Saakaschwili will nicht weichen
Georgiens Präsident erteilt der zerfaserten Opposition eine Abfuhr
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Er und seine Regierung trügen sich mit »weitreichenden Plänen für die Zukunft«, sagte Michail Saakaschwili am Freitagmorgen (10. April) bei der Unterzeichnung von Abkommen für den Bau eines Wasserkraftwerkes. Damit machte Georgiens Staatschef bereits Stunden vor Ablauf des Ultimatums klar, dass er nicht gesonnen ist, den Forderungen der Opposition nachzugeben.
Die Opposition hatte Präsident Saakaschwili am Donnerstag (9. April) bei einem Protestmeeting im Zentrum der Hauptstadt Tbilissi aufgerufen, innerhalb von 24 Stunden abzudanken und anderenfalls mit landesweiten Aktionen zivilen Ungehorsams gedroht.
Die Kundgebung verlief ohne Zwischenfälle. Der politisch angeschlagene Saakaschwili und dessen Gegner haben offenbar aus den Unruhen im November 2007 gelernt, als Sondereinheiten der Polizei durch Gaseinsatz Massenproteste auflösten. Diesmal hatten die Ordnungskräfte Anweisung, nicht zu provozieren. Auch konnte die Opposition ihre Position im öffentlich-rechtlichen Fernsehen live und ungehindert darlegen. Eine Revolte oder gar eine Revolution, so führende Regimegegner dort, werde es diesmal nicht geben, der Machtwechsel mit verfassungsmäßigen Mitteln abgehen.
Experten sind skeptisch. Angaben der Opposition, wonach sich an den Protesten am Donnerstag über 170 000 Menschen beteiligten, halten das georgische Innenministerium und Korrespondenten russischer Zeitungen für maßlos übertrieben. Sie gehen von maximal 25 000 Teilnehmern aus. Gegen vorgezogene Präsidenten-Neuwahlen sprach sich am Freitag auch das Parlament aus. Zwangsläufig: Zwei Drittel der Abgeordneten gehören zu Saakaschwilis Vereinter nationaler Bewegung und haben der Opposition als Kompromiss nur einen Dialog »zu brisanten Problemen« angeboten.
Details sind bisher nicht bekannt. Russische Medien vermuten, Saakaschwili könnte aus taktischen Gründen Teile seiner Kompetenzen an das Parlament abtreten. Denn seine Zustimmungsraten sind katastrophal. Verprellt durch den zunehmend autoritären Führungsstil und durch Vetternwirtschaft hatte sich die Mehrheit von Saakaschwilis einstigen Weggefährten schon vor dem Augustkrieg in die Opposition verabschiedet.
Die letzten Getreuen wechselten die Fronten, als Moskau die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien anerkannte.
Theoretisch, so der Politikwissenschaftler Sergej Michejew, sei ein Machtwechsel in Georgien daher ziemlich wahrscheinlich, praktisch jedoch ausgerechnet die Opposition, die ihn herbeiführen will, das größte Hindernis dafür.
Einheit und Geschlossenheit, wie sie Exparlamentschefin Nino Burdschanadse auf dem Protestmeeting am Donnerstag beschwor, seien bisher nur Wunschdenken, meinen Medien in Tbilissi wie in Moskau. In der Tat: Es gibt momentan weder ein Schattenkabinett noch eine gemeinsame Führung. Nicht einmal ein gemeinsames Programm. Die Gegnerschaft zu Saakaschwili ist bislang einziger gemeinsamer Nenner drei konkurrierender und in etwa gleich starker Gruppierungen.
Der Unternehmer Lewan Gatschetschiladse, der die sogenannte Vereinigte Opposition – eine Allianz aus neun Parteien – führt, unterlag Saakaschwili schon bei den vorgezogenen Präsidentenwahlen im Januar 2008. Auch Ex-UNO-Botschafter Irakli Alassanija ist bisher nicht in der Lage, die nötigen Mehrheiten zu organisieren. Burdschanadse tut sich gleichfalls schwer.
* Aus: Neues Deutschland, 11. April 2009
Tbilissi und Chisinau
Von Detlef D. Pries **
Die Georgier haben ihre »bunte Revolution« hinter sich – und sind offenbar bitter enttäuscht. Die Rosen der Revolution des Jahres 2003 sind verwelkt, südlich des Kaukasus-Kamms blühen nicht Demokratie und Wohlstand, sondern Autoritarismus und Vetternwirtschaft wie zuvor, nur unter neuen Herren. Dem Revolutionshelden Saakaschwili, der Georgien sogar in einen verlorenen Krieg geführt hat, schallt es jetzt aus zehntausenden Kehlen entgegen: »Mischa, zadi!« (Verzieh dich!)
Trotz dieses ernüchternden Beispiels – und des nicht besseren in der benachbarten Ukraine – wünschen sich etliche Moldauer auch so eine »bunte Revolution«. Deren Lieblingsfarbe scheint das Blau der EU zu sein. »Wir wollen zu Europa gehören«, riefen sie in Chisinau. Und weil das in »Europa« gemeinhin gern gehört wird: »Nieder mit den Kommunisten!« Dass die in
Moldova regierenden Kommunisten eigentlich Sozialdemokraten sind und dass sie frei und fair gewählt wurden, hat sich jedoch selbst im Westen des Kontinents herumgesprochen. Moldova mangelt es weniger an Demokratie als an deren Akzeptanz. Die Bevölkerung ist ethnisch-sprachlich und historisch-kulturell gespalten, deutlichster Ausdruck dessen ist die Abtrennung der Dnjestr-Republik. Und wenn die EU will, dass die Differenzen nicht gewaltsam ausgetragen werden, muss sie auch die »Revolutionäre« in Chisinau und ihre Fans in Bukarest deutlich an die demokratischen Regeln erinnern.
** Aus: Neues Deutschland, 11. April 2009 (Kommentar)
Saakaschwili soll gehen
In Georgien beginnt Kampagne zum Sturz des Präsidenten
Von Knut Mellenthin ***
Am zweiten Tag hintereinander haben sich am Freitag (10. April) mehrere zehntausend Menschen in der georgischen Hauptstadt Tbilissi auf dem Rustaweli-Prospekt am Parlament versammelt. Die Opposition will mit diesen Protesten, die auch in den kommenden Tagen fortgesetzt werden sollen, den Rücktritt von Präsident Michail Saakaschwili erzwingen. Seine politischen Gegner werfen ihm vor, im August vorigen Jahres leichtfertig die schwere militärische Niederlage im Südossetien-Krieg provoziert zu haben. Außerdem habe Saakaschwili ein Regime persönlicher Macht errichtet, in dem ein kleiner Kreis um den Präsidenten fast alle Medien kontrolliert, »Schutzgelder« von Privatunternehmen erpreßt und Wahlergebnisse fälscht. Auch die durch die internationale Krise zusätzlich verschlechterte Wirtschaftslage des Landes wird Saakaschwili und seiner Führungsgruppe angekreidet. Viele frühere Mitstreiter des Präsidenten, wie Nino Burdschanadse (ehemalige Parlamentspräsidentin), Irakli Alasania (ehemaliger Botschafter bei der UNO), Salome Surabischwili (ehemalige Außenministerin), Surab Noghaideli (ehemaliger Regierungschef) und Irakli Okruaschwili (ehemaliger Verteidigungsminister) gehören inzwischen der Opposition an.
Die Protestaktionen hatten am Donnerstag mit einer Großkundgebung vor dem Parlament begonnen. Während führende Oppositionspolitiker von 100000 bis 150000 Teilnehmern sprachen, gab das Innenministerium nach »Polizeischätzungen« nur 25000 an. Die unabhängige Nachrichtenagentur Civil Georgia geht nach anscheinend gründlichen Berechnungen davon aus, daß am Donnerstag zwischen 50000 und 60000 Menschen auf dem Rustaweli-Prospekt versammelt waren. Viele waren mit Bussen aus dem ganzen Land gekommen. Gleichzeitig demonstrierten auch in der größten georgischen Hafenstadt Batumi mehrere tausend Menschen. Aufgerufen hatte dort Noghaidelis Bewegung für ein gerechtes Georgien.
Während der 9. April in Georgien Feiertag ist (Tag der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Georgiens), war der gestrige Freitag ein normaler Werktag. Die Teilnehmerzahl lag daher zu Beginn der Kundgebung am Nachmittag deutlich unter der des Vortags. Bei Redaktionsschluß wurde damit gerechnet, daß die Menge am Abend anwachsen würde. Der Aktionsplan der Opposition sah vor, daß dann zwei Gruppen zum staatlich kontrollierten Fernsehsender und zur Residenz ziehen sollten, um diese abzuriegeln, während gleichzeitig die Präsenz rund um das Parlament aufrechterhalten werden sollte.
Von Sonnabend (11. April) an sollen nachmittags an allen drei Punkten Protestversammlungen stattfinden, die abends jeweils mit einer gemeinsamen Kundgebung vorm Parlament enden.
*** Aus: junge Welt, 11. April 2009
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