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Staatspartei in Nöten

Georgiens neue Opposition blamiert sich beim Versuch, Einheit und Stärke zu demonstrieren

Von Knut Mellenthin *

Georgiens frühere Regierungspartei, die bei den Parlamentswahlen vom 1. Oktober 2012 in die Opposition geschickt wurde, befindet sich seither in einer ernsten Krise. Am vorigen Freitag mißlang der Vereinigten Nationalbewegung ihr Versuch, durch eine Großkundgebung in der Hauptstadt Tbilissi zu beweisen, daß sie immer noch eine starke und einheitliche Kraft ist, mit der man rechnen muß. Die von Präsident Michail Saakaschwili geführte Organisation war im November 2003 durch einen unblutigen Putsch, die sogenannte Rosenrevolution, zur Macht gelangt. Im Laufe der Jahre nahm sie viele Züge einer scheinbar unkündbaren Staatspartei an, die, durchaus nicht immer mit legalen Mitteln, Posten und Gelder an ihre Klientel verteilte. Seit sie die Macht verlor, laufen ihr Mitglieder und Anhänger davon.

Die Idee, mit einer Großkundgebung politische Präsenz und Beharrungskraft zu zeigen, hatte Wano Merabischwili, Generalsekretär der Nationalbewegung und letzter Premierminister vor dem Machtwechsel, schon im Februar entwickelt. Man wolle, hieß es damals, bekräftigen, daß Georgien an seiner Westorientierung und am Ziel des Beitritts zur EU und zur NATO festhält. Angeblich sei das durch die neue Regierung unter Bidsina Iwanischwili gefährdet. In der Zwischenzeit einigte sich die Nationalbewegung jedoch mit dem Regierungsbündnis Georgischer Traum auf eine gemeinsame Grundsatzerklärung zur Außenpolitik, die im März einstimmig vom Parlament verabschiedet wurde.

Die geplante Großkundgebung wurde vor diesem Hintergrund zu einem Zählappell der Partei, deren politische Ziele abgesehen von einer Stabilisierung der eigenen Reihen im Nebel lagen. »Zehntausende« seien dem Ruf vor das alte Parlamentsgebäude im Zentrum von Tbilissi gefolgt, schwärmten die Parteiredner am vorigen Freitag. Von »mehr als zehntausend« sprach die Nachrichtenagentur Civil Georgia. Ernüchternd liest sich der Bericht der oppositionellen russischen Zeitschrift Nowaja Gaseta, die in der Vergangenheit viel Freundliches über Saakaschwili und seine Leute mitzuteilen hatte. Nicht mehr als 5000 Menschen hätten sich an der Kundgebung beteiligt, schrieb die Korrespondentin des Blattes, und von diesen sei die Mehrheit aus ländlichen Regionen herangeschafft worden.

Die zentrale Botschaft aller Redner war, daß die Partei in der Vergangenheit Fehler gemacht habe, aber dennoch Vertrauen verdiene, da sie gerade dabei sei, sich von Grund auf zu erneuern. Noch während der Kundgebung war zunächst ungewiß, ob Präsident Saakaschwili, der zugleich Vorsitzender der Partei ist, sprechen würde. Er erschien erst in der Mitte der zweistündigen Veranstaltung und hielt die Schlußrede, die eigentlich Merabischwili zugedacht war. Dieser verließ daraufhin, noch während Saakaschwili sprach, die Kundgebung, was auf die Teilnehmer »schockierend« wirkte, wie die Nowaja Gaseta schrieb.

Eine jüngst veröffentlichte Umfrage zeigt, daß der Beliebtheitsgrad des Präsidenten nur noch bei 25 Prozent liegt. Der Merabischwilis ist allerdings mit 26 Prozent auch nicht wesentlich höher. Derzeit populärster Politiker der Nationalbewegung ist ihr Fraktionsführer Davit Bakradse, den 48 Prozent mögen, und der voraussichtlich zur Präsidentenwahl im Oktober 2013 ins Rennen geschickt werden wird. Auch er ist jedoch, das zeigt die Umfrage ebenfalls, ohne jede Chance: 58 Prozent gaben an, sie wollten den Kandidaten des Georgischen Traums wählen. Nur acht Prozent würden sich für den Bewerber von der Nationalbewegung entscheiden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 24. April 2013


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