambitionen durch die Militäraktion um mehrere Jahre zurückgeworfen hatte.

Eine Vorentscheidung, wie mit Georgiens Beitrittswunsch beim Gipfel im September verfahren werden soll, wird voraussichtlich beim nächsten Treffen der NATO-Außenminister Ende dieses Monats fallen. Vermutlich wird die Allianz Georgien den MAP noch einmal vorenthalten und es auf andere Weise dafür belohnen, daß es eifrig und im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl von nur 4,5 Millionen Menschen extrem überproportional Soldaten für Militäreinsatze der Allianz zur Verfügung stellt. US-Präsident Barack Obama hat am Dienstag die Bereitschaft angekündigt, die Nicht-NATO-Mitglieder Georgien, Ukraine und Moldawien mit Waffen zu beliefern und sie stärker in Kriegsübungen einzubeziehen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. Juni 2014


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