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Saakaschwili: "Wir befinden uns nicht im Kriegszustand mit Russland"

Georgien rüstet auf - Verhältnis zu Russland auf dem Tiefpunkt

Im Folgenden dokumentieren wir drei Beiträge, die am 13. August 2007 den Themenschwerpunkt der Tageszeitung "junge Welt" bildeten.



Vergiftetes Verhältnis

Dauerkrise in russisch-georgischen Beziehungen: Streit über Raketenabwurf in Südossetien neuer Höhepunkt. Tbilissi beschwichtigt: "Wir befinden uns nicht im Kriegszustand."

Von Knut Mellenthin *


»Wir befinden uns nicht im Kriegszustand mit Rußland«, verkündete Georgiens Präsident Michail Saakaschwili am vergangenen Freitag in einer Rede vor Studenten. Vorausgegangen waren drei, vier heiße, emotionsgeladene Tage, die diese völlig banale Feststellung offenbar angeraten sein ließen. Am Dienstag (7. August) hatte die Regierung in Tbilissi gemeldet, daß am Vortag zwei russische Kampfflugzeuge 70 bis 80 Kilometer weit in den georgischen Luftraum eingedrungen seien. Eines von ihnen habe eine Rakete abgeworfen, deren Überreste gefunden worden seien. Kurz darauf war nur noch von einem Flugzeug statt von zweien die Rede.

Ganz anders die russische Version: Danach sei ein georgisches Kampfflugzeug über der separatistischen Republik Südossetien aufgetaucht und habe etwas später abgedreht, nachdem es vom Boden beschossen worden war. Da georgische Flugzeuge und Hubschrauber ständig über Südossetien fliegen – Tbilissi erkennt die Existenz eines südossetischen Luftraums ausdrücklich nicht an – klingt die russische Darstellung durchaus glaubwürdig.

Der jetzige Konflikt ist aber nur ein weiterer Höhepunkt in dem schon lange vergifteten Verhältnis zwischen beiden Staaten. Im vorigen Jahr war es zunächst im Januar ein Streit um die Versorgung Georgiens mit russischem Erdgas, der die Emotionen hochschlagen ließ. Nach der Beschädigung einer Pipeline und einer Hochspannungsleitung im russischen Nordkaukasus durch Bombenanschläge war Georgien ausgerechnet in der kältesten Jahreszeit vorübergehend ohne Energiezufuhr. Die georgische Regierung machte dafür Rußland verantwortlich und wetterte über »die verabscheuungswürdige Erpressung durch Leute, die sich nicht in zivilisierter Weise benehmen wollen«.

Anfang September 2006 ließ die Regierung in Tbilissi 29 Oppositionspolitiker verhaften. Angeblich hatten sie einen von russischen Geheimdiensten gelenkten und finanzierten Putsch geplant. Ende September 2006 riegelten georgische Sicherheitskräfte tagelang das russische Militärhauptquartier in Tbilissi ab, das im wesentlichen der Organisierung der vereinbarten Auflösung der russischen Stützpunkte in Georgien dient. Die Blockade sollte aufrechterhalten werden bis zur Auslieferung eines russischen Offiziers, dem Spionage vorgeworfen wurde. Unter demselben Vorwurf wurden kurzzeitig vier russische Offiziere verhaftet.

Rußland reagierte mit der Aussetzung aller Luft-, See-, Land- und Postverbindungen nach Georgien. In Moskau wurden Georgiern gehörende Spielkasinos und mehrere georgische Restaurants durchsucht und geschlossen. Zahlreiche Georgier, die sich illegal in Rußland aufgehalten hatten, wurden abgeschoben. Die Regierung in Tbilissi lenkte schließlich ein.

* Aus: junge Welt, 13. August 2007

"Wiedervereinigung" Georgiens mit allen Mitteln

Mit Bestechung, militärischem Druck und inszenierten Demonstrationen versucht Tbilissi "Abtrünnige" einzubinden

Von Knut Mellenthin *

Als sich die Nationalbewegung von Michail Saakaschwili im November 2003 an die Macht putschte, stand mehr als ein Fünftel des Territoriums von Georgien nicht unter Kontrolle der Regierung in Tbilissi. Neben Abchasien und Südossetien, die schon Anfang der 90er Jahre ihre Unabhängigkeit erklärt und gegen militärische Rückeroberungsversuche verteidigt hatten, verweigerte auch Adscharien unter Führung seines autoritären Präsidenten Aslan Abaschidse den Gehorsam. Da der größte Hafen des Landes, Batumi am Schwarzen Meer, auf adscharischem Gebiet liegt, stellte Abaschidses Rebellion neben den politischen Aspekten auch ein großes wirtschaftliches Problem dar.

Im Januar 2004 wurde Saakaschwili mit atemberaubenden 97 Prozent zum Präsidenten gewählt. »Georgiens territoriale Integrität ist das Ziel meines Lebens«, verkündete er bei den aufwendigen zweitägigen Feierlichkeiten zu seiner Amtseinführung. »Wir werden unser Äußerstes tun, damit die nächsten Einführungsfeiern auch in Suchumi – der Hauptstadt Abchasiens – stattfinden können«, rief Saakaschwili aus. Während er einerseits immer wieder beteuert, sein Ziel mit friedlichen Mitteln erreichen zu wollen, droht er zugleich mit militärischer Gewalt. Bei einer Militärparade zum Nationalfeiertag am 25. Mai 2004 zum Beispiel sagte Saakaschwili in seiner Ansprache: »Wenn man irgendeinen georgischen Soldaten fragt, warum er in den Streitkräften dient, dann wird jeder von ihnen antworten: ›Um Georgiens territoriale Integrität wiederherzustellen.‹«

Als schwächstes Kettenglied setzte Saakaschwili zunächst Adscharien unter Druck. Die Bevölkerung dieses Gebiets besteht überwiegend aus ethnischen Georgiern, und Präsident Abaschidse hatte nie die grundsätzliche Zugehörigkeit zu Georgien in Frage gestellt. In der Hauptsache ging der Streit um die Verteilung der Einnahmen des Hafens Batumi und der dort befindlichen Erdöl-Verarbeitungsanlagen. Saakaschwilis Taktik kombinierte militärischen Druck, Bestechung führender adscharischer Beamter und Militärs sowie in der entscheidenden Phase inszenierte Demonstrationen in Batumi. Anfang Mai 2004 flüchteten Abaschidse und einige andere Spitzenpolitiker mit dem Flugzeug nach Moskau.

Die so leicht gewordene Rückgewinnung Adschariens veranlaßte Saakaschwili zu militärischen Abenteuern gegen Südossetien als nächstem Ziel. Das Gebiet ist rund anderthalb Mal so groß wie das Saarland, hat aber nur etwa 100000 Einwohner. Ein Fünftel von ihnen sind ethnische Georgier. Sie bilden die Mehrheit in einer Reihe von Dörfern rund um die Hauptstadt Tschinwali. Für die Sicherheit in dieser sogenannten Konfliktzone, 15 Kilometer im Umkreis von Tschinwali, ist seit 1994 eine internationale Friedenstruppe zuständig, die aus je 500 südossetischen, georgischen und russischen Soldaten bestehen soll. Tatsächlich schöpft Georgien aber sein Kontingent nicht aus. Statt dessen schickt es Polizisten und Soldaten in die »Konfliktzone«, die nicht den Anweisungen des russischen Kommandeurs der Friedenstruppe, sondern denen der Führung in Tbilissi folgen.

Im Sommer 2004 provozierte Georgien ständige bewaffnete Zwischenfälle, bei denen es auf beiden Seiten zahlreiche Tote gab. Auf dem Höhepunkt besetzten georgische Eliteeinheiten am Morgen des 19. August 2004 im Handstreich mehrere »strategische« Hügel in der Umgebung von Tschinwali. Allen Anzeichen nach handelte es sich um eine Kriegseröffnung. Um so überraschender war, daß sich die Georgier wenige Stunden später wieder zurückzogen und die Hügel an die Friedenstruppe übergaben. Das wurde allgemein als Ergebnis einer US-amerikanischen Blitzintervention in Tbilissi gedeutet.

Ohne ganz von militärischen Provokationen zu lassen, stellt Saakaschwili seither politische Methoden in den Vordergrund. Am 12. November 2006 ließ er in den georgischen Dörfern der Konfliktzone seinen Vertrauensmann Dmitri Sanakojew zum »Präsidenten« wählen. Es folgte die Bildung einer »provisorischen Regierung« und schließlich im Mai dieses Jahres die Proklamation der »Provisorischen Verwaltungseinheit Südossetien« in einem Dorf der Konfliktzone. Seither bemüht sich die georgische Regierung um die internationale Aufwertung von Sanakojew.

Eine ähnliche Taktik verfolgt Georgien gegenüber Abchasien. Nach den für beide Seiten verlustreichen Kämpfen 1992/1993 war mit dem Oberen Kodori-Tal ein kleiner Teil des abchasischen Territoriums unter georgischer Kontrolle geblieben. Im Waffenstillstandsabkommen von 1994 wurde die Entmilitarisierung dieses Gebirgsgebiets vereinbart, in dem rund 2000 ethnische Georgier in 21 Dörfern leben. Im Juli 2006 besetzte georgisches Militär widerrechtlich das Obere Kodori-Tal. Ein Dorf wurde zum Sitz der sogenannten abchasischen Exilregierung bestimmt, die bis dahin in Tblissi residiert hatte.

Saakaschwili hat es also geschafft, in beiden abtrünnigen Republiken einen »Fuß in die Tür« zu setzen. Das ist von nicht zu unterschätzender symbolischer Bedeutung auf der internationalen Bühne. Es bringt ihn aber der Rückgewinnung Abchasiens und Südossetiens keinen Schritt näher. Solange Georgien seine Territorialprobleme nicht auf irgendeine Weise löst, werden ihm vermutlich die Tore der Europäischen Union und der NATO verschlossen bleiben. Der Westen ist gewarnt, seit Saakaschwili am 14. Februar 2006 prahlte, die NATO-Mitgliedschaft werde bedeuten, »daß Georgiens Grenzen NATO-Grenzen sein werden. Diese Grenzen werden dann nicht nur von unseren Panzern und Flugzeugen verteidigt werden, sondern von Tausenden westlichen Flugzeugen.« – So schnell möchte niemand von einem schwer kontrollierbaren nationalistischen Hitzkopf zu einem Krieg mit Rußland gezwungen werden.

* Aus: junge Welt, 13. August 2007

Tbilissi rüstet auf

Militärausgaben mehr als verzehnfacht *

Die georgischen Streitkräfte erfreuen sich seit einigen Jahren der besonderen Aufmerksamkeit des Pentagon. Im Frühjahr 2002 begannen die USA im Rahmen des Georgia Train and Equip Program (GTEP) mit der gezielten Aufstellung und Ausbildung georgischer Eliteeinheiten, angeblich für die Terrorismus-Bekämpfung. Verbunden damit ist eine intensive Mitwirkung und Führungsrolle amerikanischer Militärs bei der Mo­dernisierung und Umstrukturierung der georgischen Streitkräfte. Nach dem formalen Auslaufen des GTEP übernahmen private Sicherheitsunternehmen, die ehemalige Offiziere beschäftigen, die Ausbildung weiterer georgischer Einheiten.

Georgien hat nach den Erkenntnissen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI die weltweit höchste Steigerungsrate nationaler Rüstungsaufwendungen. Auf der Webseite des georgischen Verteidigungsministeriums werden die Ausgaben im laufenden Haushaltsjahr mit umgerechnet 395,4 Millionen Euro angegeben. Bevor die Nationalbewegung von Michail Saakaschwili im November 2003 in der »Rosenrevolution« die Macht übernahm, gab Georgien lediglich 30 Millionen Euro jährlich für seine Streitkräfte aus. Oppositionspolitiker gehen davon aus, daß die Rüstungsausgaben noch höher sind als offiziell angegeben.

Ein großer Teil der Ausgaben wird für laufende Kosten (beispielsweise Stationierung von 2000 Soldaten im Irak) sowie für Modernisierung und Neubau von Militäranlagen verwendet, um überall NATO-Standards zu ereichen. Die Anschaffung von Waffen unterliegt der Geheimhaltung – angeblich, um Rußland keine Möglichkeit zu geben, auf die Lieferfirmen Einfluß zu nehmen.

(km)

* Aus: junge Welt, 13. August 2007




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