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"Betteln nicht um Anerkennung"

Abchasien nach der Wahl: Über die Beziehungen zu Georgien, Rußland und der Europäischen Union. Ein Gespräch mit Präsident Sergej Bagapsch

Sergej Bagapsch ist seit 2005 Präsident der Republik Abchasien



Herr Präsident, Sie wurden bei den Wahlen am Wochenende mit 59,4 Prozent in Ihrem Amt bestätigt. Man unterstellt Ihnen, Abchasien noch mehr von Rußland abhängig machen zu wollen.

Umgekehrt, man unterstellt mir, daß ich gegen Moskaus Kandidaten kandidiert habe. Doch auch wenn der sogenannte Kandidat Moskaus nicht gewonnen hat, werden sich die Beziehungen zu Rußland nicht verschlechtern. Unser besonderes Verhältnis zu Rußland stand im Mittelpunkt der strategischen Orientierung aller Kandidaten. Am wichtigsten aber ist es, unsere Unabhängigkeit zu bewahren.

Was hätte sich geändert, wenn Sie nicht gewählt worden wären?

Ich stehe für Kontinuität und eine Politik des ökonomischen Wachstums. Für uns spielt im Moment natürlich die Außenpolitik eine herausragende Rolle. Meine Mannschaftskollegen und ich haben inzwischen genügend Erfahrungen gesammelt, unsere Außenbeziehungen erfolgreich zu gestalten. Was die anderen im Wahlkampf versprochen haben, wird von uns schon seit einigen Jahren gemacht.

Weshalb schließen Sie eine Zukunft Abchasiens innerhalb des georgischen Staatsverbandes völlig aus?

Weil wir eine Vergangenheit und Gegenwart als eigener Staat haben und auch weiterhin selbständig bleiben wollen. Als die Sowjetunion gegründet wurde, war Abchasien ein souveräner Staat. Es war Stalins Entscheidung, Abchasien in die Sowjetrepublik Georgien einzugliedern. In der Folge wurde ein Prozeß massiver Assimilierung in Gang gesetzt. Mehrere hunderttausend Georgier wurden nach Abchasien umgesiedelt. Mit dem Ergebnis, daß 1991 nur noch 17 Prozent der Bevölkerung ethnische Abchasier waren. 1992 begann Georgien mit dem Krieg. Er war für unser Volk der »point of no return«. Wir werden niemals wieder ein Teil Georgiens sein. Es wird sehr schwierig werden, unsere Unabhängigkeit angesichts der westlichen Blockadepolitik zu behaupten, doch einen anderen Weg gibt es für uns nicht.

In jedem Fall bleibt Georgien Ihr Nachbarland. Wie gedenken Sie, die künftigen Beziehungen zu diesem schwierigen Nachbarn zu gestalten?

Die Beziehungen zu Georgien müssen natürlich besser werden. Aber es muß sich um die Beziehungen zwischen zwei unabhängigen Staaten handeln. Nun liegt alles an Georgien. Es besteht aber leider nicht der geringste Grund zur Annahme, daß die Normalisierung der Beziehungen schnell vor sich gehen wird.

Wie wollen Sie die Flüchtlingsfrage lösen?

Nach dem Krieg 1998/99 sind 55000 georgische Flüchtlinge nach Abchasien zurückgekehrt. Insgesamt sind an die 250000 infolge der Kriegswirren nach Georgien geflüchtet. Sie alle wieder aufzunehmen, ist unmöglich. Die Europäische Union und die gesamte internationale Gemeinschaft sollten ihr Geld statt für die Aufrüstung Georgiens für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung stellen.

Unabhängigkeit ist eine schöne Sache. Doch wie steht es um die ökonomischen Voraussetzungen dafür?

In der Sowjetperiode und vor dem Krieg war Abchasien ein ökonomisch stark entwickeltes Gebiet. Pro Jahr kamen zweieinhalb Millionen Touristen in unser Land. Auch die Infrastruktur war entsprechend entwickelt. Als tropisches Gebiet können wir mit Tee und Südfrüchten aufwarten. Im Moment sind die Landwirtschaft und die Weiterverarbeitung agrarischer Produkte unser wichtigster Wirtschaftssektor. Abchasien könnte für Investoren aller Art ein Hoffnungsgebiet sein. Busineß bedarf der politischen Stabilität. Mit der staatlichen Anerkennung haben wir diese erreicht. Rußland hat uns in der Übergangsphase sehr geholfen.

Abchasien ist bisher nur von Rußland, Venezuela und Nica­ragua anerkannt worden. Welche Länder könnten die nächsten sein?

Sie wissen um die Haltung der Europäischen Union. Wir haben nicht die Absicht, um unsere Anerkennung zu betteln. Es gibt auch noch andere Länder auf der Welt. Wir haben enge Kontakte zum Iran, zu Syrien und Libyen. Das wichtigste ist die ökonomische Zusammenarbeit. Eine solche entwickelt sich mit Equador und anderen lateinamerikanischen Ländern. Es kommt nicht auf die Quantität der anerkennungswilligen Staaten an. Westsahara wird von 49 Ländern anerkennt. Das hilft ihnen aber auch nicht weiter.

Schmerzt es Sie, von Belarus nicht anerkannt worden zu sein?

Mit Belarus wird das Problem bald gelöst sein. Ich schätze, mit Beginn nächsten Jahres. Mit der EU sieht das leider anders aus. Ich war zum Beispiel von belgischen Abgeordneten zu einem Vortrag an einer Universität eingeladen worden, bekam aber kein Visum. Das ist weiter nicht tragisch. Weit schlimmer war es, als ein kleiner abchasischer Junge, der zu einer lebensrettenden Operation nach Deutschland hätte fliegen sollen, kein Visum bekam. Wo bleiben da die Menschenrechte? Aufgrund der Feindseligkeit uns gegenüber erlauben wir europäischen Beobachtungstruppen nicht, zu uns zu kommen. Sie sollen das Land beobachten, das mit dem Krieg begonnen hat. Das ist Georgien.

Wollen Sie eine Vereinigung mit Rußland für alle Zeiten ausschließen?

Einen Anschluß an Rußland schließen wir definitiv aus. Beide Seiten wollen das nicht. Wir haben ein Gesetz, daß weder eine Volksabstimmung noch sonst irgendein Beschluß den Status Abchasiens als unabhängiger Staat verändern kann.

Interview: Werner Pirker, Suchumi

* Aus: junge Welt, 16. Dezember 2009

Nauru erkennt Abchasien an

Nach Rußland, Venezuela und Nicaragua hat auch Nauru die Unabhängigkeit der Republik Abchasien anerkannt. Die Außenminister beider Länder, der Abchase Sergej Schamba und der Außenamtschef der kleinen Südseeinsel, Kirien Keke, unterzeichneten am Dienstag (15. Dez.) ein entsprechendes Abkommen. Die Unterzeichnungszeremonie fand im Sitz der abchasischen Präsidentenadministration in Suchumi statt. »Ich hoffe, daß auch andere Länder unserem Beispiel folgen und Abchasiens Unabhängigkeit anerkennen werden«, sagte Keke. Ein wirklicher Durchbruch der diplomatischen Blockade Abchasiens ist das nicht, zählt die pazifische Inselrepulik Nauru mit rund 14000 Einwohnern nicht gerade zu den global players der Politik.

Gewichtiger ist da die Weigerung Washingtons, die jüngsten Wahlen in Abchasien anzuerkennen. »Die USA bedauern den Beschluß, ›Wahlen‹ in dieser georgischen Region abzuhalten und erkennen weder die Legitimität noch die Ergebnisse dieser Wahlen an«, zitierte die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti US-Außenamtssprecher Ian Kelly am Dienstag. »Die USA verweisen erneut auf ihre Unterstützung für Unabhängigkeit und territoriale Integrität Georgiens in den völkerrechtlich anerkannten Grenzen.«

Georgien nannte die Präsidentenwahlen in der Republik Abchasien am letzten Sonnabend »gesetzwidrig«. »Die sogenannten Wahlen wie auch die früheren ähnlichen Farcen entbehren offensichtlich jeder legitimen Grundlage und sind gesetzwidrig«, heißt es in einer Erklärung des georgischen Außenamtes. Nach dem fünftägigen Krieg im August 2008 hatte Rußland die Unabhängigkeit der ehemaligen georgischen Autonomien Abchasien und Südossetien anerkannt. Es handelte sich um die ersten Wahlen nach dem Krieg. Die Amtseinführung des abchasischen Präsidenten ist für den 12. Februar 2010 geplant. (jW)

Quelle: junge Welt, 16. Dezember 2009




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