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"Obama ist verärgert über Netanjahu wegen des Angriffs auf Gaza"

Die Politikwissenschaftlerin und Nahostexpertin Phyllis Bennis im Interview *


Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das die bekannte US-amerikanische Nahostexpertin Phyllis Bennis dem russischen Fernsehkanal RT gegeben hat. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte für uns Eckart Fooken.


RT: Wie steht es mit der Möglichkeit eines umfassenden Krieges, wie wir ihn 2008 erlebt haben?

Phyllis Bennis: Ich meine, dass wir, wenn wir von einem umfassenden Krieg wie bei der Operation „Gegossenes Blei“ sprechen, sehr deutlich sagen müssen, dass es sich um einen äußerst einseitigen Krieg handelte. Wenn man sich nur einmal die Verlustzahlen dieses schrecklichen dreiwöchigen israelischen Angriffs auf Gaza ansieht – da gab es 1.400 getötete Palästinenser, in der Mehrheit Zivilisten. Und da gab es 13 Israelis, davon sieben Zivilisten und fünf davon wurden durch eignes Feuer getötet. Man sieht also, damals wie übrigens auch heute wieder, die enorme Diskrepanz bei den Verlusten.

Dies ist ein sehr gefährlicher Zeitpunkt, wenn wir noch einmal auf „Gegossenes Blei“ als Modell zurückblicken, denn es gibt da einige Parallelen beim Timing. In beiden Fällen begannen die Israelis ihren Angriff kurz nach den Wahlen in den USA und kurz vor der Vereidigung und Amtseinführung des Präsidenten im Januar und auch kurz vor den geplanten Wahlen in Israel. Es ist also keine Frage, dass das alles mit der israelischen Politik zutun hat.



Livestream des Interviews im russischen Fernsehkanal RT (5 Min.)

Wir sollten uns allerdings auch daran erinnern, was die Antwort der damaligen Außenministerin Condoleezza Rice, gefragt nach der wegen des bereits erreichten dramatischen Ausmaßes von menschlichem Leid notwendigen Dringlichkeit einer Feuerpause in Gaza, gegenüber der UNO war: “Wir brauchen jetzt noch keine Feuerpause“; und das bleibt ihr Vermächtnis, und ich hoffe, dass Susan Rice und ihre Kollegen im Außenministerium sich nicht dieser Feststellung anschließen, sondern in der Tat die Notwendigkeit einer sofortigen Feuerpause erkennen, selbst wenn das alles in einem größeren Kontext betrachtet werden muss, nämlich dem Kontext der Besetzung von Gaza, die die Form einer Belagerung mittels einer Umzingelung Gazas durch das israelische Militär eingenommen hat.

RT: Aber zur Zeit sehen wir, dass Obama die Israelis öffentlich unterstützt, während er sich vor der Wahl in der Tat von Premierminister Netanjahu distanzierte, oder nicht?

P.B.: Das tat er, ja, aber ich denke, es ist wichtig zu sehen, dass die Distanzierung sich größtenteils auf der Ebene der persönlichen Beziehung mit Netanjahu abspielte. Es gab niemals eine strategische Distanzierung von Israel. Der israelische Ministerpräsident hat sich zum Beispiel bereits dahingehend geäußert, dass Präsident Obama in Bezug auf militärische Hilfe, Protektion bei der UNO, Unterstützung für Israels Raketenabwehr-System – das Eiserne Kuppel-System – dass in allen wichtigen Angelegenheiten, wie er es ausdrückte, Präsident Obama einer der hilfreichsten US-Präsidenten gewesen ist.

Es gibt da einen verbleibenden persönlichen Disput, der sich, so denke ich, auch nicht ändern wird. Ich glaube, dass Präsident Obama zweifellos noch sehr verärgert über Premierminister Netanjahu ist, mit dieser Sache zu diesem Zeitpunkt zu beginnen, wo die Lage an der Grenze zu Syrien sehr angespannt ist, wo die Dinge in der gesamten Region angespannt sind und wo sich ein hohes Maß an politischer Ungewissheit als Folge der gegenwärtigen Eskalation einstellt, aber auch besonders wegen der Militarisierung der Verhältnisse in Syrien.

RT: Wohin könnte all dies führen? Ist die Lage, die wir gerade beobachten, wirklich gefährlich?

P.B.: Sie ist äußerst gefährlich. Sie ist nicht gefährlich, so meine ich, in dem Sinne, dass dies ein Krieg mit Bodentruppen wird, in den die Nachbarstaaten von Israel, und Gaza, Israel und Palästina notwendigerweise eingreifen werden. Ich sehe nicht, dass z. B. die ägyptische Regierung Truppen zur Verteidigung Gazas schicken wird. Aber dies alles wird zu einer noch größeren politischen Instabilität in der Region führen. Vor allem wird es enorme humane Kosten für die Bevölkerung in Gaza verursachen, die seit der Operation „Gegossenes Blei“ von 2008-09 nur sehr, sehr wenig von dem, was in jenem dreiwöchigen Angriff zerstört worden war, wieder aufbauen konnten.

So hat die Bevölkerung Gazas immer noch keine durchgehende 24-stündige Elektrizitätsversorgung. Strom gibt es nur für einige wenige Stunden am Tag. Wenn die Bombardierungen auf die Kraftwerke zielen, wie vor vier Jahren, wird es erneut Jahre dauern, bis diese wiederhergestellt werden können. Es gibt also verheerende, die Menschen treffende Auswirkungen.

Im politischen Bereich werden wir wahrscheinlich eine wachsende Distanz zwischen der israelischen und der ägyptischen Regierung erleben. Ich glaube nicht, wie bereits gesagt, dass wir ein direktes militärisches Eingreifen gegen Israel durch die ägyptische Regierung erleben werden, sicherlich nicht, aber eine gewisse Neueinschätzung des Camp David Abkommens und seiner Bedingungen werden wohl die Folge sein nach der ägyptischen Entscheidung , den Botschafter aus Tel Aviv abzuziehen, was gestern erfolgte.

Wir sehen also bereits eine wachsende Instabilität im politischen Bereich.

* Phyllis Bennis ist "Fellow" (Forschungsstipendiatin) am Institut für Politikwissenschaft (Institute for Policy Studies) in Washington DC - dort ist sie Direktorin des "New Internationalism Project" - und am Transnationalen Institut (Transnational Institute) in Amsterdam. Sie ist Expertin für die US-Außenpolitik insbesondere mit Bezug auf den Nahen und Mittleren Osten. Zehn Jahre lang arbeitete sie als Journalstin für die UNO, für die sie heute noch als Beraterin tätig ist. Eines ihrer letzten Bücher befasst sich mit dem US-geführten "Krieg gegen den Terrorismus": "Before & After: US Foreign Policy and the War on Terrorism".

Originalartikel: 'Obama angry at Netanyahu over Gaza assault'. In RT (Russian Television), 16 November 2012; http://rt.com


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