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Nach der Wahl ist vor der Wahl

Georgien: Amtsinhaber Michail Saakaschwili will sich offenbar um einen neuerlichen Urnengang herummogeln

Von Knut Mellenthin * Das Auszählen der Stimmen ist in Georgien ein zäher, zeitaufwendiger Vorgang. Nach Ansicht der Oppositionsparteien sogar eindeutig zäher und zeitaufwendiger, als technisch erforderlich wäre. Am Montag (bei jW-Redaktionsschluß) lag immer noch kein vorläufiges amtliches Endergebnis vor. Und Hochrechnungen gibt es in Georgien aus Mangel an Vergleichsdaten und eingespielter Technik sowieso überhaupt nicht.

Deswegen stand in der Wahlnacht ein Exit Poll, eine Befragung der Wähler nach der Stimmabgabe, im Vordergrund der Meldungen. Das Ergebnis sah so aus: Erster Platz Saakaschwili mit 52,3 Prozent. Zweiter Platz Oppositionsführer Lewan Gachechiladse mit 28,5 Prozent. Ein völlig unzuverlässiges Resultat, zumal rund ein Viertel der Befragten eine Auskunft verweigert hatten. Aber der Amtsinhaber erklärte sich noch in der Wahlnacht zum Sieger, als noch nicht einmal fünf Prozent der Stimmen ausgezählt waren, und seine Anhänger begannen schon mal, ausgelassen zu feiern.

Übrigens, die Chefin des Instituts, das den Exit Poll durchgeführt hatte, heißt Ani Tarkhnischwili. Ihr Ehemann Lewan ist erstens der Gründer des Instituts und zweitens derzeit Vorsitzender der Zentralen Wahlkommission. »Der Georgier ist eben ein Familienmensch«, wie ein Moskauer Kollege dazu schmunzelnd anmerkte. Natürlich gelten die Ehepartner beide als Anhänger von Saakaschwili und seiner Nationalpartei.

Was Lewan Tarkhnischwili macht, würde sich in Europa vermutlich kein Wahlleiter trauen: Am Sonntag nachmittag verkündete er, daß ein zweiter Wahlgang höchstwahrscheinlich überflüssig sei, da Saakaschwili mit 52,8 Prozent in Führung liege. Zu diesem Zeitpunkt war gerade mal ein Drittel der über 3000 Wahlkreise ausgezählt. Am Montag, inzwischen waren zwei Drittel der Stimmen ausgezählt, sprach Tarkhnischwili dann von 51,03 Prozent für Saakaschwili.

Ob der Amtsinhaber damit durchkommt oder ob er es nicht doch noch vorzieht, sich auf knapp unter 50 Prozent herunterrechnen zu lassen, um den Protesten der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird sich zeigen. Sicher scheint hingegen schon, daß das Parlament im Frühjahr -- und nicht erst im Herbst, wie Saakaschwili es wollte -- gewählt wird. Dafür sprach sich offenbar die Mehrheit bei einem Referendum aus, das gleichzeitig mit der Präsidentenwahl durchgeführt wurde. Dann wird es zumindest mit der Alleinherrschaft der Nationalpartei vorbei sein, die derzeit über 80 Prozent der Abgeordneten stellt.

* Aus: junge Welt, 8. Januar 2008

Wahlergebnis nach Auswertung von 87,4 Prozent der Wahlprotokolle

Georgiens Wahlleitung wird die Auswertung der Ergebnisse der außerordentlichen Präsidentenwahlen voraussichtlich am heutigen Dienstag (8. Januar) abschließen.
Wie die Wahlbehörde mitteilte, liegt der bisherige Staatschef Michail Saakaschwili nach der Auswertung von 87,4 Prozent der Wahlprotokolle mit 52,1 Prozent der Stimmen in Führung. Sein Hauptkonkurrent, Lewan Gatschetschiladse, Kandidat der Vereinten Opposition, kommt vorerst auf 24,98 Prozent der Stimmen, gefolgt von Badri Patarkazischwili mit 6,69, Schalwa Natelaschwili mit 6,3, Dawid Gamkrelidse mit 3,91, Georgi Maissaschwili mit 0,74 und Irina Sarischwili-Tschanturia mit 0,19 Prozent der Stimmen.
An den Präsidentenwahlen am 5. Januar hatten rund zwei Millionen Wähler und Wählerinnen teilgenommen.
(RIA Novosti, 8. Januar 2008)

Georgien: Opposition spricht von massiven Wahlfälschungen

Georgiens Oppositionskandidat bei den Präsidentenwahlen, Lewan Gatschetschiladse, hat am Dienstag ohne Vorankündigung das Arbeitszimmer des Chefs der Wahlleitung, Lewan Tarchnischwili, betreten und gefordert, einen Dialog mit der Opposition aufzunehmen.
"Vorerst lehnt Tarchnischwili einen normalen Dialog ab", teilte Gatschetschiladse mit. Er warf der Wahlleitung massive Wahlfälschungen vor. "Eine halbe Million Stimmen, die für mich abgegeben worden waren, wurden faktisch gestohlen, und Tarchnischwili signiert Dokumente, die das möglich machen", behauptete Gatschetschiladse.
Zusammen mit ihm sind mehrere weitere Spitzenvertreter der Vereinten Koalition zum Quartier der Wahlleitung gekommen. Einige von ihnen fordern eine Absetzung des Wahlleiters.
Nach der Auswertung der Abstimmungsergebnisse in 3.070 von den insgesamt 3.512 Wahlbezirken liegt der bisherige Präsident Michail Saakaschwili mit 52,1 Prozent der Stimmen vor Lewan Gatschetschiladse mit 24,98 Prozent in Führung.
(RIA Novosti, 8. Januar 2008)

Georgiens Opposition will am Sonntag mit Massenprotesten beginnen

Georgiens Vereinte Opposition will am kommenden Sonntag mit ihren Protestaktionen beginnen, sollte die Wahlleitung des Landes keine Stichwahlen des Präsidenten beschließen. Das erklärte der Oppositionskandidat Lewan Gatschetschiladse am Dienstag vor der Presse in Tiflis.
Am Mittwochnachmittag wird die Opposition einen Hungerstreik starten, in den darauffolgenden Tagen wird eine weitere Warnaktion dazu kommen. Die Protestaktionen sollen vor dem Quartier des Öffentlichen Fernsehens abgehalten werden. Neben den Stichwahlen wird gefordert, dass die Opposition Möglichkeiten für Live-Übertragungen ihrer Appelle im Fernsehen bekommt.
Die stärkste Frostwelle seit 70 Jahren, die jetzt Georgien erfasst hat, kann allerdings einen Strich durch diese Pläne ziehen. Laut Wettervorhersagen werden die Temperaturen in den nächsten Tagen im Tal auf minus 15 und im Gebirge auf minus 25 Grad Celsius sinken.
Im November hatten Massenaktionen der Opposition die Regierung zur Verhängung des Ausnahmezustands veranlasst. Dies war auch ein Grund für die vorgezogenen Präsidentenwahlen.
(RIA Novosti, 8. Januar 2008)




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