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Wie ein loser Zahn

Heftiges Säbelrasseln im georgischen Wahlkampf mit Drohungen gegen Abchasien und Südossetien

Von Knut Mellenthin *

Ist es »nur« nationalistische Wahlkampfrhetorik, oder steckt mehr dahinter? Georgiens Präsident Michail Saakaschwili führt die Kampagne für seine Wiederwahl mit offenen Drohungen gegen die Republiken Abchasien und Südossetien, die sich Anfang der 1990er Jahre von Georgien losgesagt haben und an ihrer Unabhängigkeit festhalten.

Jüngstes Beispiel: Am Dienstag sagte Saakaschwili in einer Rede vor Studenten der Universität Tbilissi, das »sezessionistische Regime« Südossetiens sei »wie ein loser Zahn, der reif zum Entfernen ist«. Falls die Präsidentenwahl am 5. Januar »normal« verlaufe, werde »die Entfernung dieses Regimes eine Sache von Wochen oder höchstens Monaten« sein. »Darüber bin ich mir absolut sicher.«

»Absolut sicher« gab sich der Präsident auch, als er am 28. November vor Georgiern aus Abchasien sprach. Während des Krieges 1992–1994 waren Zehntausende Georgier aus Abchasien geflüchtet oder wurden vertrieben. In seiner Rede kündigte Saakaschwili an, alle Flüchtlinge würden im nächsten Winter wieder in ihrer Heimat sein. »Das verspreche ich Ihnen, und das garantiere ich. Ich habe noch nie zuvor etwas Konkreteres gesagt.« – Saakaschwili lehnte ausdrücklich eine Entschuldigung für den vor 15 Jahren von Georgien begonnenen, für beide Seiten sehr verlustreichen Krieg ab. Einige georgische Friedensgruppen setzen sich für eine offizielle Erklärung des Bedauerns ein.

Das Thema Abchasien stand auch im Mittelpunkt einer Ansprache, die Saakaschwili am 1. Dezember während eines Wahlkampfkonzerts hielt. Falls die Wahl am 5. Januar »normal« verlaufe – mittlerweile eine ständige Redewendung des Präsidenten – »wird sie uns eine Fahrkarte für den Zug verschaffen, der uns nach Suchumi bringt«, der Hauptstadt Abchasiens.

Die Nachbarrepublik hat auf die Drohungen mit der Ankündigung reagiert, vom 8. Dezember an seine Verteidigungsbereitschaft an der Grenze nach Georgien zu erhöhen. »Wir müssen mit Provokationen in naher Zukunft rechnen«, sagte der abchasische Präsident Sergej Bagapsch am Dienstag. »Wir müssen uns darauf vorbereiten anläßlich der bevorstehenden Präsidentenwahl in Georgien und auch vor dem Hintergrund der zu erwartenden Lösung des Status des Kosovo.«

Nach der Wahl in Rußland teilte der Vorsitzende der regierenden Partei Einiges Rußland und Duma-Sprecher Boris Gryslow am 2. Dezember mit, daß sich das Parlament demnächst mit den Anträgen von Südossetien und Abchasien auf Anerkennung ihrer Unabhängigkeit befassen werde. Darauf reagierte der georgische Staatsminister für Konfliktlösung, Davit Bakradse, mit einer äußerst scharfen Stellungnahme: »Wir bevorzugen eine friedliche Lösung der Konflikte. Aber wenn Rußland wirklich mit Vorbereitungen für die Anerkennung beginnt, werden wir unsere Haltung überdenken müssen.«

Vor diesem Hintergrund hat der Kandidat der oppositionellen Partei der Neuen Rechten, Davit Gamkrelidse, versprochen, daß er Abchasien im Fall seiner Wahl eine feste Garantie für die Nichtanwendung von Gewalt geben werde. Zu diesem Zweck sei er bereit, sich mit Bagapsch in Suchumi zu treffen. Gamkrelidse sprach sich ferner für den Verzicht auf »militärische Rhetorik« und für eine Kürzung der Verteidigungsausgaben aus, die in der Amtszeit von Saakaschwili um ein Vielfaches erhöht worden sind. Gleichzeitig forderte der Kandidat aber auch den Abzug der russischen Friedenstruppen aus Abchasien.

* Aus: junge Welt, 7. Dezember 2007


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