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Hamas und Israel vor Waffenruhe

Grundsatzeinigung über Vereinbarung / Palästinensische Kritik an Merkels Nahostpolitik

Knapp einen Monat nach der israelischen Invasion im Gaza-Streifen haben sich Israel und Hamas im Grundsatz auf eine Waffenruhe geeinigt.*

Tel Aviv/Gaza/Berlin (Agenturen/ ND). Die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas soll nach Angaben eines Hamas-Sprechers bereits in den nächsten Tagen in Kraft treten und 18 Monate dauern. Sie soll sowohl für den Gaza-Streifen als auch das israelische Grenzgebiet gelten. Während die Hamas der von Ägypten vermittelten Vereinbarung bereits zugestimmt hat, wird die Antwort Israels erst zum Wochenbeginn erwartet. Nach israelischen Medienberichten sind einige Details noch nicht geklärt. Die Zeitung »Jediot Achronot« veröffentlichte am Freitag (13. Feb.) Eckpunkte der von Ägypten vermittelten Vereinbarung. Danach muss die Hamas unter anderem sicherstellen, dass Israel weder mit Raketen noch mit Mörsergranaten angegriffen wird. Als Verstoß gelten außerdem das Legen von Bomben am Grenzzaun sowie Terroranschläge in Israel.

Israel behält sich den Angaben zufolge das Recht vor, mit militärischer Gewalt auf eine Verletzung der Waffenruhe zu reagieren. Zugleich will Israel seine Gaza-Blockade lockern und 80 Prozent des früheren Warenverkehrs in das Gebiet passieren lassen.

Nach Angaben von »Jediot Achronot« hat Israel eine Hauptforderung nicht durchsetzen können. Danach soll erst in einer zweiten Phase ein Gefangenenaustausch erfolgen. Israel wolle dann rund 1000 palästinensische Häftlinge freilassen. Im Gegenzug soll der Soldat Gilad Schalit freikommen, der 2006 entführt worden war.

Bei israelischen Militäreinsätzen im Westjordanland und im Gaza-Streifen sind am Freitag (13. Feb.) zwei Palästinenser getötet worden.

Unterdessen äußerte sich die palästinensische Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser enttäuscht über die Nahostpolitik der Bundeskanzlerin. Farhat-Naser sagte der Agentur epd, Angela Merkel wiederhole Parolen, »die wir seit mehr als 15 Jahren hören müssen«. Sie wünschte, die Kanzlerin würde einmal sagen, »dass die Sicherheit der Israelis und der Palästinenser eine gemeinsame Aufgabe aller Menschen ist«. Niemals könne Sicherheit entstehen, wenn Unrecht geschehe und ein Volk das andere beherrsche. Die Rede vom »Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser« sei eine der Phrasen, die sie nicht mehr hören könne, so die Autorin und Biologieprofessorin. »Man reduziert unsere Freiheit, blockiert uns, lässt uns kein normales Leben führen und nennt das selbstbestimmtes Leben?«

Farhat-Naser sagte, man dürfe in Deutschland nicht schweigen, nur weil Kritik an Israel als Antisemitismus gescholten werde. »Mir liegt auch die Sache Israels am Herzen«, meinte die Christin, die 2000 den Augsburger Friedenspreis erhielt. Gerade ihre Vergangenheit verpflichte die Deutschen, »die Wahrheit zu sagen«.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2009


Waffenruhe – fantastisch

Von Detlef D. Pries **

Am Freitagmorgen schlugen drei selbst gebaute »Raketen« auf israelischem Boden ein, richteten aber keinen Schaden an. Wenig später wurde bei einem israelischen Luftangriff auf den Gaza-Streifen ein Mensch getötet, drei wurden verletzt. Nichts spricht dafür, dass solcher »Schlagabtausch« in absehbarer Zeit endet, auch die Nachricht nicht, dass sich Israel und die Hamas »im Grundsatz« auf eine 18-monatige Waffenruhe geeinigt hätten. Wer daraus »neue Hoffnung für Nahost« schöpft oder gar erwartet, dass dort binnen drei Tagen so etwas wie Frieden einzieht, muss nach aller Erfahrung als Fantast gelten.

Nicht dass arabischen Palästinensern und Israelis das Schweigen der Waffen nicht zu wünschen wäre. Es wäre in der Tat fantastisch – und für beide Seiten überlebenswichtig. Doch schon die Art des Zustandekommens und die Bedingungen der bisher nur von einer Seite (Hamas) offiziell bestätigten Vereinbarung lassen alle Hoffnung als verfrüht erscheinen. Die Widersacher reden nicht miteinander, sondern nur mit ägyptischen Vermittlern. Israel hebt die Blockade des Gaza-Streifens nicht auf, sondern »lockert« sie. 80 Prozent des früheren Warenverkehrs sollen fließen. Waren die Gaza-Bewohner früher überversorgt? Hamas aber soll jeglichen Angriff auf Israel und seine Grenze ausschließen. Selbst wenn die Führung der Organisation das wollte – garantieren kann sie es angesichts der verzweifelten Lage zu vieler Palästinenser nicht. Und was spricht dafür, dass eine künftige israelische Regierung auf Verzweiflungstaten anders reagiert als jene, die noch vor einem Monat einen mörderischen Krieg gegen die Bevölkerung des Gaza-Streifens führte?

** Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2009 (Kommentar)




Einigung in Gaza?

Hamas stimmt von Ägypten vermitteltem Waffenstillstand zu. Israel hüllt sich in Schweigen. Gefangenenaustausch soll getrennt verhandelt werden

Von Karin Leukefeld ***

Fast einen Monat nach dem Ende des Gaza-Krieges hat die Führung der palästinensischen Hamas in Kairo einer von Ägypten vermittelten Waffenstillstandsvereinbarung zugestimmt. Im Zentrum steht die Zusage der Hamas zu einem 18monatigen Waffenstillstand, während Israel im Gegenzug alle sechs Grenzübergänge in den Gazastreifen öffnet. Ägypten werde nach Rücksprache mit Israel die Vereinbarung bestätigen, erklärte der stellvertretende Hamas-Führer Musa Abu Marzuk gegenüber der ägyptischen Nachrichtenagentur MENA. Die Hamas wolle die anderen palästinensischen Organisationen informieren. Der israelische Regierungssprecher Mark Regev wollte sich zu der Vereinbarung nicht äußern.

Als Vermittler zwischen der Hamas und Israel hatte der ägyptische Geheimdienstchef Omar Suleiman fungiert. Ihm war es auch im vergangenen Jahr gelungen, einen sechsmonatigen Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel auszuhandeln. Das nun erreichte Ergebnis entspricht genau dem, was die Hamas im Dezember 2008 für eine Fortsetzung des damaligen Waffenstillstandes gefordert hatte. Israel hatte auf das Angebot der Hamas nicht reagiert und statt dessen am 27. Dezember den Gazastreifen mit katastrophalen Folgen für die dort lebenden Palästinenser überfallen.

Hamas-Delegationsleiter Abu Marzuk erklärte, die Einigung sei zustandegekommen, nachdem Israel darauf verzichtet hatte, die Freilassung des Soldaten Gilad Shalit mit der Waffenstillstandsvereinbarung zu verknüpfen. Ein Gefangenenaustausch zwischen den Palästinensern und Israel werde getrennt verhandelt, sagte er. Gilad Shalit war vor mehr als zwei Jahren in palästinensische Kriegsgefangenschaft geraten und soll im Austausch für 1000 palästinensische Gefangene freigelassen werden.

Israel will bis zu 80 Prozent der für den Gazastreifen bestimmten Waren die Grenzen passieren lassen, heißt es aus Verhandlungskreisen. Ausgeschlossen seien sogenannte »Dual-Use«-Güter wie Eisen, Aluminium und Zement, von denen Israel fürchtet, sie könnten für den Bau von Waffen verwendet werden. Wer die Waren auf dieses Merkmal hin überprüfen soll, wurde nicht bekannt. Ägypten habe der Hamas-Delegation zudem »angemessene Garantien« gegeben, daß Israel den Gazastreifen nicht wieder angreifen werde, erklärte Osama Hamdan, Hamas-Vertreter im Libanon, ohne Einzelheiten zu nennen. Die inoffiziellen Vereinbarungen zwischen beiden Seiten könnten umfangreicher sein, als die offiziellen, vermutete der Berater für den Mittleren Osten, Khalid Jahsan im arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira: »Beide Seiten haben wahrscheinlich Zusagen gemacht, die sie gegenüber ihrer jeweiligen Klientel nur ungern zugeben würden.«

Am Donnerstag (12. Feb.) konnte derweil zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr wieder ein Lastwagen mit Waren für Europa den Gazastreifen verlassen. Die besonders kostbare Ladung aus 25 000 roten Nelken für den Valentinstag ist allerdings nur ein Bruchteil dessen, was Bauern in Gaza angepflanzt haben. Wer nicht exportieren kann, muß die Nelken als Viehfutter verkaufen.

*** Aus: junge Welt, 14. Februar 2009


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