Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Krieg ist auch für Israel eine Gefahr

ND-Interview mit Friedensaktivist Jesse Bacon: Widerstand in der jüdischen Gemeinde der USA



Gemeinsam mit anderen Organisationen nimmt »Jewish Voice for Peace« am Protest gegen den israelischen Angriff auf den Gaza-Streifen teil. Wie stark ist der Widerstand jüdischer Organisationen gegen diese Offensive in den USA?

Stärker als je zuvor. Aber nicht so stark, wie wir ihn gerne hätten. Initiativen wie unsere werden auch in den USA immer stärker wahrgenommen. Persönlichkeiten wie der ehemalige Präsident Jimmy Carter oder Desmond Tutu aus Südafrika nehmen unsere Aktionen wahr. Mit unserer E-Mail-Liste erreichen wir inzwischen rund 30 000 Menschen. Ungeachtet der Wirtschaftskrise haben wir ein hohes Spendenaufkommen. Auch andere Organisationen wie »J Street« vereinigen ein breites Spektrum politischer Gruppen. Und im persönlichen Kontakt merken wir, dass ein Umdenken einsetzt. Kürzlich hat mein Rabbi diesen Krieg in seinem Internet-Tagebuch als »Schandtat« bezeichnet. Ich hätte eine solche Stellungnahme nie von ihm erwartet.

Andererseits wirken in den USA einflussreiche jüdische Organisationen wie das »American Israel Public Affairs Committee«, die Israels aggressive Militärpolitik befürworten. Was können Sie dagegen ausrichten?

Wir zeigen, dass nicht alle Juden in den USA einer Meinung sind, vor allem nicht dieser Meinung. Diese Organisationen behaupten, für das US-amerikanische Judentum zu sprechen. Dabei stehen sie am extremen rechten Rand der jüdischen Gemeinschaft und sind wegen ihrer bedingungslosen Unterstützung für die Bush-Regierung politisch diskreditiert. Wir setzen ihrem trotzdem großen Einfluss unsere Bündnisarbeit entgegen. Wir organisieren Protestaktionen und Veranstaltungen mit größeren Gruppen wie »Just Foreign Policy« oder der in den USA starken Presbyterianischen Kirche.

Israels Regierung sagt, sie schütze die eigene Bevölkerung vor Raketenangriffen aus dem Gaza- Streifen.

Natürlich hat die israelische Führung das Recht, die eigene Bevölkerung zu schützen. Aber sie muss die völkerrechtlichen Standards achten und vor allem darf sie nicht grundlegende humanistische Werte verletzten. Der gegenwärtige Krieg stellt für Israel selbst eine physische und eine moralische Gefahr dar. Vor allem aber verletzt er das Recht der Palästinenser auf Schutz und Sicherheit.

Die Lösung wäre also?

Ein dauerhaftes, für beide Seiten gerechtes Friedensabkommen.

Was erwarten Sie von der Nahost-Politik des kommenden US-Präsidenten Barack Obama?

Obama hatte in Chicago enge Verbindungen zur arabisch-amerikanischen Gemeinschaft und zur jüdischen Gemeinde. Er hat gute Berater, um einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu vermitteln. Trotzdem wird er in seinem Handeln von den herrschenden Vorgaben und Ideen zum Nahost-Konflikt eingeschränkt werden, die in den USA besonders eng sind. Ich finde es schon hoffnungsvoll, dass er sich bislang nicht zu diesem Krieg geäußert hat, auch wenn ich seinen Protest natürlich begrüßen würde.

Sie unterstützen die Shministim, eine Bewegung von Kriegsdienstverweigerern in Israel. Welchen Rückhalt haben die Shministim?

Ein Aufruf zur Verweigerung wurde von 60 Jugendlichen unterzeichnet. Shministim bedeutet etwa »18 Jahre alt«. Das ist das Alter, in dem Jugendliche in Israel in der Regel zum Militär einberufen werden. Die Unterzeichner des Aufrufs verweigern den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen. 60 Unterstützer sind nicht viel, sie stehen aber für viele andere, die den Wehrdienst verweigern. Viele machen das nicht öffentlich oder begründen es gar politisch. Dass die Regierung in Israel diese Bewegung fürchtet, hat sie bereits bewiesen: Sie hat zehn Unterzeichner des Aufrufes inhaftiert.

Fragen: Harald Neuber

* Aus: Neues Deutschland, 6. Januar 2009


Shministim

Im Folgenden dokumentieren wir einen Aufruf junger israelischer Kriegsdienstverweigerer, die sich Shministim nennen. Was es damit auf sich hat, erläutern wir zunächst kurz in Deutsch:
Seit März 2005 gibt es diese Gruppe oder besser diese Bewegung. Sie fing mit einem Brief an den Ministerpräsidenten an, als 250 Gymnasiasten der 8. und letzten Klasse ihm schrieben, dass sie an die Werte der Demokratie, des Humanismus und des Pluralismus glauben und erklärten, dass sie sich weigern würden, ein Teil der Besatzung und der Unterdrückungspolizei zu werden. Die Shiminstim – was eigentlich die Acht-Klässler heißt- sind junge Menschen zwischen 17 und 19, die noch in der Schule sind oder gerade entlassen wurden und nun selbstverständlich 2-3 Jahre Militärdienst machen müssten.
Sie haben sich entschlossen, sich nicht am Unrecht der Besatzung zubeteiligen. Sie wissen aber auch, dass diese Weigerung nicht ohne schmerzliche Folgen sein und keineswegs immer von ihren Familien und Freunden verstanden und gut geheißen wird. Sie wissen auch, dass es einfachere Methoden und Wege gibt, sich vor dem Militärdienst zu drücken. Sie haben den ehrlichen, aber schwierigeren Weg gewählt. Man kann nur eine große Hochachtung vor diesen jungen, mutigen Menschen haben.
Ellen Rohlfs; in: www.tlaxcala.es

The Shministim Letter 2008

We, high-school graduate teens, declare that we shall work against the Israeli occupation and oppression policy in the occupied territories and the territories of Israel. Therefore we will refuse to take part of these actions, which are being done under our name as part of the IDF.

Our refusal comes first and foremost as a protest on the separation, control, oppression and killing policy held by the state of Israel in the occupied territories, as we understand that this oppression, killing and routing of hatred will never lead us to peace, and they are all contradictory to the basic values a society that pretends to be democratic should have.

All the members of this group believe in developing the value of social work. We are not refusing to serve the society we live in, but are protesting against the occupation and the ways of actions which the militaristic system holds as it is today- crushing civil rights, discriminating on a racial base and acting opposing international laws.

We oppose the actions taken in the name of the “defense” of the Israeli society (Checkpoints, targeted killing, apartheid roads-available for Jews only, curfews etc.) that serve the occupation and exploitation policy , annex more conquered territories to the State of Israel and tramples the rights of the Palestinian population in an aggressive manner. These actions serve as a band-aid covering a bleeding wound, and as a limited and temporary solution that will accelerate and aggravate the conflict further.

We expostulate the plundering and the theft of territories and source of income to the Palestinians in exchange to the expansion of the settlements, reasoning to defend Israeli territories. In addition, we oppose any transformation of Palestinian cities and villages to ghettos without minimal living conditions or income sources enclosed by the separation wall.

We also protest the humiliating and disrespectful behavior of the military forces towards Palestinians in the West Bank; violence towards demonstrators, public humiliations, arrests, destruction of property regardless to any safety or defense needs, all of which violate global human rights and international law.

The wall and blockades surround the Palestinian Territories and serve as a halter around the Palestinian’s neck. The soldiers who commit crimes under the patronage and protection of their commanders reflect the image of the Israeli society; a destructive and surprising society that is incapable of accepting its neighboring nation as a partner and not as an enemy.

In order to hold an effective dialogue between the two societies, we, the well-established and stronger society, have the responsibility of establishing and strengthening the other. Only with a more socially and financially established partner could we work towards peace rather than one-sided retaliation acts. Rather than supporting those citizens who have hope for peace, the military cast sanctions and pushes more and more people towards acts of extreme violence and escalation.

We hereby challenge every citizen who wonders if the military's policy in the occupied territories is conducive to the progression of the peace process, to discover by himself/ herself the truth and to lift the veil which distorts the reality of the situation; to verify statistical data; to look for the humane side in him/her and in the society which stands in front of him/her, to disprove the myths that were routed within us regarding the necessity of the IDF's in the Palestinian Occupied Territories, and to stand up against every action which he finds irrational and illegal.

In a place were there are humans, there is someone to talk to. Therefore, we ask to create a dialogue that goes beyond the power struggle, the retaliation and one-sided attrition actions; to disprove the "No Partner" myth, which is leading to a lose-lose situation of an ongoing frustration, and to move to more humane methods.

We cannot hurt in the name of defense or imprison in the name of freedom; therefore we cannot be moral and serve the occupation.

Signed:
Members of the Shministim Letter 2008.

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