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Krieg in Georgien: Es geht um den Kaukasus, um Öl, Pipelines und die NATO

Berichte, Meinungen und Standpunkte - gegen den Mainstream. Erklärung aus Havanna

Der heftige Krieg in Georgien um die autonome Region Südossetien scheint zu einem vorläufigen Ende gekommen zu sein. Die Positionskämpfe indessen sind längst nicht beendet. Vor allem geht der Streit um die richtige Interpretation des Krieges weiter.
Im Folgenden lesen Sie folgende Beiträge:



Georgiens Überfall gescheitert

Südossetien unter russischer Kontrolle / Kämpfe auch um Abchasien / USA und NATO drohen

Von Jürgen Elsässer *


Nach schweren Kämpfen mussten die georgischen Truppen die von ihnen eroberte Hauptstadt Südossetiens wieder aufgeben. Die NATO-Staaten kritisieren vor allem Russland.

Was als Blitzkrieg geplant war, endete für den Angreifer im Fiasko. Am Sonntagvormittag (10. August) räumten die georgischen Truppen die südossetische Hauptstadt Zchinwali, in die sie am Freitag früh einmarschiert waren. Spätnachmittags am Sonntag verkündete Georgien eine einseitige Waffenruhe. Auf Anordnung von Präsident Michail Saakaschwili werde mit dem 10. August das Feuer in Südossetien eingestellt, hieß es in einer Note an Moskau. In den drei Kriegstagen waren nach russischen Angaben etwa 2000 Zivilisten in der Stadt getötet worden. Derweil wurden russische Luftangriffe auf den zivilen Flughafen in Georgiens Hauptstadt Tbilissi gemeldet. Moskau dementierte, nur der Militärflughafen sei angegriffen worden.

Russisches Militär hatte massiv interveniert, um den Überfall auf Südossetien zurückzuschlagen und auch Orte in Georgien bombardiert. Nach georgischen Angaben waren 150 bis 300 Panzer und 6000 Soldaten aus dem Nachbarland eingerückt. Bereits am Sonnabend griffen die Kämpfe auch auf Abchasien über, eine weitere Provinz Georgiens, die nach Unabhängigkeit strebt. Die dortige Führung hatte georgische Einheiten mit Flugzeugen in der Kodori-Schlucht attackiert und Freiwillige nach Südossetien gesandt. Abchasische Quellen meldeten, Georgien habe 4000 Soldaten am Grenzfluss Inguri zusammengezogen. Am Sonntag erreichten Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte die abchasische Küste. Als Zweck wurde eine Evakuierung von Flüchtlingen genannt. Ziemlich klar ist jedoch, dass es auch um eine Seeblockade geht. Georgien erhält über das Schwarze Meer Waffen aus der Ukraine und der Türkei.

Der Krieg hatte mit Lügen begonnen. Am frühen Donnerstagabend 7. August) hatte Saakaschwili eine einseitige Feuereinstellung verkündet, nachdem es zuvor zwischen seinen und südossetischen Kräften zu Gefechten gekommen war. Kurz vor Mitternacht begannen georgische Einheiten jedoch ohne Vorwarnung mit dem Beschuss Zchinwalis durch Raketenwerfer, gefolgt von einem Panzerangriff und schließlich einem Luftbombardement. Am Freitagmorgen behauptete der georgische Präsident vor der Presse, sein Land sei Opfer einer »groß angelegten militärischen Aggression« geworden. Zu diesem Zeitpunkt hatte noch kein russischer Soldat die Grenze überschritten - das sollte erst am Nachmittag passieren. Als erste Berichte über den Blutzoll bekannt wurden, sagte Saakaschwili, es gäbe »praktisch keine getöteten Zivilisten«. Spätere Meldungen straften dies Lügen.

In der NATO führte die Schlappe ihres Beitrittsaspiranten Georgien zu teils wütenden Reaktionen. Das Weiße Haus warnte Moskau, dass sich die Beziehungen »bedeutend und nachhaltig verschlechtern« würden, falls sich die Truppen nicht zurückzögen. Polen, Estland, Lettland und Litauen formulierten am schärfsten: Die »imperialistische und revisionistische Politik« Russlands müsse »mit allen zur Verfügung stehenden Mittel« zurückgeschlagen werden.

Wegen der Kämpfe um Südossetien und Abchasien hat Georgien am Sonntag (10. August) den Abzug seiner Truppen aus Irak eingeleitet.

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2008


Gerangel um die Lufthoheit

Russland und die USA liefern sich Verdrängungswettbettbewerb im Transkaukasus

Von Irina Wolkowa, Moskau *


Beim Krieg in Südossetien geht es im Kern um die künftige politische Konfiguration des südlichen Kaukasus, wo Russland und die USA sich seit dem Ende der Sowjetunion 1991 einen knallharten Verdrängungswettbewerb liefern.

Graue Windjacke, graues Hemd mit offenem Kragen und vor Müdigkeit graues Gesicht. So trat Wladimir Putin am Samstagabend in Wladikwakas, der Hauptstadt der Teilrepublik Nordossetien vor die Presse. Russlands Regierungschef war ohne Zwischenlandung von Peking, wo er an der Eröffnung der Olympischen Spiele teilgenommen hatte, ins Krisengebiet geeilt. Offiziell, um die verwundeten russischen Soldaten zu besuchen und die Hilfe für die inzwischen 30 000 Flüchtlinge aus Südossetien zu koordinieren. Weit mehr gespannt waren die Medien allerdings auf eine politische Erklärung mit Biss. Denn Präsident Dmitri Medwedew hatte nach stundenlanger Beratung des nationalen Sicherheitsrates zum Thema kaum mehr als hilfloses Gestammel abgeliefert: Georgien werde mit der Aggression nicht ungestraft durchkommen, Russland »das Leben und die Würde seiner Bürger schützen«.

Medwedew spielte damit auf die Tatsache an, dass 80 Prozent der Einwohner Südossetiens mittlerweile einen russischen Pass haben. Kommentare zu Hintergrund und Perspektiven des Konflikts dagegen überließ er seinem Amtsvorgänger. Russland, so Putin, habe im Kaukasus stets eine stabilisierende und damit positive Rolle gespielt. Das werde auch künftig so bleiben. »Möge niemand daran zweifeln«, legte er dann nach einer bedeutungsschweren Pause nach.

Indirekt bestätigte Putin damit, was hiesige Experten bereits seit Tagen äußern. Es geht nur vordergründig um die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Georgiens einerseits und die Ambitionen einer ethnischen Minderheit, deren Rechte jahrzehntelang mit Füßen getreten wurden, andererseits. In Wahrheit geht es um die Neuordnung des südlichen Kaukasus, wo Russland und die USA sich seit dem Ende der Sowjetunion 1991 einen knallharten Verdrängungswettbewerb liefern. Zankapfel sind nicht nur die Öl- und Gasvorkommen der Kaspi-See und die Kontrolle über die Transportwege Richtung Westen. Die Region ist auch strategisch wichtig: In Plänen Washingtons für einen Angriff auf Iran spielte sie eine Rolle als potenzielle Aufmarschbasis, für Moskau, das diverse NATO-Osterweiterungen und Washingtons Raketenabwehrpläne für Osteuropa als Neuauflage der alten Blockkonfrontation betrachtet, als Südflanke eines Cordon sanitaire.

Armenien ist Mitglied der Organisation für kollektive Sicherheit - des Verteidigungsbündnisses der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS). Mit Sersh Sarkisjan setzte sich bei umstrittenen Präsidentenwahlen im Februar erneut ein dezidierter Parteigänger Moskaus durch. Die Opposition allerdings ist ebenso dezidiert pro-amerikanisch und strebt die Integration in westliche Strukturen an.

Vorbild ist Georgien, wo die Revolution der Rosen im November 2003 mit Michail Saakaschwili einen kompromisslosen Parteigänger Washingtons an die Macht spülte.

Dass das interne Gerangel in Armenien bisher nicht zu einem gewaltsamen Machtwechsel führte, hat vor allem mit dem Konflikt um Berg-Karabach zu tun: Die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region erkämpfte sich 1988 die Unabhängigkeit von Aserbaidshan, das seine Ansprüche jedoch aufrecht erhält. Periodisch aufflammende Kämpfe an der Waffenstillstandslinie sorgen in Armenien immer wieder für einen fragilen Burgfrieden zwischen Regierung und Opposition - ebenso in Aserbaidshan, das eine neutrale Außenpolitik betreibt. Mehr noch: Rafft Moskau sich im Karabach-Konflikt, wo Russland sich bisher auf Seiten Armeniens positionierte, zu einem Kurswechsel auf, dürfte Baku dies mit einer pro-russischen Außenpolitik honorieren.

Washingtons einzig sichere Bank im südlichen Kaukasus ist daher Georgien und dessen Staatschef reizt die daraus resultierenden Zwänge bis zur Schmerzgrenze aus. Michail Saakaschwili, meint Alexej Malaschenko von der Moskauer Carnegiestiftung, habe sich in Südossetien nur deshalb so weit vorgewagt, weil er glaube, dass US-Präsident Bush ihm für seine pro-amerikanische Politik etwas schuldig sei. Deshalb habe er den Konflikt vor dem Machtwechsel im Weißen Haus mit Gewalt lösen wollen.

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2008

Meinungen, Standpunkte

Kaukasische Zündschnur

Von Jürgen Reents *

Erneut legendieren hehre Worte von Unabhängigkeit einerseits und gegen russische Okkupation andererseits einen Krieg, bei dem es doch um etwas anderes geht. Das Morden im Kaukasus findet auf halber Strecke zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer statt. Die Kriegsgründe liegen ebenso im tiefen wie im weiten Terrain: Es geht um Erdgas und Erdöl - im Kaukasus werden Reserven von 200 Milliarden Barrel Öl vermutet - und um die NATO. Drei Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres sind bereits NATO-Mitglied (Türkei, Bulgarien, Rumänien), zwei sitzen im Wartezimmer (Georgien und Ukraine). Russland sieht sich einer Drohung gegenüber, die das Schwarze Meer zunehmend zu einer Art Binnengewässer des westlichen Militärpakts macht. Rund um das Kaspische Meer - geschätzte Ölreserven: 100 Milliarden Barrel - sieht es kaum anders aus. Dessen Anrainerstaaten Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan sind mit der NATO verbandelt. Und etliche Ex-Sowjetrepubliken mutierten zu treuen Mittätern in Bushs »Koalition der Willigen«. Vor allem die USA provozieren Russland, letztlich auch Iran und China mit der Frage, wieweit sie den Zugriff der NATO auf Zentralasien erlauben. Die Befürchtung, dass hier ein neuer Flächenbrand entsteht, ist ernst. Nicht wenige der Warner jedoch rollten das Pulverfass selbst in den Kaukasus und drückten Georgien die Zündschnur in die Hand.

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2008 (Kommentar)


Front gegen Moskau

Von Knut Mellenthin **

Auch am dritten Kriegstag hielten georgische Streitkräfte noch Teile der Republik Südossetien besetzt, in die sie in der Nacht zum Freitag eingefallen waren. Während das Innenministerium in Tbilissi am Sonntag morgen einen Rückzug auf die Ausgangsstellungen vor Beginn der Aggression angekündigt hatte, sprach Temur Iakobaschwili, Staatsminister für Reintegration -- das heißt, für die Rückgewinnung der abtrünnigen Republiken --, am Abend von einer »Umgruppierung« der georgischen Truppen. Sie sollten dadurch in »bessere Positionen« gebracht werden. »'Rückzug' oder 'Niederlage' sind nicht die richtigen Worte, um die Manöver der georgischen Kräfte zu beschreiben«, so Iakobaschwili.

Rußland hatte am Freitag offenbar nur mit zahlenmäßig schwachen Verbänden interveniert, um die Lage nicht unnötig zu verschärfen. So sprach das georgische Verteidigungsministe­rium zunächst nur von 2400 russischen Soldaten, im Laufe des Sonntags dann von 10000. In Zusammenarbeit mit der vertragsgemäß in Südossetien stationierten Friedenstruppe - je 500 Russen und Nordosseten - sowie den südossetischen Streitkräften vertrieben die russischen Einheiten die Angreifer aus der Hauptstadt Tschinwali und Teilen ihrer näheren Umgebung. Die Stadt ist durch den Artilleriebeschuß der Georgier weitgehend zerstört. Über 2000 Zivilisten sollen bei den Angriffen ums Leben gekommen und etwa 30000 Südosseten vor den Kampfhandlungen nach Rußland geflohen sein.

Während Moskau auf einem vollständigen Rückzug der Angreifer besteht, sieht Tbilissi sich durch die Forderungen westlicher Regierungen nach einer »bedingungslosen Waffenruhe« (Bundeskanzlerin Angela Merkel) in ihrem Versuch bestärkt, sich zumindest auf Teilen des durch den Überfall gewonnenen Territoriums dauerhaft festzusetzen. Politiker mehrerer europäischer Staaten machen in diesem Sinn Druck auf die russische Führung. Durch extreme Schärfe zeichnet sich die gemeinsame Stellungnahme der Regierungen Polens, Estlands, Lettlands und Litauens vom Sonnabend aus. Sie fordern von der NATO und von der EU harte Maßnahmen gegen »die Ausbreitung der imperialistischen und revisionistischen Politik (Rußlands) in Osteuropa« und kritisieren die Verzögerung der NATO-Integration Georgiens. Die NATO müsse eine »führende und entscheidende Rolle« bei der »Sicherung der Freiheit« nicht nur im EU-Bereich, »sondern auch im benachbarten europäischen Gebiet« spielen.

Schwedens Außenminister Carl Bildt, der in den 90er Jahren eine zentrale Rolle bei der Zerstückelung und Zerstörung Jugoslawiens gespielt hatte, sprach von einem »russischen Aggressionsakt«, der »unvereinbar mit dem internationalen Recht« sei, und schreckte nicht einmal vor einer Gleichsetzung mit Hitler zurück. Für die US-Regierung drohte der stellvertretende Sicherheitsberater des Präsidenten, James Jeffrey, mit »langfristigen Auswirkungen« auf die amerikanisch-russischen Beziehungen, falls die »gefährlichen und überzogenen Aktionen der russischen Streitkräfte« andauern sollten. Er verwies dabei auf den angeblichen, allerdings von diesen selbst bestrittenen Rückzug der Georgier.

Unterdessen kündigte am Sonntag nachmittag (10. August) die Regierung der zweiten abtrünnigen Republik, Abchasien, die Absicht einer Militäraktion gegen die georgischen Truppen im Oberen Kodori-Tal an. Georgien hält diesen strategisch wichtigen Teil Abchasiens seit Juli 2006 widerrechtlich besetzt.

** Aus: junge Welt, 11. August 2008

Erklärung aus Havanna

Raúl Castro: Invasoren müssen aus Südossetien abziehen ***

Zum Geschehen im Kaukasus hat Kubas Staats- und Regierungs­chef Raúl Castro am Sonntag folgende Erklärung veröffentlicht: Über ein halbes Jahrhundert hinweg war unser Volk Opfer der Aggressionen US-amerikanischer Regierungen, die ihm unmeßbare Anstrengungen und Ressourcen abverlangt haben. Doch Kuba war standhaft und ausdauernd bei der Verteidigung der staatlichen Souveränität, und es verteidigt ebenso die Anstrengungen der UNO sowie ihren Kampf für den Frieden.

Ein Teil unseres Territoriums ist seit mehr als 100 Jahren besetzt, aber Kuba hat nie versucht, dieses Gebiet mit Gewalt wiederzuerlangen. Seine Außenpolitik ist international bekannt und anerkannt.

Zur Zeit verfolgen die Völker das Entstehen einer neuen Krise mit einer Sorge, die von den Nachrichten über Kampfhandlungen im Kaukasus, an der Südgrenze Rußlands, genährt wird. (...)

Südossetien hat sich trotz der Annexion durch Georgien, mit dem es weder seine Nationalität noch seine Kultur teilt, als autonome Republik mit einer lokalen Führung und der Hauptstadt Tschinwali gehalten. Mit Anbruch des 8. August hat Georgien in Komplizenschaft mit den Vereinigten Staaten seine Kräfte gegen Südossetien in dem Versuch mobilisiert, die Hauptstadt zu besetzen. Verkündet wurde dies am gleichen Tag, an dem in Peking die olympischen Spiele eröffnet wurden.

Es ist jedoch schlichtweg falsch, daß Georgien seine nationale Souveränität verteidigt. Die russischen Truppen hielten sich legitim in Südossetien auf, um, das ist international bekannt, den Frieden zu garantieren. Sie haben keine Rechtsverstöße begangen.

Die Forderung eines Rückzugs der Invasorentruppen ist deswegen gerechtfertigt und wird von unserer Regierung unterstützt.

Kuba kann angesichts der Bedrohung durch die US-amerikanischen Streitkräfte aus prinzipiellen Erwägungen keine Feuerpause ohne den Rückzug der Invasoren gutheißen. Wenn Kuba von ausländischen Kräften angegriffen würde, wäre ein solcher Waffenstillstand ebenfalls inakzeptabel.

Übersetzung: Harald Neuber

*** Aus: junge Welt, 12. August 2008




Mit dem Segen der USA

Manöver und Militärhilfe: Georgiens Großangriff auf Südossetien mit Washington abgesprochen. In der UNO verhindert Botschafter Khalilzad eine Verurteilung der Aggression

Von Knut Mellenthin **


Hatte Georgiens Präsident Michail Saakaschwili »grünes Licht« aus Washington, als er in der Nacht zum Freitag seinen Streitkräften den Befehl zum Großangriff auf Südossetien gab? Die Antwort ist ein so selbstverständliches Ja, daß nur noch darüber diskutiert werden kann, warum die US-Regierung sich dieses Mal dafür entschieden hat, den bissigen Hund von der Leine zu lassen, nachdem sie ihn in der Vergangenheit immer wieder in riskanten Situationen zurückgehalten hatte.

Die Rückeroberung von Südosse­tien und Abchasien sei »das Ziel meines Lebens«, hatte der im November 2003 mit amerikanischer Hilfe an die Macht geputschte Saakaschwili schon bei seiner Amtseinführung als Präsident Ende Januar 2004 verkündet. »Wir werden unser Äußerstes tun, damit die nächsten Einführungsfeiern auch in Suchumi -- der Hauptstadt Abchasiens -- stattfinden können.« Das wäre normalerweise im Januar 2009 gewesen; allerdings gab es inzwischen eine vorgezogene Neuwahl. In seiner damaligen Einführungsrede beschwor Saakaschwili die Notwendigkeit, eine starke Armee aufzubauen, »um die Einheit Georgiens wiederherzustellen«. Am 25. Mai 2004 veranstaltete Geor­gien die größte Militärparade in der Geschichte des Landes, und Saakaschwili sprach: »Wenn man irgendeinen georgischen Soldaten fragt, warum er in den Streitkräften dient, dann wird jeder von ihnen antworten: >Um Georgiens territoriale Integrität wiederherzustellen.<«

Konnte das mißverstanden werden? Die georgische Führung ließ bald Taten folgen: Nach tagelangen militärischen Auseinandersetzungen in Südossetien stürmten in den frühen Morgenstunden des 19. August 2004 georgische Eliteeinheiten mehrere strategisch wichtige Hügel in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt Tschinwali. Alle kompetenten Beobachter waren sich einig, daß dies der Auftakt zum erwarteten Großangriff war. Jedoch, in einer überraschenden und offiziell nicht erklärten Wende der Ereignisse räumten die georgischen Soldaten wenige Stunden später die eroberten Stellungen. Die plausibelste Vermutung lautete damals, daß die US-Regierung durch ihren mächtigen Botschafter in Tbilissi interveniert hatte.

Das amerikanische Veto war es wahrscheinlich auch, das eine kriegerische Eskalation im September 2006 verhinderte. Damals hatte Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili, ein nur bedingt zurechnungsfähiger Draufgänger, mit seinem Hubschrauber auf südossetischem Gebiet notlanden müssen, nachdem er zuvor eine halbe Stunde lang provozierend über Tschinwali gekreist war. »Jeder sollte verstehen, daß das Treiben dieser Banditen sehr bald beendet werden wird, ein für allemal«, drohte Okruaschwili anschließend und kündigte an, sich demnächst persönlich an die Spitze einer »Strafexpedition« zu stellen. Im Sommer 2007 prahlte er damit, seinen nächsten Neujahrssekt in südossetischen Hauptstadt zu trinken. Statt dessen fiel er bei Saakaschwili in Ungnade, saß vorübergehend sogar in einem georgischen Gefängnis und lebt nun in Frankreich im Exil.

Das erste Anzeichen, daß die georgische Führung jetzt den Segen Washingtons für ihre großangelegte Aggression gegen Südossetien hatte, war das Verhalten des US-Vertreters Zalmay Khalilzad -- ehemals Amerikas Mann in Kabul -- im UN-Sicherheitsrat: In der hastig einberufenen spätabendlichen Sondersitzung nach dem Beginn des georgischen Angriffs blockierte er jede gemeinsame Stellungnahme für den Verzicht auf militärische Gewalt. Bis heute ist aus Washington kein Wort der Kritik an Saakaschwilis Vorgehen zu vernehmen.

Aufmerksame Beobachter in Moskau hatten sich auf eine schlimme Entwicklung eingestellt, nachdem US-Außenministerin Condoleezza Rice bei ihrem Besuch in Tbilissi Anfang Juli demonstrativ mit Dimitri Sanakojew zusammengetroffen war, dem von der georgischen Führung eingesetzten »Präsidenten Südossetiens«. Bis dahin hatte zwischen USA und EU Einigkeit bestanden, diese für Provokationen und militärische Abenteuer aufgebaute Figur zu ignorieren.

Wenige Tage nach dem Besuch der Außenministerin, bei dem vermutlich auch über die bevorstehende Aggression gesprochen wurde, begannen im Übungsgelände um den Stützpunkt Vaziani bei Tbilissi gemeinsame Manöver unter dem Namen »Immediate Response« (Prompte Antwort), an denen sich neben 600 Georgiern und kleinen Offiziersgruppen aus der Ukraine, Aserbaidschan und Armenien als stärkstes Kontingent 1000 US-Soldaten verschiedener Waffengattungen beteiligten. Die Übungen dauerten vom 17. bis zum 31. Juli. Einen Tag nach ihrem Abschluß, in der Nacht vom 1. zum 2. August, begannen die georgischen Streitkräfte in der Umgebung von Tschinwali mit militärischen Provokationen.

Als Saakaschwili am Abend des 7.August den Befehl zum Großangriff gab, befanden sich immer noch Teile der zum Manöver eingeflogenen US-Truppen in Georgien, offenbar aber nicht mehr im Stützpunkt Vaziani, der von russischen Kampfflugzeugen angegriffen wurde.

Ebenfalls in Georgien: 127 US-amerikanische Militärausbilder, darunter 35 Angestellte privater »Sicherheitsfirmen«. Die US-Regierung hatte schon im April 2002, noch unter Saakaschwilis Vorgänger Eduard Schewardnadse, damit begonnen, Eliteeinheiten der georgischen Armee auszubilden und mit modernsten Waffen auszurüsten. Mit Gesamtkosten von 65 Millionen Dollar stellte dieses Programm damals ein in Art und Umfang absolut einmaliges Pilotprojekt auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion dar. Es endete offiziell im Jahr 2004, wurde aber unter anderen Titeln fortgesetzt. Hinzu kamen Ausbilder aus Großbritannien und eine unbekannte Zahl von Militärs und »Sicherheitsberatern« aus Israel.

** Aus: junge Welt, 11. August 2008


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