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Artilleriefeuer in Konfliktzone

Erneut Gefechte auf südossetischem Gebiet. Georgien verweigert Nichtangriffspakt und boykottiert Mitarbeit in Kontrollkommission

Von Knut Mellenthin *

Im Konflikt zwischen Georgien und der Republik Südossetien wird wieder einmal geschossen. Bei einem Artilleriegefecht auf dem Gebiet Südossetiens gab es in der Nacht zum Mittwoch einen Verletzten auf südossetischer Seite. Im selben Gebiet, wenige Kilometer von der Hauptstadt Tschinwali entfernt, hatten sich die Gegner schon in der Nacht zuvor mehrere Stunden lang mit Mörsern beschossen. Die Stellungen befinden sich einerseits in den von Südosseten bewohnten Dörfern Sarabuki und Tliakana und andererseits auf einem nahegelegenen, seit Anfang Juli illegal von georgischen Truppen besetzten »strategisch wichtigen« Höhenzug. Letztlich geht es um die Herrschaft über die Zufahrtswege nach Tschinwali, möglicherweise auch um die Vorbereitung eines Angriffs auf die Stadt.

Beide Seiten schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Feuereröffnung zu. Allerdings liegt das Interesse der Südosseten, die Georgier wieder aus ihrer günstigen Stellung oberhalb von Tschinwali zu vertreiben, auf der Hand. Es handelt sich offenbar um dieselben Hügel, die die georgische Armee am 19. August 2004 schon einmal unter Kontrolle gebracht, kurz darauf aber überraschend wieder geräumt hatte. Das war damals einer diplomatischen Intervention der US-Regierung durch ihren Botschafter in Tbilissi zugeschrieben worden.

Die Lage im georgisch-südossetischen Konflikt ist sehr viel komplizierter und damit auch gefährlicher als im Streit mit Abchasien, der zweiten »abtrünnigen Republik«. Südossetien ist etwa anderthalb mal so groß wie das Saarland, hat aber nur noch ungefähr 80000 Einwohner, seit im Bürgerkrieg von 1991 rund 100000 Osseten und über 20000 Geor­gier flüchteten. Südossetien hat eine georgische Minderheit (angeblich 20 Prozent der Gesamtbevölkerung), die vor allem in Dörfern rund um die kaum 15 Kilometer von der georgischen Grenze entfernte Hauptstadt Tschinwali und in anderen grenznahen Gebieten lebt. Etwa ein Drittel Südossetiens befindet sich unter Kontrolle georgischer Armee- und Polizeikräfte, doch ist die tatsächliche Grenze durch kein Abkommen festgelegt.

Besonders angespannt ist die Situation in der Umgebung Tschinwalis. Rund um die Hauptstadt liegen georgische Dörfer, von denen aus die Zufahrtswege nach Tschinwali bedroht und abgeschnitten werden können. Das Waffenstillstandsabkommen von 1992 sieht eine sogenannte Konfliktzone um Tschinwali mit einem Durchmesser von 15 Kilometern vor. Dem Wortlaut des Vertrages nach soll dieses Gebiet von einer Friedenstruppe überwacht werden, zu der Südossetien, Geor­gien und Rußland jeweils 500 Mann beisteuern. Der Oberbefehlshaber ist laut Abkommen immer ein Russe. In der Praxis folgt der georgische Truppenteil aber ausschließlich den Anweisungen aus Tbilissi. Darüber hinaus hat Georgien, das eine Mitgliedschaft in der NATO anstrebt, illegal eine unbekannte Zahl von Soldaten und Polizisten in die Konfliktzone und in die von Georgiern bewohnten Dörfer Südossetiens geschickt.

Das Abkommen sieht außerdem die Bildung einer Gemeinsamen Kontrollkommission (JCC) vor, in der Georgien, Südossetien, das zu Rußland gehörende Nordossetien und Rußland vertreten sind. Die JCC soll den Waffenstillstand überwachen und vor allem bei Streitfällen vermitteln. Tbilissi boykottiert die Sitzungen der Kommission aber schon seit Monaten und fordert ein neues »Format«, 2 + 2 genannt: Statt der Nordosseten soll die im vorigen Jahr unter georgischer Aufsicht gebildete, in einem Dorf Südossetiens residierende Gegenregierung von Dimitri Sanakojew in die JCC aufgenommen werden. Außerdem soll die Kommission um Vertreter von OSZE und EU erweitert werden.

Vor diesem instabilen Hintergrund könnte jeder Schußwechsel in der Konfliktzone um Tschinwali zum Auftakt eines neuen Krieges werden. Bezeichnenderweise weigert die Regierung in Tbilissi sich, Nichtangriffsverträge mit Südossetien und Abchasien abzuschließen.

* Aus: junge Welt, 31. Juli 2008

Weitere Meldungen **

Präsident Südossetiens bekräftigt Bestreben nach Integration mit Russland

WLADIKAWKAS, 29. Juli (RIA Novosti). Der Präsident der von Georgien abtrünnigen Region Südossetien, Eduard Kokojty, hat das Streben seiner Republik bekräftigt, sich in den Staatsverband Russlands zu integrieren.

"Das ist unsere Verantwortung gegenüber Russland, liebe Osseten", sagte Kokojty am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Wladikawkas, Hauptstadt der russischen Teilrepublik Nordossetien. "Wir müssen diese Aufgabe ehrenvoll erfüllen, möge man uns schwere Schläge in Beslan oder Zchinwali versetzen. Die Angriffe auf uns haben zum Ziel, die Positionen Russlands zu schwächen."

Kokojty erinnerte daran, dass Südossetien in letzter Zeit seine Beziehungen zu nordkaukasischen Teilrepubliken Russlands spürbar gefestigt hatte. "Unsere Brüder erklären sich bereit, freiwillige Kämpfer nach Südossetien zu schicken. Aber in der kritischen Situation wird unsere Republik vor allem auf seine eigenen Kräfte bauen... Ich möchte nicht, dass eine russische, eine kabardinische, eine tschetschenische oder eine dagestanische Mutter wegen Problemen in Südossetien die Trauerkleidung wird tragen müssen."

Der Präsident teilte mit, dass er vor kurzem das ossetische Dorf Dmenis bei Zchinwali besucht hatte, wo fast alle Frauen Trauerkleidung anhaben. "Der Anblick ist herzzerreißend".

Vor dem Zerfall der Sowjetunion hatte Südossetien den Status eines autonomen Gebietes im Staatsverband Georgiens. 1991 schaffte der erste georgische Präsident Swiad Gamsachurdia die Autonomie ab. Die südossetischen Behörden leisteten erbitterten bewaffneten Widerstand. Der Konlikt ging 1992 zu Ende, ebenfalls mit dem Verlust der Region für Tiflis.

Südossetien will seine Anerkennung durch andere Länder durchsetzen, während Georgien es weiterhin als sein Gebiet betrachtet. Der Frieden in der georgisch-ossetischen Konfliktzone wird von einem gemischten Friedenskontingent erhalten, zu dem ein russisches, ein georgisches und ein nordossetisches Bataillon gehören, jeweils 500 Mann. Das Hauptorgan für die Beilegung des Konflikts ist die so genannte Gemischte Kontrollkommission mit den Kovorsitzenden von Russland, Georgien, Nord- und Südossetien. In letzter Zeit bekundet Tiflis den Wunsch, aus diesem Format auszusteigen. Die anderen Teilnehmer der Verhandlungen sind dagegen.


Südossetiens Sicherheitskomitee warnt vor georgischen Autobomben

WLADIKAWKAS, 30. Juli (RIA Novosti). Das Komitee für Staatssicherheit der nicht anerkannten Republik Südossetien behauptet, dass die georgischen Geheimdienste Terrorakte unter Einsatz von mit Sprengstoff gefüllten Autos planen würden.

"Um eine ganze Serie von Terror- und Diversionsakten durchzuführen, haben die georgischen Geheimdienste acht mit Sprengstoff gefüllte Kraftfahrzeuge zum Verkauf an Bürger von Südossetien vorbereitet", heißt es in einer Mitteilung, die unter Berufung auf eine Schnellinformation des südossetischen Sicherheitskomitees auf der Webseite des Informations- und Pressekomitees der Republik veröffentlicht wurde.

Die südossetische Sicherheitsbehörde verweist warnend darauf, dass ein Teil der mit Sprengstoff gefüllten Kraftwagen von Südossetien nach Nordossetien gelangen könnte. "Ein bedeutender Teil der in Georgien gekauften Wagen wird in die Republik Nordossetien-Alania ausgeführt", heißt es.

"Angesichts dieser Fakten appelliert das Komitee für Staatssicherheit von Südossetien an alle Bürger der Republik und die Einwohner von Nordossetien, die Autos weiterverkaufen oder überführen, inständig, vom Kauf von Autos in Georgien Abstand zu halten, um tragische Folgen zu vermeiden", so die Pressemitteilung.

RIA Novosti hat bisher keinen Kommentar der georgischen Seite zur Pressemitteilung der südossetischen Behörden erhalten können.


Südossetien will Wasserversorgung nach Georgien kappen

MOSKAU, 31. Juli (RIA Novosti). Die abtrünnige Republik Südossetien hat Georgien mit Gegenmaßnahmen gedroht, falls die durch illegale Anzapfungen gestörte Wasserversorgung der südossetischen Hauptstadt Zchinwali nicht sofort wiederhergestellt wird.

Die südossetische Führung teilte am Donnerstag mit, sie habe die OSZE-Mission gebeten, ein Ultimatum an Georgien weiterzuleiten: "Sollte die Wasserversorgung von Zchinwali bis 16.00 Uhr am Donnerstag nicht wiederhergestellt werden, wird Südossetiens Regierung Aktivitäten jugendlicher und gesellschaftlicher Organisationen, die sich für die Sperrung aller Bewässerungskanäle aus Zchinwali nach Georgien aussprechen, nicht verhindern".

Seit vier Woche? sei die südossetische Hauptstadt von der Trinkwasser-Versorgung abgeschnitten.

Am 26. Juli hätten Experten der Friedenstruppe für Südossetien zahlreiche Anzapfungen an der Wasserleitung nach Zchinwali festgestellt. Das Wasser werde illegal an georgische Dörfer abgeleitet.

Georgien habe damals versprochen, die Verstöße bis zum 28. Juli zu beseitigen, die Lage sei aber unverändert geblieben, beklagte Südossetien.


OSZE-Beobachter gezielt beschossen: Südossetien beschuldigt Georgien

WLADIKAWKAS/MOSKAU, 29. Juli (RIA Novosti). Die Führung der nicht anerkannten Kaukasus-Republik Südossetien wirft Georgien vor, ossetische Dörfer sowie OSZE-Beobachter beschossen zu haben, und droht mit Gegenmaßnahmen.

Der südossetische Präsident Eduard Kokoity sagte am Dienstag vor Journalisten in Wladikawkas, südossetische Einheiten hätten die von Georgien zurzeit kontrollierte Sarabuki-Höhe im Konfliktgebiet blockiert. Sollten Georgier von dieser Höhe aus weiterhin südossetische Dörfer beschießen, wird sie von den Osseten gestürmt, versprach Kokoity.

Kurz zuvor hatte das südossetische Innenministerium Georgien vorgeworfen, OSZE-Beobachter in der Nähe des Dorfes Sweri beschossen zu haben: "Beobachter der Friedenstruppe sowie von der OSZE-Mission wurden gezielt aus verschiedenen Richtungen unter Beschuss genommen".

Das Friedenstruppen-Kommando bestätigte den Beschuss, ohne Georgien direkt zu beschuldigen: "Diese Aktion war eindeutig geplant und zielte darauf ab, die Friedenstruppe und die Militärbeobachter zu diskreditieren".

Georgien behauptete dagegen, ein Kontrollposten georgischer Friedenssoldaten sei beschossen worden.

Die Friedenstruppe im Konfliktgebiet zwischen Georgien und Südossetien besteht aus jeweils 500 Soldaten aus Russland, Georgien und der russischen Teilrepublik Nordossetien.

** Alle Meldungen von der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti; http://de.rian.ru




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