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Georgien driftet ab

Washingtons Sorgenkind im Kaukasus: Privater US-Nachrichtendienst warnt vor Einflußverlust in Tbilissi. "Prorussische Kräfte haben erhebliche Macht gewonnen."

Von Rainer Rupp *

Den USA droht ein Partner im Kaukasus verlorenzugehen. »Wahrscheinlich ist es noch zu früh, um Georgiens Rosenrevolution als vollkommen gescheitert zu betrachten, doch es ist offensichtlich, daß die Hoffnungen von Präsident Michail Saakaschwili auf eine schnelle Verwestlichung des Landes naiv waren. Die prorussischen Kräfte haben seit den Parlamentswahlen im Oktober vergangenen Jahres erhebliche Macht hinzugewonnen … Noch vor einem Jahrzehnt hat es so ausgesehen, als ob Rußlands Zugriff auf seine geographische Einflußsphäre schwächer würde. Inzwischen wurde dieser Trend umgedreht.« Mit diesen für Washington alarmierenden Worten beginnt der vom 18. Februar datierte Bericht des privaten US-Nachrichtendienstes Lignet (Langley Intelligence Group Network) über die Lage in der ehemaligen Sowjetrepublik. Im Beirat diese Nachrichtendienstes für Privatkonzerne sitzt u.a. der frühere General Michael Hayden, von 2006 bis 2009 Chef der CIA und zuvor von 1999 bis 2005 Direktor der National Security Agency. Die Lignet-Analysen werden von einer Vielzahl ehemaliger und sicherlich auch noch aktiver Mitarbeiter der 16 US-Geheimdienste angefertigt.

Seit das Bündnis »Georgischer Traum«, bestehend aus fünf mehr oder weniger prorussischen Parteien, am 1. Oktober 2012 überraschend Parlamentswahlen gewonnen hat, befindet sich das Land in einer zunehmend prekären politischen Lage, in der sich der Führer der Koalition, der neue Ministerpräsident Bidsina Iwanischwili, und der US-Heimkehrer, Präsident Michail Saakaschwili, die Macht teilen müssen. Statt dessen polarisieren sie ihre Position.

In der vergangenen Woche war z.B. der Bürgermeister von Tbilissi, die Saakaschwili-Marionette Gigi Ugalava, von der Polizei zur Vernehmung vorgeladen worden. Die gibt ihm die Schuld an den jüngsten gewaltsamen politischen Auseinandersetzungen in der georgischen Hauptstadt. Zwar wurde Ugalava inzwischen wieder freigelassen, aber die Angelegenheit wird von Saakaschwili und seiner Partei »Vereinte Nationale Bewegung« als ernst zu nehmender Warnschuß empfunden. Auch, weil in letzter Zeit eine Reihe von Persönlichkeiten der abgewählten Saakaschwili-treuen Regierung wegen Korruptionsverdacht verhaftet worden sind.

Dagegen sind die Bestechlichkeitsorwürfe der Saakaschwili-Seite gegen die Hauptakteure des neuen Kabinetts weitgehend verpufft. Denn diese haben die vergangenen Jahren hauptsächlich in der Opposition verbracht und keine Gelegenheit gehabt, sich auf Kosten der Bürger persönlich zu bereichern. Zudem steht der Milliardär und Philanthrop Iwanischwili über jedem Verdacht. Er hat sein Geld mit dem Aufbau einer Handelskette für Elektronik und Computer in Rußland gemacht. Inzwischen hat er einen guten Teil seines Vermögens dafür ausgegeben, in dem abgelegene Bergdorf, aus dem er stammt, eine moderne Infrastruktur aufzubauen und alle Familien dort mit einem schönen Haus und komfortablem Wohlstand zu beglücken. Dafür wird er weit über die Grenzen seines Landes bewundert, was ihn für die Lignet-Analysten, die über Wege nachsinnen, Georgien im US-amerikanischen Orbit zu halten, besonders gefährlich macht.

Spannungen geschürt

Unter Bezugnahme auf die »spürbare Zunahme einer gereizten Stimmung« im Land heißt es in dem Bericht ominös, man könne »nur hoffen, daß sich nicht die Spannungen vor der nächsten Präsidentschaftswahl entladen«. In der Vergangenheit haben gerade die US-Geheimdienste oft genug selbst für solche Spannungen gesorgt, wenn es darum ging, irgendwo in der Welt einen ihrer »Schweinehunde« an der Macht zu halten. Das gilt erst recht dann, wenn das potentielle NATO- und EU-Mitglied Georgien als vergifteter Dorn im »weichen Unterleib des russischen Bären« gehalten werden soll. Der Machtverlust Saakaschwilis würde einen Strich durch die Pläne der US-Hardliner gegen Moskau machen. Deshalb wollen sie retten, was noch zu retten ist.

Lignet räumt ein, daß Präsident Saakaschwili wegen seines »dreisten« antirussischen Vorgehens, insbesondere während des »berüchtigten russisch-georgischen Konflikts« um Südossetien im Jahr 2008, »die Unterstützung der Mehrheit des georgischen Volkes verloren hat«. Ähnlich wie die Ukraine nach ihrer mißlungenen »Orange Revolution« sei nun auch Georgien dabei, sich wieder Moskau anzunähern. Und wenn Saakaschwili weitermache wie bisher, werde er mit ziemlicher Sicherheit die Präsidentschaftswahlen im Oktober verlieren. Daher müsse er jetzt bescheidener auftreten und sich schleunigst zu Kompromissen mit Iwanischwilis Koalition bereit erklären. Nur so habe er »eine Chance, an der Macht zu bleiben«, schlußfolgert Lignet. »Alles andere wäre für den Westen eine verpaßte Gelegenheit.« Und so hat Saakaschwili, offensichtlich unter Anleitung aus Washington, nun Verfassungsänderungen vorgeschlagen, die seine Macht als Präsident beschneiden.

* Aus: junge welt, Freitag, 22. Februar 2013


»Größter Wunsch« der Regierung Iwanischwili

Neues georgisches Kabinett will Beziehungen zu Rußland verbessern, bei Beibehaltung der Orientierung auf NATO und EU

Von Rainer Rupp **


Der neue Ministerpräsident Georgiens, Bidsina Iwanischwili, hat am 5. Februar die Verbesserung der Beziehungen mit Rußland »als das größte Problem und zugleich den größten Wunsch« seiner Regierung bezeichnet. Nach einem Besuch bei seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew zeigte er sich überzeugt, daß die Beilegung des Konfliktes zwischen den beiden Ländern bereits im Gange ist. Dennoch betont Iwanischwili, daß die USA der wichtigste strategische Partner Georgiens bleiben und sein Land weiterhin die Integration in die Europäische Union anstrebt. Angesichts dieser starken Westorientierung bräuchte sich Washington gar keine Sorgen um seinen Einfluß im Südkaukasus zu machen, von wo aus man so hervorragend Rußland malträtieren kann. Offensichtlich aber befürchten viele US-Hardliner (siehe oben), daß es sich hier nur um Lippenbekenntnisse des neuen Regierungschefs handelt, tatsächlich aber mit der Rückwendung Georgiens in den russischen Schoß gerechnet werden muß.

Beide Länder sind durch eine lange gemeinsame Geschichte politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich verbunden. Der riesige russische Verbrauchermarkt war aber infolge der aggressiven Politik des US-hörigen Präsidenten Michail Saakaschwili von Moskau für georgische Exporteure geschlossen worden. Dessen Wiedereröffnung ist die einzige Hoffnung für eine wirtschaftliche Erholung des stark landwirtschaftlich strukturierten Georgiens. Iwanischwili hat dies erkannt. In einer Erklärung gab er dem »System Saakaschwili« die Schuld für die Schließung des russischen Markes und betonte, daß die georgische Landwirtschaft an der Wiederbelebung des Handels mit Rußland »äußerst interessiert« sei. Iwanischwili, der lange in Rußland gelebt und gearbeitet hat, realisiert, daß Georgien ohne eine Normalisierung der Beziehungen mit Moskau nicht wieder erblühen kann. Allerdings ist dies bei einem Festhalten an einer NATO- und EU-Orientierung kaum möglich.

In der Vergangenheit hat sich Georgien stets eifrig als absolut verläßlicher Verbündeter der USA nach vor gedrängt. Es hat für ein kleines Land ungewöhnlich viele Kampftruppen nach Afghanistan geschickt, sogar zu einer Zeit, als andere NATO-Partner der USA ihre Truppen bereits abzogen. Vor dem Hintergrund des Versagens der Luftabwehr im russisch-georgischen Krieg 2008 war im vergangenen September eine Delegation US-Militärs nach Tbilissi gekommen. Im Rahmen der »strategischen Partnerschaft« soll ein modernes Luftverteidigungssystem mit US-Technologie aufgebaut werden. Logischerweise kann diese Aufrüstung nur gegen Rußland gerichtet sein. Aber als Rechtfertigung heißt es, Tbilissi müsse vor möglichen Angriffen aus dem Iran geschützt werden. Für den Fall, daß die neue georgische Regierung die ­Saakaschwili-Politik der ständigen Tritte ans Schienbein des Kreml übernimmt, dürfte ihr »größter Wunsch«, nämlich die Beilegung des Konfliktes mit dem Nachbarn Rußland, nicht in Erfüllung gehen.

** Aus: junge welt, Freitag, 22. Februar 2013

Hintergrund: Saakaschwili-Kritiker berichten über Folter

Bei einer Massenamnestie sind Mitte Januar in Georgien 190 politische Häftlinge freigelassen worden. Nach juristischen Prüfungen sollen weitere 3000 Gefangene auf freien Fuß gesetzt werden. Trotz eines Vetos von Präsident Michail Saakaschwili hatte das neue gewählte Parlament ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Wütend hatte der Staatschef gegen die »unzulässige Freilassung von russischen Spionen, Rebellen und Gewalttätern« gewettert und vor den großen Gefahren gewarnt, die durch die Freilassung dieser vielen kriminellen Elemente entstünden.

Eine vom Westen nur zu gerne übersehene »Spezialität« Saakaschwilis war es, Aktivisten der Opposition als »russische Spione« aburteilen zu lassen. Viele von ihnen fanden sich nun unter den Entlassenen, ebenso wie Aktivisten, die bei den Massenprotesten gegen den Präsidenten am 26. Mai 2011 festgenommen worden waren. Auch der ehemalige Verteidigungsminister und Regimekritiker Irakli Okruaschwili kam frei, nachdem die Anschuldigungen wegen Korruption und Vorbereitung eines Umsturzes fallengelassen worden waren.

Bereits letzten September waren Mißhandlungen und Folterpraktiken in Saakaschwilis Gefängnissen an den Tag gekommen. Nach US-Vorbild hatten Wächter im Gldanskaja-Gefängnis in Tbilissi Häftlinge mißhandelt und sich beim Foltern gefilmt. Ein Mitarbeiter des Gefängnisses hatte die Videos zwei TV-Sendern zugespielt, die die grausamen Bilder von Prügelorgien und Vergewaltigungen öffentlich machten. Mittlerweile ist klar, daß Folter und Mißhandlung von Saakaschwili-Regimegegnern an der Tagesordnung waren. Das hat auch der Politologe Wachtang Maisaja, Professor an der Universität Tbilissi, am eigenen Leib erfahren. Der Kritiker Saakaschwilis (»kaukasischer Pol Pot«) war mit der Beschuldigung inhaftiert worden, er habe gleichzeitig mit den Geheimdiensten der NATO und Rußlands kooperiert. Gegenüber der »Stimme Rußlands« erklärte Maisaja nach seiner Freilassung: »Absurde Anschuldigungen wurden gegen absolut all jene politisch ›unzuverlässige‹ Vertreter der georgischen Opposition erhoben. Das reale Motiv war jedoch politisch: Ich habe es mir erlaubt, mich kritisch gegenüber Saakaschwili zu äußern. Ich habe ihn für die Vergehen kritisiert, die er während des Krieges [2008, jW] begangen hat, dafür, daß er die friedliche Stadt Tschinwali bombardiert hat.« (rwr)




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