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Krieg und Frieden, Häuser und Wasser

Die großen Fragen, die sich bei einem Gaza-Abkommen stellen, werden von vielen kleineren umrahmt

Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv *

Mehr als 10 000 Menschen haben am Donnerstag in Tel Aviv für Frieden demonstriert; ein Abkommen scheint in Reichweite. Doch zumindest in Israel ist es umstritten.

Krieg und Frieden – für einige Stunden sind sie eng vereint und zeigen, wie wenig sie miteinander auskommen. Es ist eine große Menschenmenge, die Größte bisher seit dem offiziellen Beginn des Krieges, die sich am Donnerstagabend auf dem Rabin-Platz vor dem Rathaus in Tel Aviv versammelt hat: Gut 10 000 Menschen sind gekommen, um, so das offizielle Thema der Kundgebung, »Solidarität mit dem Süden« zu bekunden.

Doch die Gemeinsamkeiten der Demonstranten sind gering. Man ist sich einig, dass die Operation »Fels in der Brandung« zum Krieg erklärt werden müsse. Denn davon hängt es ab, wie hoch die Entschädigungen für Hausbesitzer und Unternehmen ausfallen. Die Regierung sträubt sich dagegen; ein Verfahren vor dem Obersten Gericht ist anhängig. Doch in der Frage, wie der Frieden erreicht werden soll, kommt es immer wieder zum Streit zwischen linken und rechten Demonstranten. Die einen fordern eine nachhaltige diplomatische Lösung. Die anderen wollen, dass das Militär die Dinge regelt. »Ich vertraue nur dem Militär, wir können die Hamas zerstören, wenn wir nur wollen; nur eine militärische Lösung bringt Frieden für den Süden«, sagt der 36-jährige Jaron Cohen und wird sofort von den Umstehenden unterbrochen. »Glaubst du das wirklich?«, hält der 57 Jahre alte Menachem Bar-On dagegen. »Ein Monat Krieg, und wenn es keine Verhandlungen gäbe, dann würde der Raketenbeschuss weitergehen.«

Die Verhandlungen gehen auch in diesen Stunden weiter. In Ramallah, Gaza und Doha, wo das Politbüro der Hamas sitzt, verhandeln die palästinensischen Fraktionen unermüdlich, während in Jerusalem das Sicherheitskabinett nur sehr kurze Pausen zwischen seinen Sitzungen macht – Anzeichen dafür, dass der Entwurf für einen Deal auf dem Tisch liegt. Wird er die Erwartungen der Menschen auf beiden Seiten erfüllen?

Während in Tel Aviv Frieden für den israelischen Süden gefordert wird, erwartet man im Gaza-Streifen noch mehr als Frieden die Öffnung, den Wiederaufbau nicht nur dessen, was im Laufe des vergangenen Monats zerstört wurde, sondern auch all der Dinge, die in den vergangenen Jahren zu Bruch gegangen sind.

»Die Infrastruktur ist nicht mehr nur marode, sie ist kurz vor der Funktionsunfähigkeit«, sagt ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen, die sich in diesen Tagen um eine Bestandsaufnahme bemühen. Erstmals befasst sich die internationale Gemeinschaft fachlich kompetent mit dem Zustand der Infrastruktur.

So geht man beim palästinensischen Wasserversorger davon aus, dass der Grundwasserträger, der den Gaza-Streifen überwiegend versorgt, bereits 2020 unbrauchbar geworden sein könnte – das Grundwasser versalzt. Israels Wasserwerk Mekoroth meint sogar, dass dies bereits 2016 der Fall sein könnte. Aber: Dort nutzt man dies auch dafür, um internationale Finanzhilfen für den Bau des von Umweltschützern stark kritisierten Kanals vom Roten zum Toten Meer zu werben. Das Projekt soll nicht nur den Wasserstand des Toten Meeres halten, sondern auch Strom und Trinkwasser erzeugen.

Israels Rechte sind nach wie vor der Ansicht, dass ein Waffenstillstandsabkommen, das eine Lockerung der Blockade und möglicherweise – auch dies steht noch im Raum – den Bau eines Flug- und eines Seehafens vorsieht, die Hamas und den Islamischen Dschihad stärken wird. Israel solle lieber unilaterale Zugeständnisse machen, erklärte Handelsminister Naftali Bennett von der rechten Partei »Jüdisches Heim« am Freitag.

Ein erstes Anzeichen dafür, dass ein weiterer Showdown bevorsteht: Sollte ein Abkommen vorgelegt werden, wird Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu darüber im Sicherheitskabinett abstimmen lassen müssen und dort dann auf den Widerstand der Rechten stoßen, die darauf hoffen, damit bei der Wählerschaft punkten zu können – jenen beispielsweise, die am Donnerstagabend für Frieden durch Krieg demonstrierten.

Formaljuristisch ist eine Abstimmung zwar nicht notwendig; vom Gesetz her liegt die Entscheidung über Krieg und Frieden beim Premierminister. Doch der Koalitionsvertrag räumt dem Sicherheitskabinett eine große Rolle bei solchen Entscheidungen ein.

* Aus: neues deutschland, Samstag 16. August 2014


»Erobert Gaza jetzt!«

10000 Israelis fordern Fortsetzung des Krieges gegen die Palästinenser, »bis die Arbeit erledigt ist« US-Regierung sagt weitere Waffenlieferungen zu

Von Knut Mellenthin **


Während Zehntausende Palästinenser die Waffenruhe nutzen, um in ihre Wohnungen oder in deren Trümmer zurückzukehren, hat eine Demonstration in Tel Aviv daran erinnert, daß das Ende des Krieges noch keineswegs sicher feststeht. Mindestens 10000 jüdische Israelis nahmen am Donnerstag abend auf dem Rabin Square an einer Kundgebung für die Wiederaufnahme der Angriffe gegen Gaza teil. Als Organisatoren traten der Bürgermeister der grenznahen Stadt Sderod, Alon Davidi, und die Stadt Tel Aviv auf.

Unter den Demonstranten waren ganze Familien aus den an den Gazastreifen grenzenden israelischen Orten, die zum Teil sogar ihre Hunde mitgebracht hatten. In der Menge befanden sich auch Tausende von Jugendlichen, die während der Veranstaltung von Rockbands und Popsängern unterhalten wurden. Teenager traten ans Mikrofon, um anzuklagen, daß ihr Leben unter dem Raketenbeschuß aus Gaza unerträglich sei. Vom Leben und Leiden der palästinensischen Kinder und Jugendlichen auf der anderen Seite der Grenze war nicht die Rede. Aggressive Parolen wie »Erobert Gaza jetzt!«, »Wir lieben die Streitkräfte«, »Keine Kompromisse« und »Netanjahu ist schwach, Netanjahu ist ein Feigling, Netanjahu muß gehen« prägten das Bild. Davidi rief die Regierung auf, keinen Frieden zu schließen, sondern »die Arbeit ein für allemal zu Ende zu bringen«.

Gleichzeitig hat die Obama-Administration am Donnerstag deutlich gemacht, daß Israel auch bei einer Wiederaufnahme der Kampfhandlungen auf die Lieferung US-amerikanischer Waffen und die politische Rückendeckung Washingtons zählen könnte. Die »Verpflichtung für Israels Sicherheit« sei »unerschütterlich«, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Marie Harf. »Lassen Sie mich das ganz eindeutig sagen: Unsere Politik hat sich nicht geändert.« Anlaß der anscheinend dringend notwendigen Klarstellung war ein am Mittwoch veröffentlichter Artikel des Wall Street Journal, das den Neokonservativen und der Pro-Israel-Lobby nahesteht. Deutsche Leser kamen in den Genuß einer tendenziös aufgemotzten Kurzfassung des ausführlichen und vergleichsweise differenzierten US-amerikanischen Artikels durch Spiegel online. Überschrift: »USA stoppen offenbar Lieferung von ›Hellfire‹-Raketen an Israel«. Einleitung: »Die Stimmung zwischen Israel und den USA ist so schlecht wie lange nicht. Nun hält Washington laut Wall Street Journal eine Lieferung von Raketen an den Verbündeten zurück.«

Was tatsächlich geschah, läßt sich aus der in New York erscheinenden Tageszeitung immerhin rekonstruieren: Israel hatte mit Unterstützung aus dem Pentagon, aber ohne vollständige Kenntnis des Weißen Hauses, das Waffenarsenal der USA in einen Selbstbedienungsladen für seinen Gaza-Krieg verwandelt. Zum Eklat kam es, als die israelischen Streitkräfte am 30. Juli eine von der UNO geführte Schule mit Artillerie beschossen und mindestens 19 Menschen töteten, die dort Schutz gesucht hatten. Wenige Stunden später wurde bekannt, daß die verwendeten 120- und 40-mm-Geschosse aus US-Beständen stammten, die »für Notfälle« in Israel lagern. Aufgrund dieser Konstellation ordnete die Obama-Administration ein sorgfältigeres Genehmigungsverfahren für die Waffen- und Munitionslieferungen während der Kampfhandlungen an. In diesem Zusammenhang wurde auch eine Lieferung von »Hellfire«-Raketen, die von der zuständigen Abteilung des Pentagon schon abgesegnet war, vorläufig storniert. Diese Raketen können von Flugzeugen, Hubschraubern oder Drohnen auf Bodenziele abgefeuert werden und haben eine außerordentlich große Sprengkraft.

Veröffentlichungen neokonservativer US-Medien über angebliche Spannungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Regierungen dienen immer wieder dazu, die Pro-Israel-Lobby zu mobilisieren und Druck auf den US-Präsidenten auszuüben. Oft sind die Meldungen bewußt übertrieben oder sogar falsch.

** Aus: junge Welt, Samstag 16. August 2014


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