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Waffenruhe bleibt frommer Wunsch

Diplomatische Bemühungen im Gaza-Krieg bislang erfolglos / Israel flog weitere Angriffe

Drei Wochen nach Beginn der israelischen Invasion im Gaza-Streifen ist ein Ende der Gewalt trotz diplomatischer Bemühungen nicht in Sicht.

Gaza (Agenturen/ND). Der israelische Unterhändler Amos Gilad beendete seine Gespräche über eine mögliche Waffenruhe unter Vermittlung Ägyptens am Freitag in Kairo zunächst ohne Resultat. Er hatte innerhalb von 48 Stunden zweimal mit dem ägyptischen Vermittler Omar Suleiman über einen möglichen Waffenstillstand verhandelt. Es gebe eine Verzögerung in den Verhandlungen »bis Samstagabend oder Sonntag«, hieß es aus Diplomatenkreisen. Den Angaben zufolge lehnte Israel einen Vorschlag der Hamas für einen auf ein Jahr begrenzten Waffenstillstand ab. Ägypten lud die Hamas ein, in Kairo über die israelische Reaktion zu reden.

Zuvor hatte sich UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon nach einem Treffen mit dem palästinensischen Ministerpräsidenten Salam Fajad in Ramallah (Westjordanland) optimistisch gezeigt. »Ich hoffe aufrichtig, dass wir in den nächsten Tagen in der Lage sind, eine Waffenruhe zu erzielen«, sagte Ban. Das israelische Sicherheitskabinett soll nach bisherigen Plänen an diesem Sonnabend zusammentreten. Nur dieses Gremium kann einen Waffenstillstand beschließen. Israels Außenministerin Zipi Livni reiste nach Washington, um dort über ein Abkommen zur Bekämpfung des Waffenschmuggels von Ägypten nach Gaza zu verhandeln. Der Sprecher von Israels Ministerpräsident Ehud Olmert, Mark Regev, erklärte, er hoffe auf ein »baldiges« Ende der militärischen Auseinandersetzung. Das hänge »natürlich« nicht nur von Israel ab. Ziel der Offensive sei die Schwächung der Hamas. »In Zukunft soll es sich die Hamas zweimal oder sogar dreimal überlegen, bevor sie noch einmal Raketen auf israelische Zivilisten abfeuert.«

Israel flog in der Nacht zu Freitag 40 Luftangriffe auf den Gaza-Streifen. Auch der Grenzübergang Rafah wurde nach Angaben von Anwohnern erneut bombardiert. Während einer ab Freitagmorgen dauernden vierstündigen Feuerpause durften 130 Lastwagen mit Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff die Grenze zum Gaza-Streifen passieren. Seit Kriegsbeginn kamen nach Angaben palästinensischer Rettungskräfte mehr als 1100 Palästinenser ums Leben, darunter 355 Kinder.

In Gaza-Stadt, wo sich die israelische Armee und palästinensische Kämpfer schwere Kämpfe geliefert hatten, bargen palästinensische Rettungskräfte 23 Tote. Laut Augenzeugen bot sich in der Stadt ein Bild der Verwüstung: Häuser, Straßen, Telefon-, Wasser- und Stromleitungen waren zerstört. Am Donnerstag hatte Israel bei den schwersten Angriffen seit Beginn der Invasion am 27. Dezember auch ein Krankenhaus, ein internationales Pressezentrum und das Hauptquartier des UNO-Flüchtlingshilfswerks attackiert.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2009


"Machen Sie sich keine Sorgen..."

Israel beruhigte UN-Verantwortliche in Gaza. Wenig später schlug die erste Granate ein und das Grauen begann

Von Karin Leukefeld **


Wie versteinert blickte John Ging, Koordinator des UN-Hilfswerks für Flüchtlinge in Gaza, am Donnerstag in die Kamera, die vor ihm in einem Lagerraum der UN-Zentrale in Gaza-Stadt aufgebaut war: »Es sah aus wie Phosphor, es roch wie Phosphor und es brannte wie Phosphor, also nenne ich es Phosphor.« Nur 60 Meter von ihm entfernt schwelte noch der Brand, der wenige Stunden zuvor Werkstätten und Lagerhallen zerstört hatte, in der Lebensmittel und Medikamente im Wert von mehreren Millionen US-Dollar gelagert waren. Hilfe für 750 000 Palästinenser, die auf UN-Hilfe angewiesen sind. »Das Besondere an Phosphor ist, daß es nicht aufhört zu brennen, wenn man Wasser darauf schüttet«, erläuterte Ging. »Mit Wasser entwickeln sich aus dem Brand giftige Dämpfe.« Es sei ein Wunder, daß nicht mehr als drei Personen bei dem Angriff verletzt worden seien.

Die erste Granate der israelischen Armee schlug am Donnerstag morgen gegen 10 Uhr auf dem Gelände der UNRWA ein, das im Zentrum von Gaza Stadt liegt, inmitten eines Wohngebiets. Eine Stunde vorher waren 700 Palästinenser dort eingetroffen, um Schutz vor den israelischen Raketen und Granaten zu suchen, die auf ihre Wohnungen und Häuser niederprasselten. Auch das UN-Gelände war bereits am frühen Morgen getroffen worden, also hatten Mitarbeiter der Vereinten Nationen die für sie zuständigen israelischen Verbindungsoffiziere angefunkt und gefordert, den Beschuß einzustellen, da nicht nur viele Zivilisten auf dem Gelände, sondern auch die dort gelagerten Güter gefährdet waren. Unter anderem waren fünf Tanklaster frisch mit Benzin betankt worden, das dringend an Pumpstationen und Kläranlagen ausgeliefert werden sollte.

Das israelische Statement klang beruhigend: »Machen Sie sich keine Sorgen, wir informieren die Leute, die dort im Einsatz sind, man wird Sie nicht beschießen.« Doch dann explodierte genau dort, wo die Tanklastzüge geparkt waren, die erste Granate, und ein riesiges Feuer entstand. Es sei gelungen die Wagen umzuparken, obwohl sechs weitere Granateinschläge auf dem Gelände niedergingen. »Alles ging in Flammen auf«, berichtet John Ging. »Der Werkstattbereich, das Lager, Benzintanks in den Garagen explodierten. Wir mußten uns in Sicherheit bringen, bis man uns versicherte, daß nicht noch mehr geschossen würde.« »Man« – das waren die israelischen Verbindungsoffiziere, die live miterleben konnten, wie der UNRWA-Komplex lichterloh brannte. Zwei Stunden dauerte es, bis die Feuerwehr das Gelände erreichte, sechs Stunden, bis das Feuer unter Kontrolle war. Zu spät, Hunderte Tonnen Lebensmittel und Medizin waren vernichtet.

Hamas-Militante seien das Ziel des Angriffs gewesen, erklärte die israelische Armeeführung anschließend. Die hätten »aus der Umgebung der UN-Zentrale« gefeuert. »Auf dem Gelände waren keine Kämpfer«, sagte Ging. »Dies war das zentrale Nervensystem unserer Arbeit in Gaza« und der israelischen Armee wohl bekannt. Es müsse eine unabhängige Untersuchung geben meinte John Ging abschließend und fügte hinzu: »Wir haben heute auf unserem Gelände aus erster Hand erfahren, was die armen Menschen von Gaza täglich seit 20 Tagen und Nächten durchmachen müssen.«

** Aus: junge Welt, 17. Januar 2009


Phosphor auf Kranke

Von Rüdiger Göbel ***

Dramatische Szenen in Gaza: Am Donnerstag und Freitag (15./16. Jan.) mußten Hunderte Patienten aus dem von der israelischen Armee in Brand geschossenen Al-Quds-Hospital evakuiert und in die ohnehin bereits überlastete Zentralklinik Al-Schifa verlegt werden. Nach UN-Angaben steht die medizinische Versorgung im Gaza­streifen angesichts mehrerer tausend Kriegsverletzter vor dem Kollaps. Es drohe eine humanitäre Katastrophe, wenn nicht rasch eine Waffenruhe vereinbart werde, erklärte Tony Laurance, Leiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Gaza, am Freitag telefonisch gegenüber AP. Opera­tionssäle und Intensivstationen arbeiteten angesichts der großen Zahl von Schwerverletzten und notwendigen Amputationen an der Kapazitätsgrenze. Gleichzeitig seien die Helfer im Visier. Seit Beginn der israelischen Angriffe am 27. Dezember wurden laut Laurance 16 Krankenhäuser und Sanitätsstationen beschädigt, 16 Krankenwagen zerstört. 13 Rettungshelfer und Ärzte wurden in den vergangenen drei Wochen getötet, 22 weitere verletzt. Der Beschuß geschützter Personen und Einrichtungen sei eine schwere Verletzung internationalen Rechts, bekräftigte der WHO-Chef von Gaza. Insgesamt wurden seit dem 27.12. mehr als 1100 Palästinenser getötet, darunter über 300 Kinder.

WHO-Mitarbeiter suchten am Freitag in den Trümmern des am Vortag mit Phosphorbomben attackierten fünfgeschossigen Al-Quds-Krankenhauses nach Verwertbarem. Vergeblich. Mehrere hundert Patienten, Mitarbeiter und Schutzsuchende waren in dem vom palästinensischen Roten Halbmond betriebenen Klinikum gefangen, als es von der israelischen Armee in Brand geschossen wurde. »Wir haben versucht, die Kranken und die Verletzten und die Anwesenden in Sicherheit zu bringen«, berichtete der Sanitäter Ahmad Al-Has am Freitag dem Fernsehnachrichtendienst APTN. Den Phosphorbränden konnten die Rettungskräfte seinem Bericht zufolge nur schwer beikommen. »Feuerwehrleute kamen und löschten den Brand, der aber wieder ausbrach. Sie löschten ihn wieder, und er loderte noch ein drittes Mal auf.«

AFP berichtete vom Donnerstag: »Am Abend fliehen die Menschen in Panik aus dem in Flammen stehenden Gebäude. Ärzte drücken einem Notfallpatienten auf einer Liege eine Sauerstoffmaske auf das Gesicht, während sie ihn inmitten der fallenden, glühenden Trümmer hastig ins Freie schieben.« Und weiter: »Mindestens drei Neugeborene in Brutkästen werden vor der Hitze der Flammen in Sicherheit gebracht und auf die Straße gerollt. Kurz darauf stürzt das Dach des Gebäudes ein.«

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, der sich wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zu Vermittlungsgesprächen im Nahen Osten aufhielt, rief die Angreifer am Freitag auf, einseitig eine Waffenruhe zu erklären. Es sei für die israelische Regierung an der Zeit, über einen solchen Schritt nachzudenken, sagte der UN-Chef in Ramallah im Westjordanland. Tags zuvor war das Lebensmittellager der Vereinten Nationen in Gaza mit Brandbomben attackiert worden. Tel Aviv sprach von einem »Fehler«, der sich nicht wiederholen werde. Das UN-Versorgungslager ist allerdings ohnehin zerstört. Bei den bis dahin schwersten Angriffen seit Kriegsbeginn waren am Donnerstag mindestens 70 Palästinenser getötet worden, darunter auch Hamas-Innenminister Said Siam. In der Nacht auf Freitag wurden nach Angaben des israelischen Militärs erneut 40 Ziele im Gazastreifen bombardiert. Die Hamas feuerte mehrere selbstgebaute Raketen in das israelische Grenzgebiet.

*** Aus: junge Welt, 17. Januar 2009


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