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Amnestiegesetz zeigt Wirkung

Neue Regierung Georgiens entläßt politische Gefangene aus der Haft

Von Knut Mellenthin *

In Georgien wurden am Sonntag 190 Häftlinge in die Freiheit entlassen. Das neugewählte Parlament hatte sie am 5. Dezember als politische Gefangene anerkannt. Weiteren 25 Georgiern, die aufgrund früherer Verurteilung oder Strafverfahren im Ausland leben, wurde der Status »im politischen Exil« zugesprochen. Praktisch bedeutet das für sie die Möglichkeit, legal in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Die jetzt Freigekommenen sind die ersten, die von dem Amnestiegesetz begünstigt werden, das im Dezember verabschiedet wurde. Weitere 3000 Strafgefangene werden voraussichtlich in nächster Zeit die Haftanstalten verlassen dürfen. Für Tausende weitere Häftlinge sieht das Gesetz Verkürzungen der noch abzusitzenden Zeit vor. Georgien gehört, gemessen an seiner Bevölkerung, neben den USA zu den Staaten mit den meisten Gefängnisinsassen.

Präsident Michail Saakaschwili, dessen seit 2004 alleinregierende Nationalbewegung am 1. Oktober von den Wählern in die Opposition geschickt wurde, hatte die Inkraftsetzung des Amnestiegesetzes zunächst blockiert, indem er seine Unterschrift verweigerte. Daraufhin hatte das Parlament mit der erforderlichen Mehrheit von mindestens 60 Prozent der Abgeordneten das Präsidentenveto überstimmt. Nachdem Saakaschwili an seiner Ablehnung festhielt, wurde das Gesetz am Sonnabend verfassungsgemäß vom Parlamentspräsidenten unterzeichnet.

Unter den 190 freigelassenen politischen Gefangenen sind rund 60 Menschen, die im Frühjahr 2011 angeblich wegen illegalem Besitz von Waffen und Drogen sowie wegen »Widerstand gegen die Staatsgewalt«, tatsächlich aber wegen ihrer Teilnahme an regierungsfeindlichen Demonstrationen verurteilt worden waren. 20 andere befanden sich wegen der sogenannten Mukhrowani-Meuterei vom Mai 2009 in Haft. Ein in diesem Ort stationiertes Panzerbataillon – rund 500 Soldaten – hatte sich damals geschlossen geweigert, zu einem Einsatz gegen Demonstranten auszurücken. Die im Januar 2010 gesprochenen Urteile waren extrem hart: 29 Jahre Gefängnis für einen Offizier im Ruhestand, 28 Jahre für einen anderen, 19 Jahre für den Bataillonskommandeur, 10 bis 15 Jahre für sieben Zivilisten, die sich im Stützpunkt Mukhrowani aufgehalten hatten, zahlreiche Verurteilungen zu drei Jahren Haft gegen Soldaten der Einheit.

Saakaschwilis besonderen Ärger erregte, daß auch etliche Häftlinge in die Freiheit entlassen wurden, die in Geheimverfahren wegen angeblicher Spionage für Rußland zu langen Strafen verurteilt worden waren. Darunter der frühere Diplomat und Militärfachmann Vakhtang Maisaia, der im Januar 2010 zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, und die elf Teilnehmer des sogenannten Enweri-Spionagefalls. Maisaia und mehrere andere erklärten nach ihrer Freilassung, sie wollten nun die Freigabe der Prozeßakten durchsetzen, um zu beweisen, daß die Anklagen gegen sie fälschlich konstruiert waren.

Indessen hat Saakaschwili dieser Tage von seinen Befugnissen als Präsident Gebrauch gemacht und mehrere Parteifreunde, die durch den Regierungswechsel ihre Ämter verloren, zu Regionsgouverneuren ernannt. Zu ihnen gehört der ehemalige Leiter der Abteilung des Innenministeriums für interne Ermittlungen, Tengis Gunawa, gegen den ein Ermittlungsverfahren läuft.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 15. Januar 2013


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