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Peinliches Pokern um Waffenruhe

Ägyptische Initiative ohne Einbeziehung der Hamas erfolglos / Steinmeier bei Netanjahu

Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv *

Nachdem Ägypten einen Vorschlag zur Waffenruhe öffentlich gemacht hatte, ruhten am Dienstag Israels Luftangriffe auf Gaza nur für kurze Zeit. Der Raketenbeschuss durch Hamas ging ebenfalls weiter.

Es ist mittlerweile Routine: Die Sirene geht los, man steht auf, geht in den Luftschutzraum nebenan, wenn man einen hat, ansonsten in den Keller, oder man macht einfach gar nichts, wenn, was auch heute noch in Israel recht oft vorkommt, keine Schutzräume verfügbar sind. Das war auch am Dienstag nicht anders: Der Raketenbeschuss durch die Hamas ging ohne Unterlass weiter.

Im Gaza-Streifen hingegen hatten die Menschen wenigstens einige Stunden Ruhe. Israels Regierung hatte ab etwa acht Uhr MESZ für Stunden Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen am Boden gelassen. Die Entscheidung für eine Waffenruhe hatte das Sicherheitskabinett erst Minuten zuvor gefällt – ein Beschluss mit Kalkül.

Denn bereits seit dem Wochenende war der gemeinsame Vorschlag für einen Waffenstillstand, den Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi und Katars Emir Hamad bin Chalifa al-Thani am Samstagabend zusammengeschraubt hatten, durch die Hände von Politikern, Diplomaten und auch Journalisten gegangen; am Montagabend machte ihn dann Ägyptens Regierung öffentlich und legte den Beginn der Waffenruhe auf Dienstag, acht Uhr MESZ fest – ob eigenmächtig oder in Absprache mit anderen Regierungen, ist unklar.

Bei der Hamas jedenfalls sorgte die Ankündigung für großen Ärger. Funktionäre in Gaza werfen Kairo vor, sich auf die israelische Seite gestellt zu haben; man brauche Zeit, um sich eine Meinung zu bilden. Denn in den Reihen der Hamas sind die Dinge sehr kompliziert. Das in Katar ansässige Politbüro, die örtliche Führung in Gaza und der militärische Flügel, die Essedin-al-Kassam-Brigaden, vertreten unterschiedliche Auffassungen. Vermittlungsbemühungen richten sich meist an das Politbüro und/oder nach Gaza, wo dann versucht wird, einen Konsens mit dem militärischen Flügel zu erzielen. Die Ankündigung aus Ägypten hat die Hamas mitten in dieser Diskussion erwischt. Dass sie eine Waffenruhe nicht würde umsetzen können, wurde bereits am Montagmorgen deutlich, als die Kassam-Brigaden sich im Internet ablehnend dazu äußerten – ein Schritt, mit dem die israelische Regierung wohl rechnete.

Dort hatte man mit dem Beginn der Sitzung des Sicherheitskabinetts so lange gewartet, bis absehbar war, wie sich Hamas dazu stellen werden. Israel sieht die Wiederaufnahme der Luftangriffe am Nachmittag dadurch legitimiert, dass man der Hamas den Frieden in Aussicht gestellt habe und diese »den Olivenzweig abgelehnt hat«, so ein Mitarbeiter der Regierung. Bei der Hamas spricht man nun von einem »Manöver« und vermutet, Ägyptens Regierung habe das in Absprache mit Israel gemacht, um die Hamas ins Abseits zu drängen.

Dies erschwert weitere Vermittlungsbemühungen durch Ägypten. Auch die USA und Deutschland, deren Außenminister John Kerry und Frank-Walter Steinmeier am Dienstag in Israel und Palästina eintrafen, haben in dieser Frage einen schweren Stand.

Einst spielte Deutschland über den Bundesnachrichtendienst eine Schlüsselrolle in Verhandlungen zwischen Hamas und Israel. Dies ging allerdings bereits während des jahrelangen Tauziehens um einen Austausch von palästinensischen Gefangenen in Israel gegen den in Gaza festgehaltenen israelischen Soldaten Gilad Schalit verloren, nachdem die Hamas der Bundesregierung vorgeworfen hatte, als »verlängerter Arm Israels zu fungieren«.

Am Dienstag erklärte Steinmeier, er wolle »ausloten, was möglich ist und was nicht«. Dafür habe er Vertreter des Außenministeriums nach Kairo entsandt und Gespräche mit dem Außenminister Katars geführt. Außerdem übte er scharfe Kritik an der Hamas: Der Raketenbeschuss habe eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt, die kaum noch aufzuhalten sei. Nach einem Treffen mit Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärte er: »Wir stehen fest zur deutsch-israelischen Freundschaft, gerade in diesen schweren Stunden.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 16. Juli 2014


Nur kurze Feuerpause

Israel setzt Angriffe auf Gazastreifen fort. Regierungschef Netanjahu ordnet »harte Schläge« an. Rund 200 Palästinenser getötet und 1400 verletzt

Von Karin Leukefeld **


Eine von Israel am Dienstag morgen verkündete einseitige Feuerpause im Gazastreifen war nur von kurzer Dauer. Am Nachmittag ließ Ministerpräsident Benjamin Netanjahu das dichtbesiedelte Gebiet wieder bombardieren. Die Tageszeitung Haaretz berichtete unter Berufung auf Militärs, der Regierungschef habe die Armee angewiesen, »harte Schläge gegen Terrorziele in Gaza« auszuführen. Das israelische Sicherheitskabinett hatte sich zunächst bei zwei Gegenstimmen mit einer einseitigen Feuerpause einverstanden erklärt. Gegen die Entscheidung stimmten Außenminister Avigdor Lieberman und Wirtschaftsminister Naftali Bennett von der reaktionären Siedlerpartei »Unser Haus Israel«.

Der Vorschlag einer Feuerpause mit einer anschließenden »Stabilisierungsphase« von 48 Stunden war von Ägypten ausgegangen. Anschließend sollten Unterhändler beider Seiten – Israels und der Hamas – zu Verhandlungen nach Kairo kommen. Der Vorschlag war von den Außenministern der USA und Deutschlands persönlich unterstützt worden. US-Außenamts­chef John Kerry machte Druck in Kairo, während sein deutscher Kollege Frank-Walter Steinmeier zu Gesprächen mit der israelischen Regierung und dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas in die Region reiste. Steinmeier begrüßte die Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts für eine Waffenruhe. »Jetzt sind die Tore für eine Waffenruhe geöffnet, und ich hoffe, daß es gelingt, auf diesem Weg weitere Schritte zu gehen», sagte er nach Gesprächen mit Netanjahu in Tel Aviv.

Weder Kerry noch Steinmeier hatten jedoch die Hamas – mit der Israel sich im Krieg befindet – in die Verhandlungen einbezogen, ein Scheitern war mithin programmiert. »In keinem Krieg hat es je eine Feuerpause ohne vorherige Vereinbarung gegeben«, sagte ein Sprecher. Weder die Hamas noch der Islamische Dschihad oder andere palästinensische Kampfverbände seien in die Verhandlungen einbezogen worden. Der stellvertretende Hamas-Vorsitzende Mussa Abu Marsuk räumte »interne Diskussionen« ein, eine offizielle Stellungnahme der Hamas gebe es nicht. Bei Verhandlungen über einen dauerhaften Waffenstillstand dürfte die Wiederöffnung der Grenzen Gazas eine zentrale Rolle spielen.

Trotz der vor allem medial inszenierten Feuerpause waren die israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen weiter gegangen. Fünf Personen wurden in den frühen Morgenstunden bei Khan Younis getötet. Eine gezielter Attacke zerstörte auch das Haus von Basim Naim, einem Berater des Hamas-Vorsitzenden Ismail Hanija. Zwei weitere Häuser wurden in den Flüchtlingslagern Al-Schati und Beit Lahija zerbombt. Die Zerstörung von Wohnhäusern und der Angriff auf Zivilisten gilt nach der Genfer Konvention als Kriegsverbrechen. Israel gibt an, daß die Kassam-Brigaden, der militärische Arm der Hamas, die Zivilbevölkerung als »menschliche Schutzschilde« benutzten und Privathäuser zu Waffenlagern und Raketenabschußrampen machten.

Im Westjordanland war am Montag unweit von Hebron ein Palästinenser von israelischen Soldaten erschossen worden. Der 22jährige hatte mit anderen gegen die israelische Offensive auf Gaza protestiert. Augenzeugen berichteten der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan News, die Soldaten hätten eine halbe Stunde lang Ärzten den Zugang zu dem schwer­verletzten Mann verweigert. Bei weiteren Protesten im Westjordanland wurden mindestens zwei weitere Palästinenser durch Schüsse verletzt.

Bewaffnete Gruppen aus dem Gazastreifen schossen ihrerseits auch am Dienstag Raketen auf den Süden Israels. Eine israelische Militärsprecherin sprach am Morgen von mehr als 30 Raketen. Eine davon habe ein Haus in der Hafenstadt Aschdod getroffen. Die Kassam-Brigaden übernahmen die Verantwortung für den Beschuß der Stadt mit 212000 Einwohnern.

Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben bisher 3000 Raketenstellungen zerstört, die sie der Hamas zuordnet. Kampfverbände sollen aus dem Gazastreifen bisher 1000 Raketen abgefeuert haben. Die meisten davon sollen vom israelischen Abwehrsystem »Eiserne Kuppel« abgefangen worden oder in unbewohntem Gebiet eingeschlagen sein. Israel hat deshalb bei der anhaltenden Offensive keine Todesopfer zu beklagen. Im Gazastreifen starben bisher 196 Menschen, 1400 wurden verletzt.

** Aus: junge Welt, Mittwoch 16. Juli 2014


Der Nichtvermittler

Roland Etzel zu Steinmeiers Besuch im Nahen Osten ***

Der Nahe Osten brauchte einen Krisenmanager selten dringender als jetzt; einen Politiker, der als Person Wertschätzung in der gesamten Region genießt und dessen Staat auch bei jener Konfliktpartei, der er traditionell weniger nahe steht, positive Erwartungen wecken kann. Das sind keine Utopien. Französische Diplomaten und Emissäre der USA während der Clinton-Ära in der 90ern blieben in ihren Bemühungen nicht erfolglos.

Am Dienstag nun kam Steinmeier. Er hätte nicht extra versichern müssen, dass er Deutschland nicht in der Vermittlerrolle sehe. Das hat Berlin noch nie getan. Aber es hätte hilfreich sein können, wenigstens einen Standpunkt deutlich zu machen, und da ist mehr und Nützlicheres – für beide Seiten – vorstellbar, als Israel »Deutschlands volle Solidarität zu versichern«. Gerade Steinmeier, der sonst keine Gelegenheit auslässt, eine gemeinsame EU-Position anzumahnen, hätte diese nun vortragen können. Warum tat er es nicht? Gibt es keine, oder ist sie ihm und/oder Merkel nicht genehm?

»Deutschland darf sich in einer solchen Situation nicht übernehmen«, hatte Steinmeier schon am Montag, ehe er am Schauplatz erschien, alle ernüchtert, die dennoch auf ein wenig politische Mediation hofften. Wenigstens ist es ihm eindrucksvoll gelungen, seinem Ruf gerecht zu werden.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch 16. Juli 2014 (Kommentar)


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