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Kriegsdrohung

Die Spannungen zwischen Georgien und Südossetien haben sich mit dem Beschuss eines Hubschraubers verschärft

Von Rainer Matthias *

Die Beziehungen zwischen Georgien und der seit 1992 abgespaltenen Republik Südossetien haben sich am Wochenende dramatisch verschärft. Nach eigener Darstellung hat der georgische Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili am Sonntag den Beschuß seines Hubschraubers über Südossetien nur knapp überlebt. Dank der Flugkünste des Piloten habe der Hubschrauber auf georgischem Gebiet notlanden können. Mit an Bord soll sich auch der stellvertretende Chef des georgischen Militärstabes, Sasa Gogawa, befunden haben.

Eine südossetische Regierungssprecherin hatte zuvor bekanntgegeben, die Streitkräfte der Republik hätten einen georgischen Hubschrauber abgeschossen, nachdem dieser 30 Minuten über ihrem Gebiet gekreist sei und auf Signale nicht reagiert habe.

Nach südossetischen Angaben hat Georgien in den letzten fünf Monaten 240 mal den Luftraum der Republik verletzt. Das wird von georgischer Seite nicht bestritten. Dort stellt man sich auf den Standpunkt »Es gibt überhaupt keinen südossetischen Luftraum«, wie Verteidigungsminister Okruaschwili am Sonntag erklärte. Diese Position steht jedoch im Widerspruch zu einem 2002 abgeschlossenen Abkommen. Es untersagt den Georgiern nichtautorisierte Flüge über Südossetien. Darauf verwies jetzt auch der Leiter der Mission der Organisation für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in Georgien, Rooy Reeve. Zugleich kritisierte er jedoch den Beschuß des Hubschraubers.

Maßgebliche georgische Kräfte suchen seit langem nach Vorwänden für ein militärisches Vorgehen gegen Südossetien. Auf einer Pressekonferenz nach dem Zwischenfall am Sonntag drohte Okruaschwili: »Natürlich waren die Angreifer ossetische bewaffnete Banden. Jeder sollte verstehen, daß das Treiben dieser Banditen sehr bald beendet werden wird, ein für allemal.« Der einflußreiche Abgeordnete Giwi Targamadse, Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Verteidigung und Sicherheit, sagte am Montag: »Diese Angelegenheit – gemeint ist die Abspaltung Südossetiens – muß gelöst werden, selbst wenn internationale Unterstützung dafür nicht zu erreichen ist, und sie muß nötigenfalls auch gewaltsam gelöst werden.«

Das georgische Innenministerium behauptete am Sonntag, es habe schon am 28. August einen ähnlichen Zwischenfall gegeben. Dabei sei über südossetischem Gebiet ein Hubschrauber beschossen worden, der einen anderen Hubschrauber begleitete, in dem sich Präsident Michail Saakaschwili und eine Gruppe US-amerikanischer Senatoren befanden. Die vom Republikaner John McCain geleitete Delegation hatte zuvor sehr viel Verständnis für den georgischen Standpunkt im Streit mit Südossetien, seiner zweiten abtrünnigen Republik Abchasien, und mit Rußland bekundet.

Die USA haben die georgischen Streitkräfte in den vergangenen Jahren durch ein Ausbildungsprogramm und umfangreiche Militärhilfe massiv modernisiert und verstärkt. Bisher hatte die US-Regierung aber hinsichtlich des Streits mit Südossetien und Abchasien eher mäßigend auf Georgien eingewirkt. Seit einigen Monaten mehren sich jedoch die Stimmen amerikanischer Politiker, die den georgischen Konfrontationskurs unterstützen und ermutigen.

Das russische Außenministerium hat am Montag in einer Erklärung die georgischen Flüge über südossetischem Gebiet als Provokation verurteilt.

* Aus: junge Welt, 6. September 2006

Saakaschwili legt im Vorfeld der Wahlen Daumenschrauben an

MOSKAU, 06. September (RIA Novosti). Der georgische Präsident Michail Saakaschwili hat mit dem Räumen des politischen Schauplatzes im Vorfeld der für Oktober dieses Jahres geplanten Wahlen in die örtlichen Machtorgane begonnen. Diese Ansicht vertrat der Präsident des russischen Fonds Politika, Wjatscheslaw Nikonow, in einer Stellungnahme zu den heutigen Festnahmen führender Repräsentanten von Oppositionsparteien in Georgien und zu den Durchsuchungen in ihren Büros. "Einer beliebigen Opposition kann jederzeit vorgeworfen werden, an der Vorbereitung von Staatsstreichen teilgenommen zu haben. Das, was sich jetzt in Georgien tut, erinnert an das Jahr 1937, als politische Opponenten hinter Gitter gebracht worden waren", fuhr der Politologe fort. Es handele sich um eine Einschüchterungsaktion im Vorfeld der Wahlen, um einen Versuch, die Opponenten loszuwerden und die Wahl der gewünschten Personen in die örtlichen Machtorgane zu sichern. "Saakaschwili spielt mit den Muskeln und gibt seinen politischen Gegnern, darunter auch in Südossetien, zu verstehen, dass er zu entschlossenen Maßnahmen bereit ist."

"Ich denke, dass dies von der Schwäche des Regimes Saakaschwilis zeugt, der einen Sündenbock braucht, um die Probleme innerhalb des Landes lösen wie auch das sinkende Ansehen der Macht aufbessern zu können", sagte Nikonow. Man brauche etwas, worauf die Schuld für alle vorhandenen Probleme abgewälzt werden könnte. Das seien Russland und die prorussischen Kräfte in Georgien selbst. "Die Entwicklung in Georgien führt vor Augen, dass die Behörden die Daumenschraubenpolitik anwenden und die politische Opposition beiseite schieben wollen. Das hat mit demokratischen Prinzipien der Machtordnung nichts gemein", sagte der Politologe.

Das georgische Innenministerium hatte bei einer Sonderoperation am Mittwoch 29 Anhänger der Partei Gerechtigkeit des Ex-Sicherheitsministers Igor Giorgadse und einiger anderer oppositioneller Parteien festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, an der Vorbereitung eines Staatsstreichs teilgenommen zu haben.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 6. September 2006;
http://de.rian.ru





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