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Neuanfang in Suchumi

Der künftige Präsident Abchasiens verspricht eine »grundsätzliche Veränderung des politischen Systems«

Von Knut Mellenthin *

Die nur von Rußland, Venezuela und Nikaragua anerkannte Schwarzmeer-Republik Abchasien bekommt einen neuen Präsidenten. Der bisherige Oppositionsführer Raul Chadschimba erreichte am Sonntag schon im ersten Durchgang mit 50,57 Prozent die absolute Mehrheit. Für seinen Hauptkonkurrenten Aslan Bschanija stimmten 35,91 Prozent. Zwei weitere Kandidaten spielten mit 6,4 und 3,4 Prozent keine Rolle. Die Wahlbeteiligung lag bei 70 Prozent.

Die vorgezogene Wahl war durch den Rücktritt des seit 2011 amtierenden Aleksander Ankwab am 1. Juni erforderlich geworden. Vorausgegangen waren optisch heftige, aber sorgfältig kontrollierte Proteste der Opposition, bei denen Demonstranten unter anderem die Residenz des Präsidenten besetzt hatte. Nicht nur die Vermittlung Rußlands, sondern auch bewährte innenpolitische Spielregeln des kleinen Staates, der seine Unabhängigkeit seit 1992 mehrmals militärisch gegen georgische Angriffe verteidigen mußte, sorgten für einen disziplinierten, unblutigen und respektvollen Machtwechsel.

Das drückte sich auch darin aus, daß mit dem früheren Verteidigungsminister Bschanija ein Mann der alten Führung gegen Chadschimba antrat. Als Wahlkampfleiter hatte Bschanija ein weiteres Mitglied von Ankwabs Zirkel im Team: Leonid Lakerbaia, der bis zu den Maiereignissen Premierminister gewesen war.

Alle vier Kandidaten, die am Sonntag zur Wahl standen, kommen aus den Apparaten der Staatssicherheit und erhielten ihre Ausbildung schon in der Sowjetunion. Gemeinsam ist ihnen auch, daß sie zu irgendeiner Zeit seit der Unabhängigkeitserklärung von 1992 wichtige Ämter in der abchasischen Regierung hatten. Insofern ist es etwas irreführend, wenn man Chadschimba, der vorher schon drei Mal erfolglos an Präsidentenwahlen teilgenommen hatte, als »Oppositionsführer« bezeichnet. Ein fünfter Bewerber scheiterte an einer harten Bestimmung des Wahlgesetzes, die fließende Beherrschung der abchasischen Sprache verlangt: Er bestand den Test nicht.

Bereits die Vorwürfe, die im Mai von der damaligen Opposition gegen Ankwab erhoben wurden, ließen die Richtung erkennen, in die es jetzt gehen soll. Er habe Finanzmittel – die zum großen Teil aus Rußland stammen – für Prestigebauten verschleudert und Machtmißbrauch betrieben, hieß es. Außerdem wurde kritisiert, daß er zu leichtfertig bei der Vergabe abchasischer Pässe an Angehörige der georgischen Minderheit gewesen sei. Das Gesetz verbietet – mit einer Ausnahmeregelung für Rußland – doppelte Staatsbürgerschaften. Ungefähr 22000 Angehörige der Minderheit wurden aus den Wählerlisten gestrichen, weil sie georgische Pässe haben.

Trotz solcher Probleme, deren Behandlung nicht frei von Ungerechtigkeit ist, betont Chadschimba, daß Abchasien mit seinen 250000 Bewohnern sich als »multinationalen Staat« begreifen und umgestalten müsse. Angehörige nichtabchasischer Nationalitäten müßten stärker an der Staatsverwaltung beteiligt werden. Klar unterrepräsentiert ist besonders die armenische Volksgruppe, der mindestens ein Fünftel der Bewohner Abchasien angehören.

Der Sturz Ankwabs war, Chadschimba zufolge, die »Folge einer tiefen politischen und sozial-ökonomischen Krise«. Notwendig sei jetzt eine »grundsätzliche Veränderung des politischen Systems« mit dem Ziel, die »Verantwortlichkeit und Kontrollierbarkeit der Macht« zu erhöhen. Ein riesiges Problem, das seit Jahren immer mal wieder diskutiert wird, aber naturgemäß sehr schwer zu lösen sein wird, ist die Korruption in enger Verbindung mit anderen Formen des Machtmißbrauchs.

Die Kandidaten unterzeichneten vor der Wahl eine gemeinsame Erklärung. Unter anderem beschworen sie darin ihren Willen, die gesellschaftliche und nationale Einheit Abchasiens zu stärken. Dazu soll unter anderem die Bildung einer Koalitionsregierung aus professionellen Vertretern aller Strömungen dienen. Eine Verfassungsreform soll die Macht des Präsidenten einschränken.

* Aus: junge Welt, Dienstag 26. August 2014


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