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Israel kann nur verlieren

Kriegsziele des Überfalls auf den Gazastreifen sind unerreichbar. Regierung in Tel Aviv schon jetzt zerstritten über Strategie des Rückzugs

Von Rainer Rupp *

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak hatte beim Angriff auf Gaza vor fast zwei Wochen einen »Krieg bis zum bitteren Ende« angedroht. Aber trotz der haushohen militärischen Überlegenheit der israelischen Killermaschine läuft der Krieg nicht gut für Tel Aviv. Besorgt titelte daher das US-Nachrichtenmagazin Time am Donnerstag: »Kann Israel seinen Angriff auf Gaza überleben?« Mit jedem Tag werde der Krieg gegen die Hamas »riskanter und zermürbender, wobei sich die Kriegsgewinne im Vergleich zu den schwindelerregenden (politischen und moralischen) Kosten zu verflüchtigen scheinen«, so das US-Magazin. Hatte sich Israel Fernsehbilder gewünscht, die zerlumpte und demoralisierte Hamas-Kommandeure zeigen, wie sie mit erhobenen Händen aus Erdlöchern kriechen, werden statt dessen die Bilder von den israelischen Massakern an der palästinensischen Zivilbevölkerung die Erinnerungen an diesen Krieg bestimmen.

Viele vermuten, daß Israels Wahlkampf der eigentliche Grund für den Krieg gegen Gaza ist, denn nur wer sich am härtesten und kompromißlosesten gegenüber den Palästinensern zeigt, hat gute Chancen auf den Wahlsieg. Folgt man den offiziellen Erklärungen der israelischen Regierung, so ist die Vernichtung oder zumindest die nachhaltige Schwächung der demokratisch gewählten Hamas das wichtigste Kriegsziel, gefolgt von der Forderung nach einer hermetischen Abschottung des Gazastreifens von der Außenwelt, angeblich damit Hamas keine Waffen mehr einschmuggeln kann. Da Israel inzwischen eingesehen hat, daß es die Vernichtung der Hamas höchstens unter noch weitaus größeren Opfern erreichen kann, zeigt es sich einem Waffenstillstand gegenüber aufgeschlossen, wenn internationale Soldaten die Drecksarbeit für die Zionisten übernehmen und auf ägyptischer Seite die Zugänge nach Gaza abriegeln.

Die Hamas dagegen hatte vor zwei Wochen den Waffenstillstand aufgekündigt, weil Israel nicht wie versprochen die Blockade aufgehoben, sondern sie sogar noch verstärkt hatte. Da der neue ägyptisch-französische »Friedensplan« nur die Forderungen der Israelis bedient, aber nicht die der Hamas, ist er zum Scheitern verurteilt.

Israels Generäle wissen, daß die in der palästinensischen Bevölkerung verankerten militärischen und politischen Strukturen der Hamas durch den Krieg höchstens vorübergehend geschwächt, nicht aber dauerhaft vernichtet werden können. Laut Meldung der israelischen Tageszeitung Haaretz vom Donnerstag ist die Regierung in Tel Aviv über die Gaza-Strategie zerstritten. Demnach möchte Außenministerin Zipi Livni am liebsten sofort die Operation beenden, ohne Abkommen. Ministerpräsident Ehud Olmert und Verteidigungsminister Ehud Barak wollen dagegen den Krieg eskalieren.

Aber selbst wenn das Unmögliche gelingen und die israelische Armee tatsächlich die Hamas eliminieren würde, wäre der Aggressor immer noch der Verlierer. Denn was soll Israel dann mit Gaza machen? Vor dreieinhalb Jahren hatte Tel Aviv den Küstenstreifen schon einmal geräumt, erstens, weil es zu gefährlich war und zweitens, weil es die völkerrechtliche Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung nicht tragen wollte. Am liebsten würde Olmert daher das Gaza-Problem an seinen Lieblingspalästinenser Mahmud Abbas abtreten. Aber der bereits stark angeschlagene Präsident wäre restlos diskreditiert, wenn er die Verwaltung von Gaza aus der blutigen Hand der Israelis übernehmen würde. Bereits jetzt hat der Gaza-Krieg die arabischen Verbündeten Israels, die mit dem Gedanken der Anerkennung des jüdischen Staates spielten, stark geschwächt.

Unter wachsender internationaler Empörung über das Vorgehen Tel Avivs werde der Krieg ohnehin in einem Waffenstillstand enden, schätzt das US-Time-Magazin ein. Wegen des humanitären Desasters in Gaza dürfte es Israel dann unmöglich sein, seine schon 18 Monate währende Blockade aufrechtzuerhalten. Damit aber wäre eines seiner beiden Hauptkriegsziele konterkariert. Derweil wird sich die Hamas nach Einschätzung der »International Crisis Group« zum Sieger erklären. Und sie wird in der ganzen Region gefeiert werden, weil sie dem direkten Ansturm der stärksten Militärmacht des Nahen und Mittleren Ostens widerstanden hat. Mahmud Abbas, seine Palästina-Behörde und die Fatah werden dagegen marginalisiert.

Damit hätte eine von der Bevölkerung getragene, nicht korrumpierte Widerstandsbewegung die westlichen Pläne zur Umgestaltung des Nahen und Mittleren Ostens unter erheblichen Opfern erneut durchkreuzt. In der Time setzt sich bereits die Erkenntnis durch, daß die Hamas, »da sie militärisch nicht geschlagen werden« könne, nun von Israel und dem Westen »politisch vereinnahmt« werden müsse.

* Aus: junge Welt, 10. Januar 2009


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