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"Revolutionär" Saakaschwili auf der Flucht nach vorn

Der Opposition mangelt es an zugkräftigem Einheitskandidaten

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Am Sonnabend finden in Georgien Präsidentenwahlen statt. Eigentlich wäre die Abstimmung erst Anfang kommenden Jahres fällig gewesen. Doch Michail Saakaschwili, den die »Revolution der Rosen« 2003 an die Macht gespült hatte, musste nach Massenprotesten im letzten November vorgezogene Neuwahlen anberaumen.

Sechs Bewerber treten gegen Michail Saakaschwili an. Womit der Schachzug des 40-Jährigen schon fast aufgegangen ist: Als seine Gegner im November lauthals seinen Rücktritt gefordert hatten, ließ er zunächst Tränengas und Wasserwerfer einsetzen und verhängte den Ausnahmezustand über das Land. Zugleich aber setzte er kurzfristig Neuwahlen an – im Wissen darum, dass es der Opposition schwer fallen würde, einen zugkräftigen gemeinsamen Gegenkandidaten zu finden. Am gefährlichsten für Saakaschwili wäre wahrscheinlich dessen früherer Verteidigungsminister Irakli Okru-aschwili geworden. Aber der wartet nach Verhaftung, Freilassung und Flucht nach Deutschland auf eine Entscheidung über Auslieferung oder Asylgewährung.

Zu den Rivalen Saakaschwilis gehört nun also einer der reichsten Männer Georgiens: Badri Patarkazischwili, Mitinhaber des oppositionellen Fernsehkanals »Imedi«. Patarkazischwili hatte den Medien im Wahlkampf Beweismaterial für einen Mordanschlag zugespielt, den Saakaschwili angeblich gegen ihn geplant hatte. Der Beschuldigte konterte mit »Beweisen« für Putschpläne des Medienzaren. Im Staatsfernsehen lief der Mitschnitt einer Unterredung, in deren Verlauf Abgesandte Patarkazischwilis Beamten des Innenministeriums 100 Millionen Dollar boten. Bedingung: Sie sollten am Tag nach der Abstimmung einräumen, dass die Ergebnisse gefälscht wurden. Das Geständnis wollte Patarkazischwili angeblich zum Anlass für neue landesweite Unruhen nutzen.

Kurz nach dem Skandal kündigte Patarkazischwili an, er ziehe seine Kandidatur zurück, wenn auch Saakaschwili verzichte – woran der freilich nicht dachte. Am Mittwoch kündigte daraufhin auch Patarkazischwili an, er werde antreten und für den Sieg der Demokratie in Georgien sorgen. Das wird ihm allerdings schwerlich gelingen. In der Jelzin-Ära bestens mit russischen Oligarchen wie Boris Beresowski vernetzt, war Patarkazischwili, der als Unabhängiger ins Präsidentschaftsrennen geht, schon vor den Putschvorwürfen als »Agent Moskaus« umstritten, und dieser Vorwurf wiegt im heutigen Georgien schwer.

Umfragen zufolge hatte sich am 2. Januar noch nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten definitiv für einen Kandidaten entschieden. Während Saakaschwili auf dem flachen Land leicht in Führung liegen soll, werden in Tbilissi und anderen großen Städten seine Herausforderer vorne gesehen. Aber unter denen gibt es eben keinen eindeutigen Favoriten. Hinter Lewan Gatschetschiladse, einem 43-jährigen Weinhandelsunternehmer, der als Einheitskandidat verkauft wird, steht zwar eine Allianz aus neun Parteien. Die verteilten auf ihren Kundgebungen weiße Tücher als Symbol einer vereinigten Opposition. Schwergewichte wie die »Neue Rechte« oder die Arbeitspartei setzen jedoch auf eigene Bewerber. Ihnen allen fehlt zudem, was Saakaschwili trotz aller Ansehensverluste noch immer überreichlich hat: Charisma. Obwohl die Bilanz seiner bisherigen Amtszeit sehr durchwachsen ausfällt.

Die Massen halten ihm nicht nur das gewaltsame Vorgehen gegen die tagelang protestierende Opposition im November vor. Übel nehmen ihm Georgiens Normalverbraucher vor allem, dass er die meisten Wahlkampfversprechen nicht eingelöst hat. Einzelne wirtschaftliche Erfolge – Ergebnis geförderter Projekte in Sonderzonen – konnten bisher nicht in fühlbare soziale Verbesserungen umgewandelt werden. Immer noch lebt ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, offiziell war jeder Fünfte im vergangenen Jahr ohne Arbeit. In den abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien, die Saakaschwili »heimzuholen« versprach, hat die Zentralregierung nach wie vor nichts zu melden. Nur die vorwiegend muslimische Schwarzmeer-Region Adsharien holte er 2004 unter das Dach der georgischen Verfassung zurück.

Gleichzeitig verschlechterte sich das Verhältnis zu Russland zusehends, und neue Spannungen sind bereits programmiert. Beim Urnengang am Sonnabend werden die Wähler auch befragt, ob sie den Beitritt Georgiens zur NATO unterstützen. Laut Umfragen gibt es dafür Mehrheiten von 80 bis 90 Prozent. Was indes kein Plus für Saakaschwili ist – seine Herausforderer setzen ebenfalls auf schnelle Integration in westliche Strukturen. Eine Ausnahme ist Irina Sarischwili. Im Falle eines Beitritts zur NATO, fürchtet sie, könne Georgien seine abtrünnigen Autonomien endgültig abschreiben. Auch würden die USA Georgien zur Auf-marschbasis für einen Angriff auf Iran missbrauchen. Bewirken dürfte die Mahnung jedoch wenig. Irina Sarischwili tritt für die Partei »Hoffnung« an, hinter der Igor Georgadse stecken soll, ein ehemaliger Staatssicherheitsminister, der nach Vorwürfen wegen versuchtem Staatsstreich angeblich in Russland Zuflucht fand.

Georgiens Polizei ist angesichts der Putsch- und Wahlfälschungsszenarien in Alarmbereitschaft versetzt worden. Gewiss wird Saakaschwili nicht die 96 Prozent erhalten, mit denen er auf der Woge der »Rosenrevolution« vor vier Jahren ins Amt geschwemmt wurde. Sollte kein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten, findet in zwei Wochen ein zweiter Wahlgang statt.

Wenig Glück mit Präsidenten

14.11.1990: Swiad Gamsachurdia, Chef des bei Parlamentswahlen siegreichen Oppositionsbündnisses Runder Tisch - Freies Georgien, wird zum Parlamentspräsidenten gewählt.

31.3.1991: Fast 99 % der Teilnehmer eines Referendums sind für Georgiens Unabhängigkeit.

9.4.1991: Die Unabhängigkeitserklärung wird in Kraft gesetzt.

26.5.1991: Gamsachurdia wird mit 86,5 % der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt.

6.1.1992: Gamsachurdia flieht nach blutigem Machtkampf.

10.3.1992: Eduard Schewardnadse wird von einem Militärrat als Vorsitzender eines provisorischen Staatsrats eingesetzt.

11.10.1992: Schewardnadse wird mit 95 % der Stimmen zum Parlamentspräsidenten im Rang eines Staatschefs gewählt.

31.12.1993: Gamsachurdia, zurück aus tschetschenischem Exil, begeht angeblich Selbstmord.

5.11.1995: Schewardnadse gewinnt Präsidentenwahl (74,9 %).

9.4.2000: Neuerlicher Wahlsieg Schewardnadses (79,8 %)

22.11.2003: Die Opposition erhebt nach Parlamentswahl Fälschungsvorwürfe und stürmt das Hohe Haus in Tbilissi. Tags darauf tritt Schewardnadse zurück.

4.1.2004: Michail Saakaschwili wird mit 96,3 % der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt.

9.5.2005: USA-Präsident George Bush bezeichnet den Machtwechsel in Georgien als »Beispiel für andere Staaten«.

25.11.2007: Nach mehrtägigen Massenprotesten gegen seine Amtsführung setzt Saakaschwili Neuwahlen für den 5. Januar an.



* Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2008


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