Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kein Schulanfang in Gaza

Bilanz der israelischen Angriffe: Mehr als 2100 Palästinenser getötet, mehr als 15000 Wohnungen getroffen, Hunderttausende Kriegsvertriebene

Von Karin Leukefeld *

Der 24. August war der erste Schultag für palästinensische Kinder nach den Sommerferien. Der Sonntag ist in Gaza kein Ruhetag, sondern nach islamischer Tradition der erste Tag der Woche. Für die Kinder in Israel beginnt die Schule eine Woche später, am 1. September. Im Westjordanland haben am Sonntag Schülerinnen gegen den Krieg im Gazastreifen protestiert. Die Schule fiel an diesem Tag jedoch aus, weil der Krieg anhielt. Hunderte Mädchen mit ihren weißen Kopftüchern umringten die Schulhöfe, während sich darauf Schülerinnen zu einem Solidaritätsgruß an die Schulkinder im Gazastreifen aufstellten. Sie bildeten den Gruß »I love Gaza«. Das Wort »love« stellten sie mit einem Herzen nach, dessen Innenraum sie mit einem großen roten Tuch überspannten.

Im Gazastreifen sind allein an diesem Tag 18 Menschen durch israelische Angriffe gestorben, fünf von ihnen waren Kinder. Erneut wurden Häuser und Wohnungen zerstört. Familien verloren in den Trümmern ihr Zuhause, Kinder ihre Hefte und Bücher, Stifte und Schultaschen. Das palästinensisch-israelische Alternative Informationszentrum (AIC) aus Beit Sahur im Westjordanland berichtet unter Berufung auf UN-Angaben, daß 277 Schulen, fast 70 Prozent, durch israelische Angriffe beschädigt wurden. »Mindestens eine halbe Million Kinder« haben das neue Schuljahr nicht beginnen können, 30 Prozent der Schulen würden als Notunterkünfte für Familien genutzt, die vom Krieg vertrieben worden seien.

Das palästinensische Gesundheitsministerium gab am Mittwoch die Zahl der Toten des achtwöchigen Krieges mit 2145 an, darunter 578 Kinder. Etwa 11100 Menschen seien verletzt worden, darunter 3374 Kinder, 2088 Frauen und 410 alte Menschen. Mindestens 1000 der verletzten Kinder, fast ein Drittel, werden dauerhaft behindert bleiben. 23 medizinische Nothelfer seien getötet worden. Die israelische Armee habe gezielt ganze Familien angegriffen, einige seien komplett ausgelöscht worden. Insgesamt seien 15671 Häuser und Wohnungen ganz oder teilweise zerstört worden. Von 190 angegriffenen Moscheen seien 70 nur noch Ruinen, erläuterte das palästinensische Ministerium für religiöse Angelegenheiten.

Das UN-Büro für die Koordination der humanitären Angelegenheiten (OCHA) spricht von 475000 Kriegsvertriebenen, 290000 hätten in den UN-Schulen Zuflucht gefunden. Kurz vor der am Dienstag abend erzielten Waffenstillstandsvereinbarung sei noch ein Fahrzeug der Stromversorgungsgesellschaft Gaza (GEDCO) in Beit Lahia von einer israelischen Rakete zerstört worden. Zwei Arbeiter wurden laut OCHA getötet.

In den letzten Tagen des Krieges seien die israelischen Streitkräfte verstärkt dazu übergegangen, Hochhäuser zu zerstören, heißt es in dem OCHA-Bericht weiter. In der Nacht zu Dienstag wurde ein 16stöckiges Gebäude von israelischen Kampfjets mit Raketen angegriffen und zerstört. Es stand im Nasser-Viertel in Gaza-Stadt und war allgemein als »Klein-Italien« bekannt. 60 Wohnungen und Dutzende Geschäfte waren in dem Hochhaus. Ebenfalls zerstört wurde das 14 Stockwerke hohe Al-Bascha-Gebäude im Rimal-Viertel in Gaza-Stadt. Die Warnungen kamen offenbar so kurzfristig, daß 15 Personen verletzt wurden. Der Fall des fünfstöckigen Wohnhauses der Familie Abu Aklin in Gaza-Stadt ist ein Beispiel von vielen für das israelische Vorgehen: Am 22. August feuerte gegen 20.30 Uhr ein Kampfjet zunächst »zur Warnung« eine Rakete auf das Dach des Hauses. Noch während die Menschen zu fliehen versuchten, begann der »eigentliche Luftangriff« auf das Haus. Unter den 40 Verletzten waren 15 Kinder.

Ein Schaubild des Alternativen Informationszentrums zeigt, daß 145 palästinensische Familien drei oder mehr Angehörige verloren haben. Israel hat demnach 68 Tote und 714 Verletzte zu beklagen. Vier der Toten waren Zivilisten, darunter ein Kind und eine Frau

* Aus: junge Welt, Donnerstag 28. August 2014

UN-Hilfskonvoi erreicht Gaza

Erstmals seit 2007 hat am Mittwoch ein humanitärer Konvoi des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (UN World Food Programme, WFP) den Gazastreifen über Ägypten erreicht. »Die Hilfsladung reicht aus, um 150000 Menschen für fünf Tage mit Nahrung zu unterstützen«, heißt es in einer Erklärung des WFP:

Nach einer siebenstündigen Fahrt von Alexandria, wo die Nahrungsmittel eingekauft wurden, über die Sinai-Halbinsel erreichten die WFP-Lastwagen den Grenzübergang Rafah. Die Hilfsgüter umfassen verzehrfertige Nahrung wie Konserven, Tee und Datteln. Es ist das erste Mal seit der Gaza-Blockade 2007, daß WFP diese Route nutzen konnte. Ein weiterer Konvoi wird Gaza in den kommenden Tagen erreichen.

Der WFP-Regionaldirektor Mohammed Diab erklärte, es sei extrem wichtig, daß die UN-Organisation über verschiedene Routen Zugang zum Gazastreifen erhalte, darunter den Grenzübergang Rafah. Nur so könne eine konstante Zufuhr von Hilfsgütern sichergestellt werden, um die wachsende Not der Betroffenen der jüngsten Gewalt zu lindern. »Wir sind der ägyptischen Regierung sehr dankbar, daß sie den Grenzübergang Rafah geöffnet hat und WFP lebensrettende Hilfsgüter in Ägypten einkaufen konnte«, so Diab.

(…) Seit Beginn des Konflikts Anfang Juli hat WFP tägliche Notrationen für bis zu 350000 Vertriebene in Gaza geliefert und erreichte mehr als 120000 Menschen mit Nahrungsmittelgutscheinen. WFP überprüft gemeinsam mit den Partnerorganisationen kontinuierlich die Bedürfnisse vor Ort, um die Hilfe anzupassen. Um die Ernährungshilfe in Palästina fortzusetzen, benötigt WFP allein für die Hilfe im Gazastreifen rund 70 Millionen US-Dollar für einen Zeitraum von drei Monaten.

www.wfp.org./de




Zurück zur Gaza-Seite

Zur Gaza-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage