Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krieg in Südossetien: Eine Zwischenbilanz

Von Ilja Kramnik *

Von Ilja Kramnik *

Die seit vier Tagen anhaltenden Kämpfe in Südossetien und Abchasien haben sogar die Olympischen Sommerspiele in Peking von den Titelseiten verdrängt.

Nimmt man einen rein militärischen und allgemeinen militärpolitischen Aspekt dieses Konflikts an, so kann man feststellen, dass Georgiens "Blitzkrieg" gegen Südossetien gescheitert ist.

Selbst am Vormittag des 8. August, als es noch keine russische Armee in der Nähe der südossetischen Provinzhauptstadt Zchinwali gab, als die russische Luftwaffe noch kaum eingesetzt wurde, gelang es den georgischen Truppen, erst im zweiten Anlauf in die Stadt einzumarschieren und einen großen Teil davon einzunehmen.

Zugleich haben die georgischen Truppen ihre Fähigkeit gezeigt, in einer komplizierten Situation zu handeln und ihre Schritte zu koordinieren. Die Bereitschaft und die Motivation der südossetischen Bürgerwehr bot ein beachtliches Gegengewicht.

Was die russischen Streitkräfte anbelangt, so hat sich die russische Militärmaschinerie als gut vorbereitet für die gestellten Aufgaben erwiesen, und zwar auf allen Ebenen, obgleich ihr Zustand natürlich bei weitem nicht ideal ist.

Auf der strategischen Ebene wurde die Entscheidung, die Operation durchzuführen und die Truppen zu senden, recht schnell getroffen. Auf der operativen Ebene fanden sich genug einsatzfähige Verbände und Einheiten, die man, ohne übermäßige Vorbereitungen zu treffen, einfach mit dem Marschbefehl einsetzen kann.

Die taktische Ebene lässt sich angesichts der politischen Einschränkungen schwer beurteilen: Die Armee muss ihre schweren Waffen und Kampfjets nur begrenzt einsetzen, um übermäßige Verluste unter den Zivilisten zu vermeiden.

Negativ ist die Bekämpfung der Luftabwehr Georgiens einzuschätzen: Die Verluste der russischen Luftwaffe waren zu hoch. Zugleich muss daran erinnert werden, dass die russische Armee erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg auf einen Gegner gestoßen ist, der recht solide Luftabwehrkräfte hat.

Lobend zu erwähnen sind die Handlungen der Flotte, die schnell die Anlandung von Truppen bewältigte. Außerdem absolvierte die russische Flotte erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg eine Seeschlacht.

Die militärpolitische Situation entwickelt sich insgesamt relativ günstig. Eine eindeutig feindselige Position gegenüber Russland haben faktisch neben Georgien nur die USA, die baltischen Länder und Polen eingenommen. Die meisten Länder fordern hauptsächlich beide Seiten zum Waffenstillstand und zur Wiederherstellung der Situation auf, wie sie vor dem Kriegsausbruch bestanden hat.

Besonders zu betonen ist das brillante Auftreten des russischen UN-Botschafters Vitali Tschurkin, der Russlands Position souverän verteidigt, die Aggressionsvorwürfe zurückweist und das Zusammenzimmern einer antirussischen Koalition bisher verhindert hat.

Angesichts der sich schnell verändernden Lage ist wohl nur eine ganz allgemeine Prognose möglich. Russlands Hauptziel besteht offenbar in der Vernichtung der Militärtechnik und der Infrastruktur Georgiens, damit dieses Land kampfunfähig gemacht wird.

In diesem Zusammenhang muss angenommen werden, dass die Bombenangriffe in Georgien fortgesetzt werden. Parallel werden die georgischen Truppen schrittweise aus Südossetien verdrängt. Um diese Region herum soll eine Sicherheitszone geschaffen werden.

Eine ähnliche Pufferzone wird offenbar auch um Abchasien hergestellt. Zugleich werden die Operationen der russischen Streitkräfte in Bezug auf den Einsatz schwerer Waffen weiterhin eingeschränkt.

Die Bildung einer Anti-Russland-Koalition ist, was den politischen Aspekt anbelangt, eindeutig nicht gelungen. Allem Anschein nach wird die Operation in den kommenden Tagen abgeschlossen, wonach Verhandlungen wiederaufgenommen werden.

Am interessantesten erscheint da die Frage des weiteren Schicksals der Staatsführung Georgiens. Es ist anzunehmen, dass Russland bei den Verhandlungen die Forderung stellen wird, einige georgische Spitzenpolitiker vor Gericht zu stellen.

Insgesamt lassen sich Russlands Handlungen bis jetzt als eindeutig positiv einschätzen: Das Land hat seine Fähigkeit gezeigt, alle Mittel und Kräfte, darunter auch die militärischen, zum Schutz ihrer Bürger und seiner nationalen Interessen einzusetzen.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti identisch sein.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 11. August 2008; http://de.rian.ru


Zurück zur Georgien-Seite

Zur Russland-Seite

Zur Kaukasus-Seite

Zurück zur Homepage