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Zwei Präsidenten unter Feuer?

Saakaschwili und Kaczynski sehen sich bedroht / Lawrow: "Provokation"

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Schüsse fielen, als sich die Präsidenten Georgiens und Polens am Sonntagabend mit ihrem Fahrzeug-Konvoi in der Sicherheitszone zwischen Georgien und dem abtrünnigen Südossetien bewegten. Höchst unterschiedlich wird der Vorfall in Tbilissi, Warschau und Moskau bewertet.

Einen »Terroranschlag« nannte Alexander Lomaia, Sekretär des georgischen Nationalen Sicherheitsrats, den Zwischenfall am Sonntagabend. Polens Präsident Lech Kaczynski, hatte in Tbilissi an den Feierlichkeiten zum fünften Jahrestag der »Rosenrevolution« teilgenommen. Gemeinsam mit seinem georgischen Amtskollegen, dem »Revolutionshelden« Michail Saakaschwili, wollte er anschließend -- offenbar in Abänderung der offiziellen Programms -- ein Flüchtlingslager in der Pufferzone zwischen Georgien und Südossetien besuchen. Als der Konvoi in der Nähe eines Grenzpostens stoppte, seien mindestens drei Salven aus Karabinern abgefeuert worden, berichtete der Chef des polnischen Präsidentenamtes, Michal Kaminski, der selbst in einem der Wagen saß, im georgischen Fernsehen. Er wisse jedoch nicht, ob die Schüsse in die Luft oder auf das Präsidentenfahrzeug abgefeuert wurden. Verletzt wurde niemand, auch die 30 Fahrzeuge des Konvois blieben unbeschädigt.

Georgien macht russische Soldaten für den »Anschlag« verantwortlich. Faktisch, so Lomaia, hätten die russischen Besatzungstruppen das Leben des Staatschefs eines EU- und NATO-Mitglieds bedroht. Europa werde sich daher »auf höchster Ebene« mit dem Vorfall befassen. Auch Kaczynski selbst sprach von einem Beweis dafür, dass der zwischen der EU und Russland ausgehandelte Waffenstillstand nicht eingehalten werde. Er forderte Brüssel auf, endlich zu handeln.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow nannte den Vorfall dagegen eine »Provokation«, die Georgien selbst inszeniert habe. Sein Stellvertreter Grigori Karassin meinte, die georgische Seite verwechsle das für sie »Nützliche mit den Tatsachen«. Das Geschehen müsse -- wie Lawrow forderte -- bei den Genfer Verhandlungen über die Sicherheit im Südkaukasus erörtert werden. Russische Soldaten, meldete das Verteidigungsministerium, hätten jedenfalls nicht geschossen. Saakaschwili wiederhole sich, spöttelte ein Sprecher der Geheimdienste. Bereits während der Kämpfe im August hatte der georgische Präsident die Stadt Gori nahe der Grenze zu Südossetien fluchtartig verlassen und dies mit einem angeblich geplanten Attentat begründet. Die Behauptung erwies sich später als haltlos.

Beobachter in Moskau wie in Tbilissi vermuten, Saakaschwili wolle mit derartigen »Anschlägen« seine politische Zukunft retten. Gäbe es keine russische Bedrohung mehr, würden die Massen seinen Rücktritt fordern.

Selbst Polens Parlamentschef Bronislaw Komorowski warnte vor voreiliger Kritik an Russland. Im polnischen Rundfunk forderte er Aufklärung darüber, wer die Reise Kaczynskis genehmigt hat, »ohne sie abgesichert zu haben«. Auch Georgien müsse erklären, warum vom ursprünglichen Programm abgewichen worden sei.

* Aus: Neues Deutschland, 25. November 2008


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