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Jetzt Bodenkrieg mit Luftunterstützung

Israelische Truppen von Premier Netanjahu auf »bedeutende Ausweitung« der Offensive eingestimmt

Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv *

Israel hat in der Nacht zum Freitag mit einer Bodenoffensive im Gaza-Streifen begonnen und stößt dabei auf massive Gegenwehr; Luftangriffe und Raketenbeschuss gehen weiter.

»Alles wackelt, alles bebt«, berichtete ein 29-jähriger Familienvater aus dem Zentrum des Gaza-Streifens: »Es wird von überall her geschossen.« Wenig später fielen die Internet- und Telefonverbindungen für mehrere Stunden aus, zuverlässige Informationen aus dem dicht bevölkerten Landstrich sind schwer zu bekommen.

Denn in der Nacht zum Freitag begann Israels Militär dort mit einer Bodenoffensive. Israelische Truppen seien, so sagt es das Militär, im Norden sowie im Zentrum des Gaza-Streifens »punktuell«, also nicht überall, im Einsatz. Ihr Ziel sei es, so die offizielle Darstellung, jene Tunnel zu zerstören, über die Kämpfer von Ezzedin-al-Kassam-Brigaden und Islamischem Dschihad versuchen, nach Israel vorzudringen. Zuletzt waren in dieser Woche 13 Palästinenser in letzter Minute davon abgehalten worden, durch einen solchen Tunnel auf israelisches Gebiet zu gelangen. Außerdem sollen die Produktionsstätten von Raketen und die Waffenlager zerstört werden.

Am Freitagnachmittag beriet Israels Sicherheitskabinett über eine Ausweitung des Bodeneinsatzes. Man rechnet damit, dass dies geschehen wird, da vor allem die Rechten in der Regierung vehement für eine umfassende Bodenoffensive plädieren und ihren Verbleib in der Koalition davon abhängig machen. Zudem hatte Regierungschef Benjamin Netanjahu in einer Pressekonferenz gesagt, er habe angeordnet, das Militär solle sich auf eine »bedeutende Ausweitung« der Bodenoffensive vorbereiten. Er machte deutlich, dass der Einsatz sich nicht gegen Zivilisten richte: »Wir gehen nur gegen terroristische Ziele vor.«

Zuvor hatte es im Generalstab heftigen Streit über die Luftangriffe gegeben: Nach Ansicht der Heeresführung ließen sich dabei zivile Opfer nicht ausreichend vermeiden – zuletzt waren bei zwei Luftangriffen insgesamt sieben Kinder getötet worden.

Mit Beginn der Bodenoffensive sollen die Luftangriffe nur noch unterstützend und unter Anleitung von Bodentruppen geflogen werden. Mitarbeiter der Militärstaatsanwaltschaft, die jedes Ziel absegnen muss, hoffen darauf, dass dadurch die Zahl der zivilen Opfer zurück geht.

Nach dem Einmarsch kam es zu heftigen Kämpfen, die von Raketenabschüssen auf Israel begleitet waren. Insgesamt starben bis zum Nachmittag mindestens 27 Palästinenser und ein israelischer Soldat.

In Israel wurden mit dem Beginn der Bodenoffensive Versammlungen von mehr als 1000 Menschen in einem Umkreis von bis zu 80 Kilometern um Gaza verboten. Dies betrifft auch Tel Aviv und Jerusalem. Die Einschränkung der Versammlungsfreiheit wird damit begründet, dass Massenveranstaltungen ein Angriffsziel böten; außerdem würden Einsatzkräfte gebunden. Mehrere Organisationen haben dagegen Klage vor dem Obersten Gerichtshof eingereicht; mit einer Entscheidung wird am Sonntag gerechnet.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 19. Juli 2014


Krieg gegen Gaza

Israel beginnt Bodenoffensive. Erneut mindestens 22 Tote. Israelische Zivilisten bejubeln Raketeneinschläge und drohen Reporterin. Medienbüros in Gaza bombardiert

Von Karin Leukefeld **


Das Sterben in Gaza geht weiter. Mit Beginn ihrer Bodenoffensive ist die israelische Armee in der Nacht zum Freitag von Norden, Osten und Süden auf den abgeriegelten Küstenstreifen vorgerückt. Unterstützt wurde der Vormarsch von Raketenbeschuß aus der Luft und vom Meer. Ziel der Angriffe sind offiziell Tunnelanlagen und Raketenabschußrampen. Kampfhubschrauber griffen auch Gebäude in Gaza-Stadt, unter anderem im Wohnviertel Rimal an, wo verschiedene Medien ihre Büros haben. Mehrere Mitarbeiter eines lokalen Rundfunksenders und ein Fotoreporter wurden verletzt.

Die Bodenoffensive wurde von Unterstützern der israelischen Streitkräfte und von internationalen Medien von verschiedenen Hügeln unweit der Stadt Sderot aus beobachtet. Diana Magnay vom US-Sender CNN berichtete über eine vermutlich lasergesteuerte Rakete, deren Flug man gut am Horizont verfolgen konnte. Als das Geschoß einschlug und explodierte, applaudierten die Zuschauer hinter ihr. Wenn sie ein »falsches Wort« sagen würde, werde man das Auto des Filmteams zerstören, hätten die Leute ihr gedroht, schrieb die Reporterin kurz darauf auf Twitter. 20 Minuten später war die Meldung verschwunden.

Am Freitag morgen berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur Maan News von mindestens 21 Toten, darunter ein fünf Monate altes Baby. Am Donnerstag hatten Israel und die Hamas auf Bitten der Vereinten Nationen eine mehrstündige Waffenruhe eingehalten, damit die Menschen sich mit Lebensmitteln versorgen sowie Wohnungen und Krankenhäuser evakuiert werden konnten. Auch danach war es zunächst noch relativ ruhig. Kinder, die Tage lang in Wohnungen eingesperrt waren, nutzten die Feuerpause, um zu spielen. Raed Al-Kurdi, der mit seiner Familie auf dem Dach gesessen hatte, sah plötzlich eine Rakete im Nachbarhaus einschlagen. Die beiden Brüder Jihad (8) und Wissam (7), die dort auf dem Dach spielten, starben auf dem Weg ins Krankenhaus. Auch ihre zehnjährige Cousine Afnan kam bei dem Angriff ums Leben.

Insgesamt sind seit Beginn der Offensive am 8. Juli mehr als 260 Palästinenser getötet worden, mindestens 2000 wurden verletzt. Nach offiziellen Armeeangaben starb ein israelischer Soldat zu Beginn der Bodenoffensive in der Nacht zu Freitag. Der Tageszeitung Haaretz zufolge untersucht das Militär, ob er durch eigenen Beschuß getötet wurde. Anfang der Woche war ein israelischer Zivilist von einer Rakete aus dem Gazastreifen getötet worden. Die Armee hat Gaza nach eigenen Angaben bisher mehr als 2000 mal angegriffen, aus dem Gazastreifen wurden etwa 1400 Raketen auf Israel abgefeuert. Nach UN-Angaben wurden 1370 Wohnungen in Gaza zerstört, etwa 20000 Menschen wurden vertrieben.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte am Freitag, daß die Offensive noch ausgeweitet werden könne. Ziel des Einmarsches sei es, die »Terrortunnel« der Hamas zu zerstören, die aus dem Gazastreifen in israelisches Territorium hinein gebaut worden seien. Man habe ein Kommando von einem Dutzend Kämpfer gefaßt, die durch einen Tunnel nach Israel gelangt seien. Außerdem seien bei der Bodenoffensive bereits 20 verdeckte Raketenabschußrampen und neun Tunnel zerstört worden. Zweimal habe Israel in der vergangenen Woche einer Waffenruhe zugestimmt, beide Male hätte »die Hamas weiter gefeuert«, so Netanjahu. Insgesamt hat Israel nun 65000 Reservisten mobilisiert. Es ist die vierte Bodenoffensive seit 2006.

** Aus: junge Welt, Samstag, 19. Juli 2014


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