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Streitende Elite

Abchasien: Parlament fordert Entlassung des Premiers und Rücktritt des Präsidenten. Moskau vermittelt. Sowohl Regierung als auch Opposition sind Freunde Rußlands

Von Knut Mellenthin *

Die kleine Kaukasusrepublik Abchasien, die nur von Rußland, Venezuela und Nicaragua anerkannt ist, wird von einem Machtkampf erschüttert. Seit Dienstag halten Anhänger der Opposition den Amtssitz von Präsident Alexander ­Ankwab besetzt. Der bezeichnet die Vorgänge als »Putschversuch«, will aber mit der Opposition verhandeln. Der Verteidigungsminister, der Innenminister und die Chefs der abchasischen Sicherheitskräfte haben in einer gemeinsamen Stellungnahme ihre Unterstützung für Ankwab erklärt, zugleich aber eine gewaltsame Lösung des Konflikts ausgeschlossen. Rußlands Präsident Wladimir Putin hat seinen Berater Wladislaw Surkow als Vermittler in die abchasische Hauptstadt Suchumi geschickt. Der aus Tschetschenien stammende, von den USA und der EU wegen des Ukraine-Konflikts mit Sanktionen belegte Surkow genießt in Abchasien hohes Ansehen.

Premier Leonid Lakerbaia, dessen Absetzung die Opposition fordert, hat die Auseinandersetzungen am Freitag als einen »Kampf innerhalb der Elite« des Landes um die Verteilung der außerordentlich hohen Finanzsubventionen, die Moskau der von Georgien abgespaltenen Republik zukommen läßt, bezeichnet. Rußland trägt nach unterschiedlichen, nicht genau belegten Angaben zwischen 60 und 70 Prozent des abchasischen Haushalts. Lakerbaia nannte die Zahl von 700 Millionen Dollar – anscheinend als Summe der Zahlungen, die seit der offiziellen Anerkennung Abchasiens durch Moskau im August 2008 geflossen sein sollen.

Die Einschätzung des Konflikts durch den abchasischen Regierungschef, die in russischen Medien ausführlich und sachlich wiedergegeben wurde, scheint der Wirklichkeit zumindest nahezukommen. Die Opposition wird von bekannten Politikern angeführt, von denen einige in der Vergangenheit wichtige Positionen innehatten. An der Spitze des Oppositions­bündnisses »Forum der Nationalen Einheit« steht der 56jährige Raul Chadschimba, ein früherer KGB-Offizier. Er war unter anderem von 1999 bis 2001 Leiter des abchasischen Sicherheitsdienstes, von 2001 bis 2002 stellvertretender Premier, danach bis 2003 Verteidigungsminister und schließlich bis 2004 Regierungschef. Bei der Präsidentenwahl 2004 war Chadschimba der von Moskau favorisierte Kandidat, unterlag aber gegen den von der damaligen Opposition aufgestellten Sergej Bagapsch. Nach einem heftigen Streit um Fälschungsvorwürfe einigten sich die beiden Politiker schließlich auf eine Wiederholungswahl, zu der sie als Team antraten – Bagapsch als Präsident, Chadschimba als sein Stellvertreter – und problemlos mehr als 90 Prozent der Stimmen erhielten. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten erklärte Chadschimba im Mai 2009 seinen Rücktritt und übernahm die Führung der Opposition.

Den aktuellen Protesten liegt eine breites Themenspektrum zugrunde. Dem amtierenden Präsidenten wird die Verschleuderung von Finanzmitteln für Prestigebauten vorgeworfen, zugleich auch Machtmißbrauch und die angeblich leichtfertige Vergabe von abchasischen Pässen an Angehörige der georgischen Minderheit. Die Opposition beanstandet, daß viele von ihnen zugleich ihre georgische Staatsbürgerschaft behalten, was nach abchasischem Recht nicht zulässig ist. Außerdem rückt vor dem Hintergrund einer drohenden NATO-Integration Georgiens die Forderung nach noch engeren Verbindungen zu Rußland immer mehr ins Zentrum des Konflikts.

Am Donnerstag hat das Parlament in Suchumi die Entlassung von Premier Lakerbaia und den freiwilligen Rücktritt des Präsidenten gefordert. Der Beschluß wurde mit 20 gegen eine Stimme gefaßt. Allerdings waren die 14 Abgeordneten, die auf seiten von Ankwab stehen, der Abstimmung ferngeblieben. Ebenfalls am Donnerstag bildete die Opposition aus ihren eigenen Reihen einen »Rat des Volksvertrauens«, der bis zu Neuwahlen als Übergangsregierung arbeiten soll. Vorsitzender des 21köpfigen Gremiums, dem landestypisch ausschließlich Männer angehören, ist Chadschimba.

* Aus: junge Welt, Samstag, 31. Mai 2014


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