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Scharfe Kritik an Athens Blockade

Pressekonferenz zu Chancen der Gaza-Flotte

Von Anke Stefan, Athen *

»Das Angebot von Giorgos Papandreou, die griechische Regierung könne die Hilfsgüter nach Gaza bringen, bedeutet vor allem eines, die Legalisierung des Embargos Israels gegenüber Gaza.« Das erklärte Tassos Kourakis, Vizepräsident des griechischen Parlamentes und Abgeordneter der Linksallianz SYRIZA, am Montag (4. Juli) auf einer Pressekonferenz der griechischen Mitorganisatoren der Freedom Flottille II in Athen.

Die Entscheidung des griechischen Ministerpräsidenten, das Embargo in die Hoheitsgewässer Griechenlands zu verlegen, spiegele jedoch keinesfalls die Haltung des griechischen gegenüber dem palästinensischen Volk wider, erklärte Kourakis. Sein Fraktionskollege Thodoris Dritsas sagte, er hätte nie geglaubt, dass die griechische Regierung so weit gehen würde. Als langjähriger Sprecher der Fraktion stünde er seit Jahren in Kontakt mit den jeweiligen Außenministern der griechischen Regierung. Dabei hätten alle, egal ob der PASOK oder der Nea Dimokratia angehörig, immer klar bestätigt, dass es sich bei der Initiative, die Blockade auf dem Seeweg zu brechen, um ein legales und unterstützenswertes Unternehmen handele, »auch wenn man aus Gründen des diplomatischen Gleichgewichts nicht offensiv auftreten konnte«. Auch heute könne die Regierung kein Argument vorbringen, nach dem die Flottille illegal wäre, so Dritsas. Statt dessen missachte sie nicht nur den Willen der großen Mehrheit der griechischen Bevölkerung: »Die Regierung setzt die langjährigen freundschaftlichen Beziehungen zur arabischen Welt aufs Spiel, Beziehungen, bei deren Etablierung das griechische Volk eine große und aktive Rolle gespielt hat.«

Auch der schwedische Professor und Aktivist auf dem schwedischen Schiff Mathias Gardel zeigte sich sehr überrascht von der Entscheidung Papandreous, der mit ihm »auf die selbe Universität von Uppsala gegangen« sei. Das von Griechenland verhängte und von verschiedenen Staaten der EU unterstützte Auslaufverbot sei ein klarer Verstoß gegen den EU-Grundsatz auf Bewegungsfreiheit für Güter und Dienstleistungen, so Gardel.

Für Giannis Tsironis ist das von der griechischen Regierung verhängte Auslaufverbot so, »als wenn man den griechischen Bürgern verbieten würde, auf dem Syntagma-Platz in Athen zu demonstrieren«. Der Pressesprecher der griechischen Ökologen-Grüne betonte, seine Partei habe die Freedom-Flottille von Anfang an unterstützt. Die Haltung der Regierung sei nicht nur falsch, sondern komme einem Verbrechen gleich, erklärte der Sprecher der nicht im nationalen, aber im EU-Parlament vertretenen Partei.

Die gesamtgriechische Journalistenvereinigung POESY habe eine Resolution angenommen, auf der das Verhalten der griechischen Behörden besonders gegenüber den zahlreichen Journalisten in der Flotte angeprangert wird, erläuterte der Vorsitzende der POESY, Giorgos Savvidis. Es sei eine Provokation, wenn die ausländischen Kollegen von der griechischen Polizei wie Verdächtige behandelt und zu Aussagen über ihre Mitreisenden aufgefordert würden.

Während sich die französische »Dignité al Karama« mittlerweile in internationalen Gewässern befinde, lägen weitere Schiffe in griechischen Häfen weiterhin fest, gab Dimitris Plionis von der Initiative »Ein Schiff für Gaza« bekannt. Neben dem Kapitän des US-amerikanischen Schiffes seien auch drei Besatzungsmitglieder der kanadischen »Tahrir« festgenommen worden.

Zu weiteren Plänen und der Frage, wie lange man sich das Abwarten noch leisten könne, wollte sich der Vertreter der griechischen Mitorganisatoren nicht äußern. Man sei aber weiterhin aktiv und zuversichtlich, doch noch fahren zu können. Der Druck »der Tatsachen und der öffentlichen Meinung« wachse aber beständig.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Juli 2011


Kleine Gefälligkeit

Von Jürgen Reents **

Francis Coppolas Film »Der Pate« hat die Bitte um eine kleine Gefälligkeit, die nicht abgelehnt werden kann, berühmt gemacht. In der Diplomatie gehört sie zum verheimlichten Alltag. Eine kleine Gefälligkeit schuldete die griechische Regierung der EU und anderen Staaten für die noch erhofften Milliarden-Kredite. Dazu bedurfte es vermutlich kaum mehr als des dezenten Hinweises: »Wir haben da ein Problem mit einigen Schiffen bei Ihnen.« Ob es so oder anders gesagt wurde, entzieht sich öffentlicher Kenntnis und öffentlichen Beweises. Den in griechischen Häfen liegenden Schiffen, die Hilfsgüter in den von israelischem Militär blockierten Gaza-Streifen bringen und ein Signal zur Aufhebung der Blockade senden wollen, verweigert die griechische Küstenwache jedenfalls seit Tagen die Auslaufgenehmigung. So ist damit zu rechnen, dass die versuchte Hilfs- und Solidaritätsaktion dort endet, wo sie starten wollte.

Das Anliegen der Flottillen-Teilnehmer ist damit jedoch nicht blamiert. Seit vier Jahren dauert die Abriegelung des Gaza-Streifens an. Die UNO, die EU und einzelne Staaten haben dies mehrfach als nicht hinnehmbar bezeichnet, nehmen es aber hin. Auch wenn es ein Irrtum gewesen sein mag, die Blockade mit der zweiten Gaza-Flottille je durchbrechen zu können, sind es solche Aktionen des zivilen Ungehorsams, die eine berechtigte Forderung bewusst halten: Israel muss aufhören, sich als Pförtner der Palästinensergebiete zu Land, zu Wasser und in der Luft aufzuspielen.

** Aus: Neues Deutschland, 6. Juli 2011 (Kommentar)


Schiff mit 35 Kapitänen

»Free Gaza«-Flottille schrumpft weiter. Auf der »Tahrir« hielten die Passagiere nach dem gescheiterten Auslaufversuch zusammen und nannten den Namen des Schiffsführers nicht

Von Peter Wolter ***


Das Zusammentreffen der verkleinerten Gaza-Solidaritätsflotte in internationalen Gewässern wird durch das von Griechenland am Freitag verhängte Auslaufverbot immer unwahrscheinlicher. Zwei der zehn Schiffe, die ursprünglich an dem Konvoi teilnehmen und Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen sollten, sind schon vor dem Verbot seeuntüchtig gemacht worden, offenbar durch Sabotage.

Nach einem gescheiterten Auslaufversuch mit anschließender Enterung durch die Küstenwache am Montag ist auch das kanadische Teilnehmerschiff »Tahrir« in Agios Nikolaos so stark beschädigt, daß es womöglich in die Werft muß. Die Passagiere der »Stefano Chiarini«, auf der sich neben Italienern, Niederländern und Iren auch die deutsche Gruppe befand, wollten mehrheitlich noch am Dienstag nach Hause fahren. Bis auf die nur mit acht Aktivisten besetzte französische Motoryacht »Dignité al Karama« saßen bei Redaktionsschluß alle verbliebenen Schiffe in griechischen Häfen fest. Das Auslaufverbot war offiziell mit der israelischen Seeblockade des Gazastreifens begründet worden. Der 60jährige Kapitän des US-Schiffs »Audacity of Hope«, den die Polizei nach einem gescheiterten Auslaufversuch am Freitag nahe Piräus festgenommen hatte, ist jedoch am Dienstag wieder freigelassen worden.

Wie von Geisterhand

Mit einer harten Nuß beschäftigten sich unterdessen Polizei und Staatsanwalt auf Kreta: Wer hat eigentlich am Montag verbotswidrig die »Tahrir« aus dem Hafen von Agios Nikolaos gefahren? Dem bisherigen Kapitän, der damit seine Lizenz und damit seine berufliche Existenz riskiert hätte, war kurz vor dem Auslaufen vorsichtshalber gekündigt worden. Und jetzt will es niemand gewesen sein. Hatte das Schiff etwa 35 Kapitäne?

Das überraschende Auslaufen aus der Marina von Agios Nikolaos war präzise vorbereitet: Die auf der Pier stehende Polizei und die Besatzung des neben der »Tahrir« festgemachten Patrouillenbootes wurden übertölpelt. Die Aktivisten Michael aus Australien und Soha aus Kanada plantschten mit kleinen Paddelbooten im Hafenbecken herum, John aus Kanada stand auf der Pier und machte Fotos. Alles wirkte harmlos.

Von unbekannter Hand gestartet, sprangen plötzlich die Motoren der »Tahrir« an, John warf die Trossen aufs Schiff, Michael und Soha hielten sich– anscheinend erschöpft vom Herumtollen im Hafenbecken – an der Ankerklüse des Patrouillenbootes fest. Die Soldaten an Bord hätten nicht ablegen können, ohne sie zu überfahren. Die »Tahrir« hatte somit einige Minuten Vorsprung, manövrierte elegant aus der Marina, ging auf Kurs 32 Grad, alle Kraft voraus. Die Geschwindigkeit reichte jedoch nicht aus, um der Küstenwache zu entkommen.

Erstes Ziel war, internationale Gewässer zu erreichen – acht von den zwölf Meilen waren bereits geschafft, als es der Besatzung des Küstenwachbootes gelang, die »Tahrir« zu entern, die Brücke zu besetzen und das Kommando über das Schiff zu übernehmen. Das Schiff gehorchte allerdings den Ruderkommandos nicht mehr, auch die beiden Motoren entwickelten plötzlich ein Eigenleben. Die »Tahrir« fuhr im Zickzack, stoppte hin und wieder ganz und nahm dann plötzlich, wie von Geisterhand bedient, erneut Fahrt auf.

Jemand machte sich unten mit Werkzeug an den Caterpillar-Dieseln zu schaffen. Das Schiff ließ sich von der Brücke aus nicht mehr steuern. Es dauerte einige Zeit, bis die Soldaten dahinter kamen, daß des Rätsels Lösung im Maschinenraum zu suchen war – dort war aber niemand mehr, beide Motoren standen still und ließen sich auch gar nicht mehr starten. War hier ein Geist am Werk, oder hatte das Schiff auch 35 Maschinisten?

Tank beim Anlegen geplatzt

Ein Schlepper brachte die »Tahrir« zurück in den Hafen und drückte sie so unsanft gegen die Kaimauer, daß im Maschinenraum ein Tank platzte. Das Schiff ist somit fahruntüchtig. Als es am Montag abend penetrant nach Diesel roch, rief jemand laut etwas von Explosionsgefahr. Die Soldaten sprangen voller Angst auf die Pier. Der Hilfsdiesel, der den Generator antreibt, mußte abgestellt und durfte auf Anordnung der Küstenwache auch nicht mehr gestartet werden.

Seitdem war das Schiff ohne Strom, die Notebooks und Mobiltelefone ließen sich nicht mehr laden. Die Kühlung für die sündhaft teuren Medikamente, die unter Bruch der israelischen Blockade in den Gazastreifen gebracht werden sollten, war ausgefallen. Die Toiletten hatten kein Spülwasser mehr und quollen über – der Abwassertank war voll.

Nach der Verhaftung der Paddelboot-Aktivisten Soha und Michael wurde am Montag abend auch Sandra Ruch, eine kanadische Jüdin, die formal als Eignerin der »Tahrir« auftritt, in Gewahrsam genommen. Auf der Pier hatten sich fast 200 empörte Griechen versammelt– darunter normale Bürger, Anarchisten, Kommunisten und Urlauber, die Sprechchöre gegen Polizei, Armee und Küstenwache anstimmten. Auch der Regierungsschef bekam sein Fett ab: »Nieder mit Papandreou«. Plötzlich erklang auch die »Internationale«: Auf Griechisch von Land aus, auf Französisch, Englisch, Russisch und Deutsch an Bord. Mohammed aus Kanada las unterdessen angestrengt im Koran.

Pizza von Sympathisanten

An Land fuhren plötzlich Motorroller vor, ein Dutzend Kartons mit schätzungsweise zwei Quadratmetern Pizza wurde unter den mißtrauischen Blicken der Soldaten über die Reling gereicht. Am Morgen stellte sich heraus, daß mehrere griechische Sympathisanten in Schlafsäcken vor dem Schiff übernachtet hatten, ihr Megaphon stand neben leeren Wasser- und Weinflaschen. Der Boden war für sie genauso hart wie für die »Tahrir«-Besatzung, die zum größten Teil auf den Stahlplatten des Oberdecks schlafen mußte. Am Dienstag nachmittag wurde der Generator für kurze Zeit verbotswidrig wieder gestartet.

Die »Tahrir«-Besatzung war nicht bereit, Polizei und Behörden dabei zu helfen, das Phänomen der 35 Kapitäne und Maschinisten zu ergründen, erhielt aber nach Aufnahme der Personalien die Zusage, im Lauf des Tages von Bord gehen zu können. Auch Sandra Ruch sollte auf freien Fuß gesetzt werden. Soha und Michael drohen zwei Monate Haft, die sie vermutlich nicht absitzen müssen. Nach Einschätzung der Rechtsanwälte werden sie vorher abgeschoben.

*** Aus: junge Welt, 6. Juli 2011


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