Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Regierungschef im Jubeltaumel

Bedingungen für Finanzhilfe könnten in Georgien für Ernüchterung sorgen

Von Holger Elias *

Die internationale Geberkonferenz in Brüssel hat Georgien am Mittwoch fast 3,5 Milliarden Euro für den zivilen Wiederaufbau zugesagt. Noch in diesem Jahr sollen demnach 1,36 Milliarden Euro an das Land überwiesen werden. Deutschland kündigte an, 35 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Mit dem Geld verbindet der Westen allerdings klare Forderungen an die georgische Regierung.

Als die Zahlen auf der Brüsseler Konferenz bekannt wurden, setzte auf beiden Seiten Jubel ein: Geber und Bittsteller freuten sich gleichermaßen, weil keiner damit gerechnet hatte, dass am Ende so viel Geld zusammenkommen könnte. Der georgische Premier Lado Gurgenidse bekannte freudig erregt, dass seine Erwartungen deutlich übertroffen wurden. Georgien empfinde tiefe Dankbarkeit und werde den Steuerzahlern der Geberländer diese große Geste nie vergessen. Das Geld werde das Land stärker und wirtschaftlich erfolgreicher machen, sagte Gurgenidse und schob artig nach, dass sein Land auch demokratischer werde.

Gerade da hatte der Regierungschef den wunden Punkt getroffen. Denn den Preis für die Finanzspritze hatten die EU-Politiker zuvor festgelegt. »Wir erwarten, dass Georgien das Geld nutzt, um wichtige Reformen voranzubringen«, hatte EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner geäußert und dabei die Modernisierung des georgischen Justizsystems, eine bessere Verwaltung der öffentlichen Finanzen und mehr Pressefreiheit verlangt.

Noch deutlicher wurde EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Er machte klar, dass es sich bei der Finanzhilfe für Georgien nicht etwa um einen reinen Solidaritätsakt der Europäer handelt. Wenn dem Land geholfen werde, seine wirtschaftliche und politische Sicherheit sowie seine Infrastruktur zu verbessern, dann sichere dies auch Europas Energieversorgung, meinte der Portugiese. Denn jeder Konflikt an den Grenzen gefährde Sicherheit und Stabilität. Deshalb habe auch der Krieg im Kaukasus eine »Bedrohung für Europas unabhängige Energieversorgung« dargestellt – durch das Land führen drei Pipelines Richtung Europa. Diese waren zeitweilig ebenso abgeschnitten wie die Öltransporte auf der Schiene.

In die Brüsseler Jubelszenen und Gurgenidses Versprechen, Georgien nun demokratischer zu machen, mischten sich auch sorgenvolle Stimmen. Georgische Oppositionelle hatten in einem Brief gefordert, die finanzielle Hilfe zweckgebunden einzusetzen, damit die Armut bekämpft und nicht das Regime gestärkt werde. Das Geld müsse auf direktem Wege und mit der größtmöglichen Transparenz in Georgien verteilt werden. Auch die Organisation Transparency International fürchtet, dass ein Großteil der Hilfsgelder in dunklen Kanälen versickern könnte.

Nach Schätzungen der Weltbank, die mit der EU-Kommission die Geberkonferenz organisiert hatte, werden für Reparaturen, Investitionen und humanitäre Hilfen bis ins Jahr 2011 rund 2,4 Milliarden Euro benötigt. Zwar geht die Summe, die in Brüssel per Willensbekundung zusammenkam, deutlich über den Bedarf hinaus, doch zeigen Erfahrungen, dass sich Geber in der Vergangenheit oftmals an ihre eigenen Zusagen nicht gebunden fühlten. Auch auf dem Balkan klaffte seinerzeit eine gewaltige Lücke zwischen großzügigen Versprechen und den Hilfspaketen, die tatsächlich ankamen.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Oktober 2008


Zurück zur Georgien-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage