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"Oslo hat uns nichts gebracht"

Die Palästinenser in Gaza sind vom Verhandlungsprozess enttäuscht

Von Martin Lejeune, Gaza-Stadt *

Vertreter der im Gaza-Streifen herrschenden Hamas werden von der deutschen Regierung nicht als Verhandlungspartner im Rahmen der Nahostdiplomatie akzeptiert, weil sie - verkürzt gesagt - Israel nicht anerkennen und dem Terrorismus nicht abschwören wollen. Wie denken Leute in Gaza über diesen Vorwurf?

Die »diplomatische Krise«, die es nach Meinung israelischer Blätter, etwa der Zeitung »Haaretz«, derzeit zwischen Deutschland und Israel aufgrund neuer Siedlungsbaupläne der Regierung gibt, ist aus Sicht palästinensischer Politiker im Gaza-Streifen eine mediale Erfindung. »Deutschland steht ungeachtet etlicher Siedlungsbaupläne Israels immer fest an der Seite seines Freundes Israel«, entgegnet Faizal Abushahle auf derartige Presseberichte.

Abushahle ist Mitglied des Palästinensischen Parlaments. Er wurde 2006 in seinem Wahlkreis Gaza-Stadt direkt gewählt. Er ist einer von sechs Fatah-Abgeordneten, die auch nach der Hamas-Machtübernahme im Jahre 2007 im Gaza-Streifen geblieben sind. »Weshalb arbeitet Deutschland an der Seite Israels gegen den UN-Antrag Abu Mazens (Kampfname von Präsident Mahmud Abbas - M. L.)?«, fragt Abushahle den Besucher aus Deutschland vorwurfsvoll.

Tatsächlich erhoffen sich viele Einwohner Gazas eine Besserung ihres Notstands, sollte die UNO den Antrag annehmen. Zwar tun die Hamasführer solche Hoffnungen als völlig unbegründet und illusorisch ab, doch Hoffnung gibt es trotzdem. Abushahle macht deutlich, dass Deutschlands Stellungnahme gegen den Antrag ein Schlag ins Gesicht aller in Gaza ist, die nach einem Leben in Würde und Gleichberechtigung verlangen. »Sie sind davon überzeugt, dass sie eine Zukunft verdient haben, genauso wie Wasser, Strom, eine Arbeit und Bewegungsfreiheit. Sie verstehen nicht, weshalb Staaten wie Deutschland sich ihrer Zukunft und ihren Rechten in den Weg stellen.

Dass Israel dieser Tage die neue Nahostfriedensinitiative der internationalen Gemeinschaft unter dem Vorbehalt akzeptiert hat, weiterhin Siedlungen in den besetzten Gebieten zu bauen, hält Mohammed Hijazi, Fatah-Abgeordneter aus Rafah, für Augenwischerei: »Man kann doch nicht gleichzeitig über Frieden mit uns verhandeln und neue Siedlungen auf unserem Land errichten. Unter diesen Bedingungen ist es unmöglich, Verhandlungen zu führen.«

Seit dem Oslo-Abkommen sind beinahe 20 Jahre vergangen, in denen Fatah immer mit Israel verhandelt hat, »aber Israel ist uns in dieser Zeit keinen Millimeter entgegengekommen, sondern hat mehr Siedlungen gebaut als in der gesamten Zeit vor Oslo«, stellt Hijazi fest. Die Oslo-Verhandlungen der 90er Jahre seien daher ein historischer Fehler gewesen. »Weil die Menschen denken, dass seit den Friedensverhandlungen mit der Fatah für sie alles nur noch schlimmer geworden ist, haben sie 2006 Hamas gewählt.« Dennoch ist Hijazi 2006 als einziger Fatah-Abgeordneter im Gaza-Streifen wiedergewählt worden.

»Wir sind auch weiterhin gegen Verhandlungen mit Israel, weil die bisher nichts erreicht haben, außer dass wir immer stärker unterdrückt werden, vor allem im Gaza-Streifen«, erklärt Mustafa al-Sawaf, der stellvertretende Kulturminister (Hamas). Sawaf ist im Gegensatz zu den Fatah-Abgeordneten gegen den UN-Antrag: »Ich bin für einen palästinensischen Staat, aber nicht auf nur 22 Prozent der Fläche Palästinas, so wie ihn Abu Mazen bei der UNO fordert. Ich bin für einen palästinensischen Staat, der 100 Prozent unseres rechtmäßigen Landes umfasst.« Um seine Worte zu veranschaulichen, bittet Sawaf den Besucher auf den Büroflur, an dessen Wand eine große Palästinakarte hängt: »Palästina ist nicht nur der Gaza-Streifen und das Westjordanland. Palästina ist das ganze Land, dass Sie hier sehen!« Und damit auch Israel.

Die Hamas, die auch nach über 63 Jahren Besatzung auf den bewaffneten Kampf setzt, feuert immer wieder vom Gaza-Streifen aus Raketen in Richtung Israel. Auf die Frage, weshalb man durch solchen ungenauen Beschuss über die Grenze mörderische Gegenschläge riskiere, antwortet Sawaf: »Den bewaffneten Widerstand auszuüben ist unser unveräußerliches Recht, an dem wir festhalten, egal wie viele Opfer wir dabei erbringen müssen. Als Hitler Frankreich besetzte, hatten die Franzosen das Recht zur Résistance. Wollen Sie uns das gleiche Recht heute absprechen?«

* Aus: neues deutschland, 11. Oktober 2011


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