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"Menschenjagd im Käfig"

Anwälte erstatten Anzeige gegen israelische Kriegsrepräsentanten beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag

Von Jürgen Cain Külbel *

Die international bekannte libanesische Menschenrechtsanwältin May Al-­Khansa erstattete am Mittwoch im Büro des Anklägers beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Anzeige gegen Israels Ministerpräsidenten Ehud Olmert, dessen Außenministerin Zipi Livni, Kriegsminister Ehud Barak, dessen Stellvertreter Matan Vilnai sowie den Minister für innere Sicherheit, Avraham Dichter, und den General­stabschef der Armee, Gabi Aschkenazi.

Die 25seitige Anzeige, die jW vorliegt, übergab sie gemeinsam mit den spanischen Anwälten Adnan Ezzeddine, Juan Ramon Marcos Coloma und Enrique Lopez Rodriguez. Sie enthält »Dutzende Berichte, ergreifende Fotos und eine CD, welche die Wahrheit der vom zionistischen Terrorismus in Gaza verübten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zeigen«. Die Anwälte forderten den Erlaß von Haftbefehlen und Einleitung von Gerichtsverfahren.

Verbrechen angeprangert

»Unsere holländischen Kollegen erhielten von der Regierung die Genehmigung, eine Kundgebung vor dem Gerichtshof abzuhalten, um unsere Anzeige unterstützen zu können«, so Al-Khansa gegenüber jW. Auf einem riesigen Monitor, vor dem Gericht aufgestellt, waren drei Stunden lang bewegende Bilder von den schrecklichen Ereignissen und den von Israel angerichteten Massakern in Gaza zu sehen.

Al-Khansa, Vorsitzende der in Washington registrierten Internationalen Koalition gegen Straffreiheit (ICAI), die zugleich Mitglied der Internationalen Koalition für den IStGH ist, hatte bereits am 10. Dezember mit dem US-amerikanischen Menschenrechtsanwalt Franklin Pierce Lamb Anzeige in Den Haag gegen den Staat Israel und verantwortliche Politiker wegen »ungeheuerlicher Verletzungen des Völkerrechts und des Statuts von Rom« infolge der jahrelangen »kriminellen und anhaltenden Blockade des Gazastreifens« eingereicht.

Al-Khansa und die anderen Anwälte vertreten die Auffassung, »daß die fortgesetzte Schließung der Grenzübergänge und die Belagerung in Gaza nicht mehr akzeptabel für die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen sind. Das ist eine neue Art von Verbrechen, und es ist eines der schlimmsten, das in der modernen Zeit gegen die Bewohner von Gaza verübt wurde; egal ob es sich nun um ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt«.

Sanktionen gefordert

Sie forderten den IStGH nachdrücklich auf, das Verbrechen, »durch das die Menschen in Gaza in einer Art Käfig ohne Fluchtwege gehalten und massakriert werden«, zu untersuchen. »Was heute geschieht, ist im Grunde eine von Israelis begangene Menschenjagd im Käfig. Selbst der leidenschaftlichste Jäger bestätigt, daß die Jagd auf Tiere in einem Käfig ein Verbrechen ist. Warum wird dann einem Land erlaubt, seine mächtigsten Waffen gegen Menschen zu richten, die aus ihrem Käfig in Gaza nicht entweichen können?«

Bedeutsam sei, so die Anwalts-Crew, daß die israelischen Führer solche abscheulichen terroristischen Handlungen, wie Einsatz von weißem Phosphor, massive Tötungen von unschuldigen Kindern und Frauen, Experimente mit neuartigen Waffen etc., nicht ohne die volle Komplizenschaft und Rückendeckung durch US- und europäische Regierungen sowie des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas verübt hätten. Statt Israel mit Sanktionen zu belegen, um die Verletzungen des Völkerrechts und der Genfer Konvention zu stoppen, werde das Land von den USA und Europa mit engeren Wirtschafts-, Hochschul-, Handels-, Verteidigungsbeziehungen und Privilegien belohnt.

* Aus: junge Welt, 15. Januar 2009

Auflistung des Grauens

Palästinensisches Menschenrechtszentrum Al-Mezan (Gaza) dokumentiert die Verbrechen der israelischen Armee

Von Karin Leukefeld **


Am Samstag, dem 10. Januar, ungefähr um 14.00 Uhr feuerte ein israelischer Kampfjet eine Rakete in eine Gruppe junger Männer, die westlich von Beit Lahia, in As Salatin, im Norden des Gaza­streifens zusammenstanden. Die Rakete tötete Ahmad Ibrahim Jum'a (25) und Umar Jum'a (19). Etwa um 14.30 Uhr, ebenfalls am Samstag, eröffneten israelische Kampftruppen in Beit Hanun das Feuer auf das Al-Bora-Viertel und töteten die 18jährige Nariman Abdul-Karim Abu-Odeh durch einen Schuß in die Brust. Etwa um 16.20 Uhr am gleichen Tag feuerte eine israelische Drohne eine Rakete in eine Gruppe von Menschen, die in der Nähe der Gasabfüllanlage von Barrawi in Beit Lahia standen. Eine 40jährige schwangere Frau, Wafa' Al-Masri, wurde dabei ebenso verletzt wie die 24jährige Ghada Al-Masri. Die Schwangere hatte eine Fehlgeburt, eines ihrer Beine mußte amputiert werden. Der zweiten Frau mußten beide Beine amputiert werden. Wenig später, gegen 16.45 Uhr, feuerte ein israelischer Kampfjet eine Rakete in den Appartementblock As Sultan in Jabalia. Die Einwohner versuchten, das Gebäude zu verlassen, woraufhin die israelische Armee den Eingang des Gebäudes unter Feuer nahm, obwohl zu sehen war, daß die Menschen versuchten zu fliehen. Drei Personen wurden getötet, zwei von ihnen waren Kinder. Ihre Namen: Ali Kamal Al-Nuthor (12), Amer Kamal Al-Nuthor (15) und Shadi Fatho Ijneed (27). Weitere elf Personen wurden verletzt, darunter ein Kind. (...)«

Seite um Seite geht diese Auflistung des Grauens weiter, in der das palästinensische Menschenrechtszentrum Al-Mezan (Gaza) die Verbrechen der israelischen Armee dokumentiert. Israel verstoße nicht nur gegen internationales Recht, dem es als Besatzungsmacht unterliege, es verstoße auch gegen die vierte Genfer Konvention, die den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegen festschreibt, erklärt Al-Mezan, wo Mitarbeiter seit Beginn des israelischen Überfalls auf den Gazastreifen am 27. Dezember 2008 jeden einzelnen Fall von Tod, Verletzung oder Zerstörung, der gemeldet wird, nicht nur registrieren, sondern auch überprüfen. Was von Israel als Attacken auf Hamaseinrichtungen, Waffendepots, Tunnelanlagen und Raketenabschußrampen dargestellt wird, trifft nach Information von Al-Mezan vor allem die Zivilbevölkerung und deren Privateigentum sowie die öffentliche Infrastruktur der Palästinenser. Viele der Menschen, die in den ersten Tagen der Luftangriffe getötet worden seien, habe man bis heute nicht aus den Trümmern der zerstörten Häuser bergen können, so das Menschenrechtszentrum. Darunter seien vermutlich noch zahlreiche Kinder. Sechs Sanitäter und drei Journalisten listet Al-Mezan unter den Toten auf und viele alte Menschen. 85 Prozent der Getöteten seien Zivilpersonen und keine Kämpfer, so das Zentrum. Unter den bis zum 12. Januar registrierten verletzten und verstümmelten Opfern seien mindestens 634 Kinder und 395 Frauen.

Die Gesamtzahl der vernichteten Häuser betrage 472, bis zu 4000 Häuser seien teilweise zerstört worden, heißt es weiter in der Auflistung. Außerdem wurden 38 Moscheen, 39 Schulen und 42 öffentliche zivile Einrichtungen zerbombt. 107 Handwerks- und kleine Industriebetriebe liegen ebenso in Trümmern wie 90 Polizeigebäude. Ganze 25 der zerstörten Einrichtungen seien militärischer Natur gewesen und bewaffneten Gruppen zuzurechnen, so Al-Mezan. Nicht aufgelistet werden konnten bisher die Verwüstung von Feldern und Plantagen. Und die Toten, die noch unter den Trümmern ihrer Häuser im Osten von Gaza-Stadt, in Beit Lahia und dem Flüchtlingslager Jabalia begraben liegen. Das gleiche gilt für die Orte Chan Junis und Rafah im Süden sowie den mittleren Gazastreifen, wo wegen der anhaltenden Offensive der israelischen Armee derzeit keine Untersuchungen vorgenommen werden können.

www.mezan.org/

** Aus: junge Welt, 15. Januar 2009




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