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Gaza - Mon Amour

Katja Hermann bespricht das Buch von Bettina Marx: "Gaza. Berichte aus einem Land ohne Hoffnung"

Der Gazastreifen, ein schmaler Landstrich zwischen Israel und Mittelmeer, der an Ägypten grenzt, gehört - salopp ausgedrückt - zu den wenig prominenten Gegenden Palästinas. Kaum etwas ist bekannt über seine Geschichte, die politischen und ökonomischen Verhältnisse, oder über das Leben der Menschen vor Ort. Und das, was zu hören und zu lesen ist, ist häufig undifferenziert und auf negative Darstellungen reduziert. Selbst der verstorbene palästinensische Präsident, Yasir Arafat, fand für diesen Teil Palästinas keine guten Worte. Wollte er jemanden zur Hölle schicken, so wies er ihn an, doch aus dem Meer von Gaza zu trinken (S. 172).

Das Buch von Bettina Marx "Gaza. Berichte aus einem Land ohne Hoffnung" vermag es, diese Lücke in mehrfacher Hinsicht zu füllen. Es gibt einen Überblick über Geschichte, Geographie, Politik und Wirtschaft des Gazastreifens und gewährt gleichzeitig einen tiefen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse und den Alltag seiner Bewohner. In Reportagenformat berichtet die Autorin von den schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen angesichts geschlossener Grenzen, von Armut und Wasserknappheit, von israelischen Militäraktionen, vom Friedensprozess, von Widerstand gegen die Besatzung sowie ausführlich auch vom innerpalästinensischen Machtkampf zwischen Fatah und Hamas, der im Sommer 2007 schließlich von Hamas gewonnen wurde. Ein Kapitel beschäftigt sich mit der israelischen Militäroffensive "Gegossenes Blei" im Winter 2008/9, (S. 291ff.). Die Autorin gehörte zu den ersten ausländischen Journalisten, die nach dem Ende des Krieges wieder in den Gazastreifen einreisen durften.

Weitere Rezensionen:

"Gaza. Land ohne Hoffnung"
Ein aufrüttelndes Buch der ARD-Hörfunkkorrespondentin Bettina Marx - Und ihr Tagesschau-Bericht "Albtraum Gaza-Streifen"



Bettina Marx ist promovierte Judaistin und arbeitete von 2003 bis 2007 als ARD-Hörfunk-Korrespondentin für Israel und die Palästinensischen Gebiete in Tel Aviv. In dieser Zeit "entdeckte" sie den Gazastreifen für sich, einen, wie sie im Vorwort ihres Buches schreibt "armseligen Landstrich mit (...) wunderbaren Menschen" (S. 17). Ihr Buch trug den Arbeitstitel "Gaza - Mon Amour". Aufgrund ihrer zahlreichen Aufenthalte vor Ort, aber auch durch jahrelange Kontakte und Freundschaften, kann sie eindrücklich von persönlichen Schicksalen berichten. So wie das des Taxifahrers Raed, der als sogenannter Fixer ausländische Journalisten begleitet, Interviews organisiert und Drehorte recherchiert. Die Autorin, die bei ihren Aufenthalten in Gaza selbst von Raed begleitet wurde, beschreibt, wie dieser mit enormer Stärke das Überleben seiner Familie sichert und schließlich während des Krieges sein Haus und viele Familienangehörige verliert (S. 39ff.). Oder wie die Geschichte von Hadil und Islam, den "Rudermädchen von Shati", die mit viel Engagement und trotz gesellschaftlicher Vorbehalte Rudern trainieren, dies aber nur auf Maschinen im Sportzentrum des Flüchtlingslagers Shati tun dürfen, da es seit Beginn der zweiten Intifada verboten ist, mit Booten aufs Meer hinauszufahren (S. 235ff.). Den Respekt, den die Autorin den Menschen, über die sie schreibt, entgegenbringt, ist spürbar und führt dazu, dass jenseits allen Schreckens - insbesondere dort, wo Bettina Marx die Folgen der Militäroffensive beschreibt, sind die Texte nur schwer auszuhalten - die Stärke und Kreativität der Menschen sichtbar gemacht werden.

Die Berichte bestechen durch ihre detaillierten Darstellungen, sie sprechen für sich. Die Autorin verzichtet weitgehend auf Kommentare und Bewertungen. Dennoch ist das Buch insgesamt eine einzige Anklage an die israelische Politik, aber auch an die internationale Staatengemeinschaft, die zu wenig tut, um die Bevölkerung im Gazastreifen zu unterstützen bzw. zu schützen.

Bettina Marx: Gaza. Berichte aus einem Land ohne Hoffnung. Zweitausendeins, Frankfurt a.M., 2009.


Dieser Beitrag erschien in: INAMO (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Heft Nr. 61/Frühjahr 2010, 16. Jahrg., Seite 76

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