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Reden statt schießen

72stündige Waffenruhe im Gazastreifen zunächst eingehalten. Indirekte Verhandlungen zwischen Israel und Palästinensern. Wachsender Druck auf Tel Aviv

Von Karin Leukefeld *

Unter großem internationalem Druck haben die israelische Regierung, die Hamas und der Islamische Dschihad in der Nacht zum Dienstag eine dreitägige Waffenruhe vereinbart, die am Dienstag morgen um 5.00 Uhr Ortszeit begann. Im Gegensatz zum vergangenen Freitag, als die Vereinbarung schon kurz nach ihrem Beginn gescheitert war, hielten sich diesmal beide Seiten an die Feuerpause. Die israelischen Truppen zogen sich aus dem Gazastreifen zurück. Ein Armeesprecher erklärte, die Streitkräfte hätten ihr Ziel erreicht und alle Tunnelanlagen der Hamas im Gazastreifen zerstört. Die Truppen würden »in Verteidigungspositionen außerhalb des Gazastreifens neu aufgestellt«.

Delegationen beider Seiten sollen nun in Kairo darüber verhandeln, wie aus der befristeten Feuerpause ein langfristiger Waffenstillstand werden kann. Die Gespräche werden nicht direkt geführt, sondern über Vermittler, da sich Israel weigert, die Hamas als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Tel Aviv fordert eine komplette »Demilitarisierung des Gazastreifens«, wie der Sprecher von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Mark Regev, der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman hat eine UN-Verwaltung ins Spiel gebracht. Die Palästinenser fordern demgegenüber die vollständige Aufhebung der israelischen Belagerung sowie die Öffnung eines Flughafens und eines Hafens. Gefangene sollen freigelassen werden und die israelische Armee sich vollständig aus dem Gazastreifen zurückziehen.

Israels stellvertretender Parlamentssprecher Moshe Feiglin von der regierenden Likud-Partei hatte schon vor Tagen gefordert, daß der Gazastreifen »Teil des souveränen Israels« und »mit Juden besiedelt« werden solle. Das könne »die Wohnungskrise in Israel mindern«, so Feiglin. Für die Palästinenser, die sich Israel nicht unterordnen wollten, solle die Armee Lager einrichten, aus denen sie in alle Welt vertrieben werden sollten.

Zuletzt waren selbst Regierungen, die Israel finanziell und militärisch unterstützen, angesichts der offensichtlichen Kriegsverbrechen ihres Verbündeten auf Distanz zu Tel Aviv gegangen. Der französische Präsident François Hollande, der sonst zusammen mit seinen britischen und deutschen Amtskollegen zu den unermüdlichen Verfechtern des israelischen »Rechts auf Selbstverteidigung« zählt, sah sich gezwungen, die »Massaker in Gaza« zu verurteilen. In Großbritannien trat Sayeeda Warsi, Staatssekretärin im Außenministerium, aus Protest gegen die »moralisch nicht zu vertretende« Passivität ihrer Regierung gegenüber Israel zurück. Aktivisten der Gruppe »London Palestine Action« besetzten eine Rüstungsfabrik in Birmingham, die dem israelischen Rüstungskonzern Elbit Systems gehört. Auf einem vom Dach herabgelassenen Transparent forderten sie ein Ende der Rüstungsexporte nach Israel. Zumindest symbolisch hat Madrid diese auch in Spanien erhobene Forderung erfüllt. Die Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy setzte alle Waffenlieferungen an Israel für den Monat August aus. Das Gesamtvolumen der spanischen Rüstungsexporte an Israel lag im vergangenen Jahr allerdings nur bei fünf Millionen Euro.

Der Krieg hat auf palästinensischer Seite mehr als 1900 Menschen das Leben gekostet, zu zwei Dritteln Zivilisten. Auf israelischer Seite starben 66 Menschen, drei von ihnen Zivilisten. Das Ausmaß der Zerstörungen im Gazastreifen wird auf sechs Milliarden US-Dollar geschätzt.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 6. August 2014


Sieglos in der Sackgasse

Israel sucht nach der Gaza-Offensive einen Ausgleich mit den Palästinensern

Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv **


Im Gaza-Streifen hat am Dienstag erneut eine Waffenruhe begonnen; die Konfliktparteien wollen nun doch drei Tage lang in Kairo verhandeln. Doch die Gespräche werden schwierig.

Tanker, Lastwagen um Lastwagen stehen am Dienstagmittag am Übergang Kerem Schalom im Dreiländereck Ägypten-Palästina-Israel Schlange; penibel kontrollieren israelische Soldaten die Ladung. 300 Lastwagen, so haben es Israels Regierung und die UNO vereinbart, sollen Nahrungsmittel, Gas und Benzin in den Gaza-Streifen bringen. Zwei Flugzeuge werden zudem, wenn alles nach Plan verläuft, medizinisches Material aus den USA und Italien in die Region bringen. Im Gaza-Streifen werden die Hilfsgüter dann von Mitarbeitern des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNRWA und der palästinensischen Regierung verteilt.

Möglich wurde dies durch eine Waffenruhe, die am Dienstagmorgen in Kraft trat, nachdem sich die Konfliktparteien am Abend recht überraschend auf diesen neuen Anlauf in einer langen Serie aus beidseitigen, einseitigen, mal nur mehrere Stunden langen, mal auf mehrere Tage ausgelegten Feuerpausen geeinigt hatten. Und anders als bei den vorangegangenen Versuchen hat dieser Waffenstillstand zumindest bis zum Redaktionsschluss gehalten.

Was, und vor allem wer dies möglich gemacht hat, ist zur Zeit noch unklar. US-Außenminister John Kerry dürfte dabei eine sehr große Rolle gespielt haben, und es wird allgemein davon ausgegangen, dass die Regierung Katars eine sehr viel größere Rolle spielte, als Israels Regierung bereit ist, ihr öffentlich zuzugestehen. »Vor allem aber ist seit Sonntag eine Situation entstanden, in der keine von beiden Seiten vor oder zurück konnte«, sagt Giora Eiland, ehemals Chef des Nationalen Sicherheitsrates in Israel. Der Angriff auf eine als Flüchtlingslager genutzte UNRWA-Schule am Sonntag habe den ob der bislang nach palästinensischen Angaben 1867 getöteten Palästinenser, 64 getöteten israelischen Soldaten und drei Zivilisten in Israel ohnehin schon starken internationalen Druck auf Israel massiv erhöht. Es drohte die internationale Isolation, und die Einstellung von ausländischen Waffenlieferungen. So unterzeichnete US-Präsident Barack Obama das Gesetz über zusätzliche rund 200 Millionen Euro für das »Eiserne Kuppel«-Abwehrsystem erst am Montag, obwohl der Kongress den Beschluss bereits in der vorigen Woche gefasst hatte.

Doch auch zwei Anschläge in Jerusalem und Ausschreitungen im Osten der Stadt haben nach Ansicht Eilands der Regierung vor Augen geführt, dass die ursprünglich am Sonntag eingeschlagene Gangart »Ruhe für Ruhe« keine Aussicht auf Erfolg hatte. Die dritte Intifada gibt es zwar nicht. Aber sie ist eine reale Möglichkeit, die den Konflikt ins Westjordanland tragen würde. Und dort leben mehrere Hunderttausend israelische Siedler – Israels Regierung will eine solche Eskalation deshalb unbedingt vermeiden. Mit dem Waffenstillstand geht auch die Vereinbarung einher, in den kommenden Tagen in Kairo über eine dauerhafte Lösung zu verhandeln. Dabei wird es vor allem um den Forderungskatalog gehen, den die palästinensischen Fraktionen am Sonntag untereinander ausgehandelt hatten, und es gilt als sehr wahrscheinlich, dass zumindest ein Teil davon umgesetzt wird.

Die palästinensische Regierung in Ramallah, der auf der palästinensischen Seite zumindest im Moment eine Führungsrolle dabei zugestanden wird, hat, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, das aus ihrer Sicht schärfste Druckmittel auf den Tisch gelegt: die Mitgliedschaft im Internationalen Strafgerichtshof (ISGH). Am Dienstag trafen sich Vertreter Ramallahs in Den Haag mit Mitarbeitern des Gerichts, um über die Modalitäten für einen Beitritt zu sprechen. Dabei sollen Anklagevertreter des ISGH auch angesprochen haben, dass nicht nur von der israelischen Seite, sondern auch von der Hamas Kriegsverbrechen begangen worden sein könnten. Für die von der Fatah-Fraktion dominierte Regierung ist dies ein willkommener Nebeneffekt: Auch dort will man die Hamas schwächen, so gut es geht.

Der Waffenstillstand ist in Israel allerdings umstritten. Vor der Knesseth versammelten sich am Dienstagnachmittag Demonstranten aus dem vom Raketenbeschuss besonders stark betroffenen Grenzgebiet, um eine Fortsetzung des Militäreinsatzes zu fordern. Außenminister Avigdor Liebermann änderte am Dienstag erneut seine Forderungen an Netanjahu. Hatte er am Montag noch eine internationale Grenzschutzmission gefordert, tritt er nun für eine UNO-Mission nach dem Vorbild Kosovos ein. Es sei ein Fehler, sagte er, allein auf Abbas zu setzen.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 6. August 2014


Kairo und ein wenig Hoffnung

Roland Etzel zu der Frage, ob nach dem Krieg wieder vor dem Krieg ist ***

Ob es in Kairo tatsächlich substanziell zur Sache geht oder nicht – die Voraussetzungen für Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern waren zuletzt selten besser. Dass sie unabänderlich auf mehr angelegt sein müssen als auf eine Verstetigung der Feuerpause, steht außer Frage, selbst wenn dies den Konfliktparteien nicht zu entlocken sein wird. Dies zu kanalisieren ist Sache der Vermittler, und der gastgebende ägyptische Präsident hat hier erstmals zu beweisen, dass er nicht nur ein cleverer Ex-General, sondern auch ein Politiker ist. Es geht um nichts Geringeres als die Frage, ob auch diesmal nach dem Gaza-Krieg nur vor dem (nächsten) Gaza-Krieg ist. Große Hoffnungen auf Kairo mögen nicht realistisch sein, doch andere sind nicht in Sicht.

Israel, die stärkste Militärmacht des Nahen Ostens, hat wie schon 2006 im 33-tägigen Libanon-Krieg gegen die Hisbollah zur Kenntnis nehmen müssen, dass in einem asymmetrischen Krieg der Sieg nicht nur nach militärischen Parametern bemessen wird. Haben wir es deshalb mit einer unerklärten Kriegsbeendigung durch Netanjahu zu tun? Oder spürte er das allmähliche Schwinden der Rückendeckung durch die Verbündeten?

So steht die Hamas – obwohl es keinen Staat gibt, der ihre Raketenattacken auf Israel guthieß – als heimliche moralische Siegerin da. Mehr aber noch nicht. Dies in eine politische Strategie münden zu lassen, ist für die palästinensischen Führer jetzt die weitaus schwierigere Frage.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch 6. August 2014 (Kommentar)


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