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Justiz nimmt ihren Lauf

Weitere Verhaftungen in Georgien. Vorwürfe wegen Bespitzelung der Opposition und Mißhandlung von Soldaten

Von Knut Mellenthin *

Trotz scharfer Warnungen von NATO und EU setzt die am 1. Oktober gewählte neue georgische Regierung die juristische Auseinandersetzung mit mutmaßlichen Straftaten des alten Regimes fort. Am Donnerstag wurden zwölf frühere oder noch im Dienst befindliche hochrangige Mitarbeiter des Innenministeriums verhaftet, denen zahlreiche Fälle von Amtsmißbrauch, insbesondere illegale Bespitzelung von Oppositionspolitikern, vorgeworfen werden.

Schon in der vorigen Woche war Bacho Akhalaia verhaftet worden, der mit nur 32 Jahren nacheinander Chef des Strafvollzugs, Verteidigungsminister und zuletzt seit Juli Innenminister gewesen war. Er war am 20. September zurückgetreten, nachdem Videos aufgetaucht waren, die schwere Mißhandlungen an Häftlingen während seiner Amtszeit als Chef des Gefängniswesens dokumentierten. Zwei gleichzeitig mit Akhalaia festgenommene Offiziere, darunter Generalstabschef Giorgi Kalandadse, wurden inzwischen gegen Kaution freigelassen. Den dreien werden mehrere Fälle gemeinschaftlicher Mißhandlung und Freiheitsberaubung von Soldaten vorgeworfen.

Bei den am Donnerstag Verhafteten handelt es sich fast ausschließlich um Funktionäre des dem Innenministerium unterstellten Verfassungsschutzes, praktisch eine Geheimpolizei mit weitgehenden Befugnissen und einem schlechten Ruf, was den Umgang mit Gesetzen und Menschenrechten angeht. Unter ihnen sind der Chef dieser Behörde, Lewan Kardawa, zwei seiner Stellvertreter und mehrere Abteilungsleiter sowie deren Stellvertreter. In erster Linie wird ihnen vorgeworfen, Telefongespräche abgehört und sich in die Computer von Oppositionellen »eingehackt« zu haben, um deren Privatleben auszuforschen und möglicherweise kompromittierendes Material zu produzieren. Einige der Beamten sollen außerdem während des Wahlkampfs an der Entführung eines Leibwächters des damaligen Oppositionsführers und jetzigen Premierministers Bidsina Iwanischwili beteiligt gewesen sein.

Ebenfalls am Donnerstag wurde der frühere stellvertretende Innenminister Schota Khisanischwili verhaftet, den Präsident Michail Saakaschwili nach dem Wahlsieg der Opposition zum stellvertretenden Bürgermeister der Hauptstadt Tbilissi ernannt hatte. Khisanischwili war unter Wano Merabischwili, einem Mitglied des engsten Führungskreises um Saakaschwili, Verwaltungschef des Innenministeriums gewesen. Als Akhalaia im Juli Innenminister wurde – Merabischwili wechselte damals auf den Posten des Premierministers –, wurde Khisanischwili sein Stellvertreter. Was jetzt zu seiner Verhaftung führte, blieb zunächst unklar.

Der Bürgermeister von Tbilissi, Gigi Ugulawa, ein enger Kampfgefährte Saakaschwilis und mutmaßlich gleichfalls in die illegalen Praktiken des alten Regimes verstrickt, brach nach dem Bekanntwerden von Khisanischwilis Verhaftung einen Besuch in Italien vorzeitig ab. Noch von dort aus verurteilte er vor laufenden Fernsehkameras die Maßnahmen der neuen Regierung als »politische Verfolgung« und als Weg zu einer »Diktatur«. »Wir treten in eine scharfe Konfrontation ein.« Iwanischwili habe sich entschieden, alle von ihm nicht kontrollierten Institutionen anzugreifen. Das werde sich jedoch als »Bumerang« erweisen, »der euch selbst treffen wird«. Darüber müßten sich alle klar werden, »die jetzt in diese schmutzigen Revancheaktivitäten verstrickt sind«.

Die bisher eingeleiteten Ermittlungen gegen Angehörige des alten Regimes berühren nur wenige, nicht einmal extrem schlimme Fälle. Seit Jahren erhobenen Vorwürfen wegen schwerer Körperverletzung und sogar Mord an Oppositionellen und ehemaligen Verbündeten Saakaschwilis wurde noch nicht nachgegangen. Auch wurden noch keine Anklagen wegen Korruption und Schutzgelderpressung erhoben, die für die Methoden des alten Regimes gegenüber Geschäftsleuten typisch waren.

* Aus: junge Welt, Samstag, 17. November 2012


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