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Nahost einer Waffenruhe näher

Vielfältige diplomatische Aktivitäten zwischen Jerusalem und Kairo

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Die Bemühungen um eine Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel sind möglicherweise von Erfolg gekrönt: Um 23 Uhr soll ein vereinbarter Waffenstillstand in Kraft treten. An den Verhandlungen war auch die Bundesregierung beteiligt, deren Nahostpolitik aber von den Palästinensern als einseitig kritisiert wird.

Am Dienstagnachmittag heulten in Jerusalem erneut die Sirenen; die Rakete schlug allerdings zwischen der Siedlung Gusch Etzion im Westjordanland und palästinensischen Dörfern ein. Im Gaza-Streifen und in den israelischen Kommunen in der Nachbarschaft gingen die Kampfhandlungen derweil ununterbrochen weiter: Israels Luftwaffe flog über 100 Angriffe auf Ziele in der Küstenregion; getroffen wurde unter anderem eine Bank, die der Hamas zugerechnet wird. Palästinensische Kämpfer feuerten weiterhin Raketen ab. Auf der palästinensischen Seite verloren nach Angaben des palästinensischen Roten Halbmondes seit Beginn des Krieges 118 Menschen ihr Leben; auf der israelischen Seite starben im gleichen Zeitraum drei Personen.

Am Nachmittag wurden aus Helikoptern Flugblätter abgeworfen, in denen die Bewohner der Außenbezirke von Gaza aufgefordert wurden, ihre Häuser zu verlassen und sich im Stadtzentrum Gazas zu sammeln – ein Anzeichen dafür, dass eine Bodenoffensive bevorsteht, falls die Bemühungen um eine Waffenruhe scheitern.

Die hebräische Online-Ausgabe der Zeitung »Haaretz« zitierte einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter von Premierminister Benjamin Netanjahu, der heutige Mittwoch werde der »Tag der Entscheidung«: Entweder werde die Regierung einen Waffenstillstand unterzeichnen oder den Einmarsch in Gaza anordnen.

Den ganzen Mittwoch über liefen die internationalen Bemühungen um eine Waffenruhe auf Hochtouren: UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und Bundesaußenminister Guido Westerwelle trafen sich mit israelischen Vertretern, während Ägyptens Regierung versuchte, in Kairo zwischen Unterhändlern der Hamas und Israels zu vermitteln. Die ägyptische Nachrichtenagentur MENA berichtete, Präsident Mohammad Mursi habe erklärt, die »Farce der israelischen Aggression« werde noch am Dienstag enden. Hamas-Sprecher Ayman Taha erklärte am Nachmittag gegenüber »nd«, um 23 Uhr MEZ solle ein Waffenstilland beginnen, der auch einen Verzicht Israels auf gezielte Tötungen beinhalte.

Westerwelle reiste unterdessen weiter nach Kairo; israelische Medien spekulierten, Israels Regierung habe ihm eine Nachricht für die Hamas mitgegeben. Doch die Nahostpolitik der Bundesregierung gerät bei den Palästinensern zunehmend in die Kritik. Bundeskanzlerin Angela Merkel sehe »zwar ein Recht Israels zu agieren, aber offensichtlich sieht sie nicht die Bilder aus dem Gaza-Streifen«, sagte Abdallah Frangi, Berater von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der Düsseldorfer »Rheinischen Post«: »Wenn man so einseitig pro-israelisch handelt, bleibt der Einfluss gering.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 20. November 2012


"Mäht Gaza nieder" Bombenkrieg gegen Palästinenser: Israelische Minister hetzen zu Mord und Vertreibung. Trotzdem Waffenstillstand vereinbart

Von Karin Leukefeld **

Die israelische Armee hat auch am Dienstag ihre Angriffe auf den Gazastreifen fortgesetzt. Die Luftwaffe flog erneut mehr als 100 Attacken auf Gaza-Stadt, das Flüchtlingslager Jabaliya und Rafah im Süden. Zerstört wurde auch eine Filiale der Islamischen Nationalbank. Einem Bericht der israelischen Tageszeitung Haaretz zufolge wurden mindestens sieben weitere Menschen getötet. Damit erhöhte sich die von Krankenhäusern in Gaza bekanntgegebene Gesamtzahl der palästinensischen Opfer seit Beginn der israelischen Operation »Säulen der Verteidigung« vor sieben Tagen auf 116, mehr als 800 Menschen wurden verletzt, darunter 220 Kinder. Die Opfer seien »Bauern auf dem Weg zum Gemüsemarkt, Verkäufer von gereinigtem Trinkwasser und Leute, die nur zufällig zu nahe an den Zielen der israelischen Luftschläge lebten«, gewesen, schreibt Haaretz. Lediglich sechs der Getöteten seien Mitglieder militanter palästinensischer Organisationen gewesen.

Aus dem Gazastreifen wurden israelischen Angaben zufolge seit Dienstag morgen rund 60 Raketen abgeschossen. Dabei wurden mehrere Menschen leicht verletzt. In Jerusalem wurde erneut Alarm ausgelöst, ein Geschoß ging jedoch weit vor der Stadt nieder. In Israel waren in der vergangenen Woche drei Personen durch Raketen getötet worden, die Zahl der Verletzten wird mit mehr als 80 angegeben.

Am Dienstag nachmittag mehrten sich dann die Berichte über eine Feuerpause. Die britische BBC meldete unter Berufung auf Sprecher der Hamas, ein Waffenstillstand solle am Mittwoch um null Uhr in Kraft treten. Schon zuvor hatte der ägyptische Präsident Mohammed Mursi angekündigt, daß »die groteske israelische Aggression« noch am Dienstag enden werde. Von israelischer Seite lag dafür bis jW-Redaktionsschluß hingegen keine offizielle Bestätigung vor.

Führende Regierungsvertreter Israels zeigten sich stattdessen weiter unerbittlich. Wie der Fernsehsender Russia Today berichtete, forderte Transportminister Israel Katz, Gaza so schwer zu bombardieren, »daß die gesamte Bevölkerung nach Ägypten flieht«. Sein Kollege für die Verteidigung der Heimatfront, Avi Dichter, riet den israelischen Streitkräften, Gaza »neu zu formatieren« und es »mit Bomben sauberzuwischen«. Innenminister Eli Yishai sagte, »Infrastruktur, öffentliche Gebäude und Regierungsgebäude« müßten zerstört werden. Ziel der Operation sei, »Gaza ins Mittelalter zurückzuschicken, nur dann wird Israel für die nächsten 40 Jahre in Ruhe leben«. Michael Ben-Ari, ein Abgeordneter der Nationalen Einheitspartei, rief die israelischen Soldaten offen zum Mord an den Palästinensern auf: »Es gibt keine Unschuldigen in Gaza. Mäht sie nieder!«

Unterdessen traf sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle am Dienstag in Jerusalem mit seinem israelischen Amtskollegen Avigdor Lieberman sowie Präsident Shimon Peres und Regierungschef Benjamin Netanjahu. Anschließend fuhr er zu Gesprächen mit dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, nach Ramallah. Als Ursache der aktuellen Eskalation machte Westerwelle erneut den Beschuß Südisraels aus dem Gazastreifen aus. Dort liege »der Schlüssel für einen Waffenstillstand«. Abbas’ Berater Abdullah Frangi antwortete im Gespräch mit der Tageszeitung Rheinische Post, wer eine so einseitige Haltung einnehme, habe »kein Gewicht« bei Verhandlungen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. November 2012


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