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Steigende Spannungen zwischen Russland und Georgien

Georgische Drohne abgeschossen - Russland dementiert - Abchasien will seine Verteidigungsfähigkeit erhöhen - Georgien verhandelt mit NATO

Aufmarsch in der Kodori-Schlucht

Spannungen um abtrünnige georgische Regionen wachsen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Georgiens Vizepremier Georgi Baramidse, in der Regierung für europäische Integration zuständig, sah schon am Freitag schwarz für die Beziehungen seines Landes zu Russland: Er hoffe, dass die gegenwärtige Konfrontation nicht zum Äußersten führt.

Tbilissi, so ließ sich Baramidse von Nachrichtenagenturen nach Gesprächen mit Vertretern von NATO und EU in Brüssel zitieren, strebe keine militärische, sondern eine diplomatische Lösung im Konflikt mit den von Moskau unterstützten Behörden in Südossetien und Abchasien an. Dabei wisse Georgien sich einig mit seinen westlichen Gesprächspartnern. Die hätten ihm versichert, dass sie die Bemühungen Tbilissis um den Erhalt der territorialen Einheit unterstützen und Moskau aufgefordert haben, alles zu unterlassen, was diese in Zweifel stellt.

In der Krisenregion selbst hat sich die Situation unterdessen zugespitzt. Vor allem in der Kodori- Schlucht, die 1994, als Georgien und Abchasien dort die Waffenstillstandslinie zogen, zur entmilitarisierten Zone erklärt worden war. Georgien, das den oberen Teil des Gebiets kontrolliert, hatte jedoch im Sommer 2006 Truppen entsandt und auch die progeorgische Exilregierung Abchasiens dorthin verlegt. Kritisiert wurde dies nicht nur von Russland und Abchasien, sondern auch von der internationalen Gemeinschaft. Am Sonnabend (19. April) rückten weitere georgische Kontingente in die Schlucht vor. Der abchasische Präsident Sergej Bagapsch drohte daraufhin mit adäquater Antwort und setzte bewaffnete Kräfte in den unteren Teil des Kodori-Tals in Marsch. Die wollen am Sonntag ein unbemanntes georgisches Aufklärungsflugzeug abgeschossen haben, was Tbilissi allerdings bestreitet.

Erst am Donnerstag (17. April) hatte Präsident Wladimir Putin Russlands Regierung offiziell zu engerer Zusammenarbeit mit Abchasien und Südossetien aufgefordert. Georgiens Präsident Michail Saakaschwili sprach daraufhin von versuchter Annexion und rief den UN-Sicherheitsrat ebenso wie den Ständigen Rat der OSZE an. Dort will Georgien den Abzug der in den Krisenregionen stationierten russischen Blauhelme und deren Ablösung durch eine internationale Friedensmission verlangen.

Dass Putin das Außenministerium am Freitag (18. April) anwies, mit Georgien Konsultationen zur Aufhebung von Wirtschaftsembargo und Visumszwang aufzunehmen, brachte Saakaschwili und Parlamentschefin Nino Burdshanadse zusätzlich in Rage. Was auf den ersten Blick nach einer Geste des guten Willens aussieht, werten beide als Beeinflussung der georgischen Parlamentswahlen Ende Mai. Putins Vorstoß könnte die regierende Vereinigte Nationale Bewegung die absolute Mehrheit kosten.

Über 50 Prozent der Georgier leben unterhalb der Armutsgrenze. Den Wahlkampf dominieren daher Forderungen nach wirtschaftlichem und sozialem Aufschwung. Der aber ist ohne Zugang zum russischen Markt und Freizügigkeit für georgische Gastarbeiter in Russland nicht zu haben. Die Opposition dürfte daher vor allem mit einer Normalisierung der Beziehungen zu Russland werben und versuchen, den durch die Unruhen im November und die vergleichsweise schwache Vorstellung bei den Präsidentenwahlen im Januar angeschlagenen Saakaschwili zu stürzen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. April 2008


Behauptungen und Dementis

Abgeschossene Drohne facht Spannungen Georgien-Rußland-Abchasien weiter an Von Knut Mellenthin ** Der Abschuß eines unbemannten georgischen Flugobjekts, einer sogenannten Drohne, über Abchasien wird am heutigen Mittwoch (23. April) den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschäftigen. Über den Vorfall gibt es nach wie vor widersprüchliche Darstellungen. Die abchasische Regierung hatte den Abschuß am Sonntag gemeldet. Georgien bestritt den Zwischenfall zunächst kategorisch und behauptete, es hätten sich zur fraglichen Zeit überhaupt keine georgischen Militärflugzeuge in der Luft befunden. Am Montag meldete Abchasien, daß Trümmerstücke der abgeschossenen Maschine gefunden worden seien. Daraufhin räumten georgische Regierungsstellen den Verlust der Drohne ein -- und behaupteten zugleich, sie sei von einer russischen MIG-29 abgeschossen worden. Der Zwischenfall sei angeblich von der Videokamera der Drohne gefilmt worden. Präsident Michail Saakaschwili sprach von einer »unprovozierten Aggres­sion« Rußlands »gegen das souveräne Territorium Georgiens«. Er verurteilte in diesem Zusammenhang erneut die von Moskau kürzlich bekanntgegebenen Maßnahmen zur Erleichterung der Beziehungen zu den von Georgien abgefallenen Republiken Abchasien und Südossetien: Sie kämen einer »Legalisierung der Annexion eines großen Teils des Territoriums von Georgien« gleich.

Ein Sprecher der russischen Luftwaffe dementierte die georgische Darstellung: Am Sonntag (20. April) hätten die Piloten einen Ruhetag gehabt, und es sei in der Kaukasusregion kein einziges russisches Militärflugzeug aufgestiegen. Abchasien präzisierte, daß der Abschuß durch eine eigene L-39 erfolgt sei. Das ist eine in den 70er Jahren in der Tschechoslowakei produzierte, leichtbewaffnete Maschine, die heute international vorwiegend als Trainingsflugzeug eingesetzt wird.

Abchasien hatte schon am 18. März den Abschuß einer georgischen Drohne gemeldet und ausländische Journalisten die Trümmer besichtigen lassen. Diesen Vorfall hat Georgien aber bis heute nicht zugegeben.

Anhand von Bruchstücken mit Seriennummern identifizierten die Abchasen die Drohnen als Hermes-450 aus israelischer Produktion. Dieses unbemannte Spionageflugzeug kann auch mit Raketen bestückt werden und wird vom israelischen Militär für »gezielte Tötungen« in den besetzten Gebieten benutzt. Saakaschwili teilte am Dienstag im Gespräch mit der New York Times mit, daß Georgien rund 40 solche Flugkörper besitzt. Wofür eine so hohe Anzahl benötigt wird und ob einige der Drohnen auch bewaffnet sind, ließ der georgische Präsident offen.

Rußland und Abchasien sind sich einig, daß die Drohnen-Flüge gegen das Waffenstillstandsabkommen von 1994 verstoßen. Der russische Botschafter bei der UNO, Witali Tschurkin, kündigte eine harte Gangart bei der heutigen Sitzung des Sicherheitsrats an: »Wir werden bestimmt ein oder zwei Sachen zu sagen haben über die jüngsten unkonstruktiven, gelegentlich sogar provokatorischen Aktionen von georgischer Seite.«

* Aus: junge Welt, 23. April 2008

Abchasien bestätigt, georgische Drohne selber abgeschossen zu haben

SUCHUMI, 22. April (RIA Novosti). Die georgische Aufklärungsdrohne ist am vergangenen Sonntag über Abchasien nicht von einem russischen Jäger, sondern vom abchasischen Militär abgeschossen worden. Das bekräftigte der abchasische Präsident Sergej Bagapsch am Dienstag.

Als "Falsifikat im Hollywood-Stil" bezeichnete er ein georgisches Video, das angeblich das Gegenteil beweist. "Ich möchte noch ein Mal betonen: Die Drohne wurde von Abchasien abgeschossen. Russland hat damit nichts zu tun", sagte der Präsident des international nicht anerkannten Kaukasus-Staates.

Abchasien hatte bereits am gestrigen Montag bekannt gegeben, am Tag zuvor ein unbemanntes georgisches Aufklärungsflugzeug über seinem Gebiet abgeschossen zu haben. Georgien wies die Meldung zuerst als falsch zurück. Doch später warf das georgische Außenministerium Russland vor, die georgische Drohne mit einem MiG-29-Jäger über dem Territorium Georgiens abgeschossen zu haben. Die russische Luftwaffe dementierte diese Meldung offiziell.

Abchasien hatte laut Präsident Bagapsch gegenüber den in der Region stationierten UN-Beobachtern sowie dem Friedenskontingent der GUS bereits mehrmals auf die Verletzung seines Luftraums durch Georgien hingewiesen. Nach einer Reihe von Warnungen schoss Abchasien am 18. März eine georgische Aufklärungsdrohne ab. "Damals hatte Georgien versichert, es habe damit nichts zu tun."

Abchasien sei in der Lage, seine Souveränität zu schützen, und werde seine Verteidigungsfähigkeit weiter erhöhen, sagte Bagapsch. Wenn Georgien weiter aufrüsten würde, würde seine Republik die Hände nicht in den Schoß legen.

Die im Süden des Kaukasus an das Schwarze Meer grenzende Abchasische Republik gehört völkerrechtlich zu Georgien, hatte sich jedoch 1992 für unabhängig erklärt, was zu einem blutigen Krieg führte. Der Sezessionskrieg dauerte etwas länger als ein Jahr, führte zu Kriegsverbrechen, vielen tausend Toten und zur Vertreibung von vielen Georgiern, die in Abchasien gelebt hatten. Im Mai 1994 wurde ein Waffenstillstand vereinbart.

Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 22. April 2008


Abchasiens Präsident: Russland ist unser wichtigster Sicherheitsgarant

SUCHUMI, 22. April (RIA Novosti). Russland ist der wichtigste Sicherheitsgarant der nicht anerkannten Republik Abchasien und der wichtigste Vermittler bei der Regelung des georgisch-abchasischen Konfliktes.

Diese Meinung äußerte Abchasiens Präsident Sergej Bagapsch am Dienstag in seiner Jahresbotschaft an das abchasische Parlament.

"Wir sind der Russischen Föderation sehr dankbar für die aktiven Bemühungen um die Lösung des Konfliktes, für das objektive und konsequente Herangehen an diese Problematik", sagte er.

Bagapsch verwies darauf, dass Russland 2008 die Sanktionen gegen Abchasien aufgehoben habe. Er äußerte auch die Hoffnung, dass die anderen GUS-Länder diesem Beispiel folgen würden.

Die Aufhebung der Sanktionen durch Russland eröffne eine neue Etappe bei der Entwicklung der nicht anerkannten Republik, so Bagapsch. Nach seinen Worten hat Moskau mehrmals seine Bereitschaft bekräftigt, Abchasiens Bevölkerung zu unterstützen und gegen etwaige äußere Bedrohungen zu schützen.

Bagapsch hob den jüngsten Auftrag von Präsident Wladimir Putin an die russische Regierung hervor, Maßnahmen zur substantiellen Hilfeleistung für die Bevölkerung der nicht anerkannten Republiken Abchasien und Südossetien zu konzipieren. "Damit werden überaus ernsthafte Einschränkungen für die Zusammenarbeit zwischen Abchasien und Russland beseitigt", sagte er.

Nun könnte Abchasien mit einer unmittelbaren Kooperation mit allen russischen Staatsstrukturen bei einem großen Spektrum von Aufgaben zusammenarbeiten, betonte der Präsident.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte sich Abchasien für unabhängig von Georgien erklärt. Im August 1992 schickte Tiflis Truppen nach Abchasien, die aber auf einen erbitterten bewaffneten Widerstand stießen. Der blutige Konflikt endete im September 1993 mit dem faktischen Verlust der Kontrolle über Abchasien durch Georgien.

Seitdem arbeitet Suchumi beharrlich auf die Anerkennung seiner Unabhängigkeit hin, die bislang von keinem einzigen Staat akzeptiert wurde. Der Frieden in der georgisch-abchasischen Konfliktzone wird von der GUS-Friedensmacht erhalten, der hauptsächlich russische Militärs angehören. Die Verhandlungen über die Beilegung des Konfliktes wurden 2006 abgebrochen.

Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 22. April 2008



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